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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

[Altona], Juni 1813
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 65 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
Juni 1813
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Altona
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 105 mm; Höhe: 125 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „65r“

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Die Sÿkophantin
aus Cloacinens
Tempel in der Königsstraße an die
gebenedeÿte Jungfrau Maria in ihrem Krautgärtlein.

Obgleich es Ihro hochchristlichen Durchlaucht sehr verwegen erscheinen mag,
daß die Priesterin einer alten abgesetzten heidnischen Göttin es
wagt eine Bittschrift an Hochdieselben zu verfertigen, kann ich doch
meiner Verwegenheit nicht Einhalt thun und lege in tiefer Unterthä-
nigkeit dieses zu Ihren allerliebsten Füßen.
Meine demüthige Bitte geht dahin mir, da ein böses Weib, ich glaube es
heißt Frau Langweil, mich gewaltig plagt, meinen politischen Vetter
den Merkurius
, durch besondre Huld und Gnade noch in Ihrer theuren
Gesellschaft gelitten, da Sie doch alle andern Götter, Götzen und Göt-
tinnen, vom goldnen Kalbe bis zu Baal und Jupiter, selbst meine
arme unschuldige Göttin, Cloacine nicht ausgenommen, von Land
und Leuten, Thron und Krone gejagt haben, zu übersenden,
damit er aus alter Lieb’ und Verwandtschaft besagte böse Sieben
von mir vertreibe.
Wenn Ihre christliche Durchlaucht bedenken wie schreklich meine Lage gegen
die Ihrige ist, werden Sie keine Minute säumen sie mir durch Uebersend-
dung des Merkurs doch etwas zu versüßen; die ganze Christenheit kennt
ja Ihr menschlich und göttlich gutes Herz selbst gegen die so nicht Eines
Glaubens mit Ihnen sind.
Bedenken Sie, daß während Sie umringt von der besten Gesellschaft, durch das
schönste Gestirn zu Ihnen geführt, sind, umduftet von den Ihnen reichlich gestreu-
ten Weÿrauch, umkränzt von den Blüten welche die liebend sorgsame
Hand Ihres Joseph-Rüthers für Sie allein pflanzte und pflegte,
umspielt von den göttlichen Kleinen, umstralt von der Glorie
Ihres Gabrielen-Kragens, umwogt von goldnen duftreichen Locken
sind, ich arme abgesetzte Sÿcophantin hier ganz allein – Sie möchten
denn sehr viele Fliegen, fatale Flöhe, Wanzen, Ratten und Mäuse
nebst einem großen grauen häßlichen Kater, der über meinem
armen Haupte sein Jagdrevier auf letztere aufgeschlagen hat,
für eine meiner würdige Gesellschaft schelten, welches ich beÿ
aller mir inwohnenden Demuth aber doch nicht kann —
in meinem baufälligen Tempel sitze und den mir durchs offne
Fenster zukommenden Weÿrauch von der Gasse durch ein Restchen
Eau de Cologne zu vertreiben suche. Die einzigen Boten des
Frühlings welche ich leider vor Augen habe, sind einige ausge-
hülste Erbsen nebst Blättern und Schwänzen von leider! schon
verzehrten Radisen, deren Anblick mich obendrein noch an

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meine Trägheit erinnert, die mich verhindert diese traurigen Ue-
berbleibsel alter Herrlichkeit fortzuschaffen. Statt des lieblichen
Geflüsters zärtlicher Kinder ist mein Ohr verdammt das Geheul
und Gewinsel sich balgender Gassenbuben einzunehmen, welches
infernalische Concert, verbunden mit dem Gekratz eines Anfän-
gers im Violinspielen aus dem gegenüberliegenden Hause
meinen ästhetischen Sinn durchaus beleidigt. Was mein Ge-
wand anbelangt, so läßt sich eben von dessen Glorie nicht
viel sagen, jedoch paßt es sich ganz zu den Cendrillons-Rollen

die ich seit meiner Versetzung hierher, als müßte ich der heili-
gen Veste und meiner armen Göttin zugleich dienen, sehr
oft spielen muß, weswegen ich auch zuweilen meine sonst so
schönen reichen Locken mit Asche bestreut finde.
Zu allem diesen, welches schon genug Unheil für Eine arme Prie-
sterin ist, gesellt sich noch zuweilen die Furcht vor dem allerhöchsten
Gotte dieser Stadt – Herrn v. Blücher – da ich eigentlich hier
nur eine Art von Bönhaase
bin und Er mich eben so wenig
hier dulden würde wenn er oder seine heiligen Engel mich
ausgewittert, wie die Chinesen die Christen; er ließ mich
vielleicht, wenn gleich nicht an den Kaukasus, doch an die
Alarmstange auf dem Blankeneser Berge schmieden. –

Ich hoffe die Aufzählung aller dieser großen Uebel wird Dero wei-
ches Herz ganz zerschmolzen haben und nur den Besitz des
sehr ersehnten Gottes verschaffen; in dieser Erwartung küße
ich den äußersten Saum Ihres klaren – nicht durchlauchti-
gen Gewandes, denn sonst würde ich um die Gnade bitten
es ausbessern zu dürfen mir die Zeit zu vertreiben, und
die Spitzen Ihrer Schuhe.
In tiefster Demuth die unglückliche
Sycophantin:

d. _ Junÿ 1813.
Amalia.