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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 8. November 1815
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 81 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
8. November 1815
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Hamburg
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 195 mm; Höhe: 230 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „81r“

81

Assing
Burg den 8ten Nov: 1815.


Liebe, vieltheure Rosa!

Belehrt durch Deinen letzten Brief, meine süße Rosa, halte ich Dein Schweigen nicht mehr für ein Zeichen der
Gleichgültigkeit gegen mich, sondern für das Zusammentreffen mir ungünstiger Zufälle, daher ich auch keine
Taube hier weg, nach Deiner theuren Gegend fliegen lasse, ohne ihr ein Oelblatt für Dich mitzugeben.
Gesund und heiter ist Deine Freundinn – gesund – welche Wonne das sagen zu konnen! aber wie
dankbar bin ich auch dem Schöpfer für diese Wohlthat, die erst nach langer Entbehrung eine fühlbare
wird. Und noch für wie vieles Schöne habe ich im Leben zu danken, für wie manche Freunde, wie
manchen Schmerz. Gewiß ist es, daß man nicht alle Irrthümer des Lebens bereut – beweinen kann
man sie aber, weil sie dahingeschwunden und nicht wiederkehren, so gäbe ich mein gegenwärtiges
Glück nicht für die vergangene Thorheiten hin, die wie die vulkanische Asche Grundlage eines
bessern Gedeihens sind.
Schön ist mein Leben jetzt, sehr schön – so daß ich den Neid der Götter fürchte; alles so harmonisch
und besonnen, so hell und warm, ein Tag wie der andre, jeder reich an Einer großen Freude,
an Schaffen und Gelingen, Schauen und Erblicken. Nichts liegt außer mir, mit dem ich mich
nicht im Innern befreunden könnte, ja selbst mit den Thorheiten der Menschen, deren Skala
auch ich nicht ganz durchging. Wer wollte sich auch des Bekenntnisses derselben schämen? –
höher ist gewiß ein Mensch zu halten, der denn in Sack und Asche trauerte und büßete, und
dann stolz und kühn in Sonne Mond und Sterne schaute, als der, welcher auf dem großen
Theater nur die Statisten-Rollen spielte; Bewegung ist ja Schönheit und Leben, seis
innen oder außen.

O meinen Jungen solltest Du sehen, liebe Rosa, meinen kräftigen lebendigen Jungen mit den
Flammenblitzen des Geistes und Lebens, mit dem Kraftsegen seiner teutschen Vorfahren
ausgerüstet. Denke Dir nur kein in Fett erstickendes Kind, nein aber einen starken
rothbackigen Schelmen, der schon jetzt zu Pferde sitzt, und schreit wenn man ihn hält.
Neulich trieb er 10 bis 12 Kühe mit einem kleinen Stecken vor sich her, und als er vor Eile
fiel sagte er aufstehend, thut nichts Mutter. Allerlei kleine Dienste verrichtet er mit Ehre,
so trägt er mir gleich einen Schemel, wenn ich sitze, zu, bestellt kleine Gewerbe an das
Mädchen, holt mir eine Tasse und ein Glas, und ähnliche Sachen; daß dies mich ganz
unendlich beglückt, kannst Du denken.

Gott wie sehne ich mich darnach, Dir dies Kind ans Herz zu legen – auch mache ich viele
Pläne wie dies geschehen, und uns ein Beisammenleben bewirkt werden könnte, wel-
ches mein einziger Wunsch ist – aber davon ein ander Mal.
Wilhelm Meister
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman, Berlin: Unger 1795–1796.
hat mir der Kammerherr geschenkt – wie lese ich ihn nun wieder
so ganz anders als vorher! Cunegunde
von Werner – fast schäme ich mich es zu sagen,
– will mir nicht gefallen; aber ich will es, späterhin wieder lesen, vielleicht söhne
ich mich mit der bittern Schaale aus, die den Kern umhüllt – aber zu viel Form ist
gewiß darin! – Assur hat mir auch nicht geantwortet, und warum nicht? ich schrieb
doch gleich; viele freundliche Grüße für den Verehrten. Die Arbeit ruft – und ein Vergnügen
muß dem andern weichen, also leb glüklich und liebe
Deine ewig treue Amalia.

Seite „81v“