Brief von Amalie von Helvig an Rahel Varnhagen von Ense
[Berlin], 19. Dezember 1824
Seite „23r“
23
[Karl August Varnhagen]
Amalie von Helvig.
1824
Sonntagsfrüh den 19ten Dec:
Ich sende Ihnen hier, beste Frau von Varnhagen, den 4ten Theil des Alonco
Mittheilung ich Ihnen nicht genug danken kann – Ganz wahr sagt, von der Gewalt
innrer Wahrheit gedrungen, Salvandys miswollender Recenzent, den Goethe an-
führt: ce livre porte beaucoup à reflêchir –“
Zeit beÿm Lesen eines Buches mich über so viele eigene Gedanken ertappt zu haben – auch
zeigt sich, wie es mir wenigstens scheint, hier die höhere Reife der französischen
Sprache, wie sie die Gewohnheit öffentlich über wichtige Materien sowohl energisch
als vorsichtig zu sprechen entwickelt hat – Man fühlt es deutlich durch: daß die
Nation zu der der Verfasser gehört, große Schiksale verarbeitet. – ich muß ein
Punktum machen, sonst schreibe ich Ihnen einen Brief a la Brinkmann über Alonco
und Sie haben das alles was ich sagen könnte, schärfer unterschieden, und gewiß eben
so lebendig empfunden. Es wäre aber hübsch wenn man sich einmal darüber recht
aussprechen könnte, wonach ich mich umso mehr sehne, als ich all diese Tage in bedeu-
tungsleerer Geselligkeit mehr als nüchtern habe verleben müssen; denn man fühlt die
Qual ungenügender Umgebung nicht peinlicher als wenn ein bedeutender Gegenstand
sich unsren Gedanken zur Entwicklung und Mittheilung darbietet.
Befindet sich Hr. v Varnhagen besser? – Herzlich hoffe ichs und frage an ob Sie beÿde wohl mor- für dessen
Mittheilung ich Ihnen nicht genug danken kann – Ganz wahr sagt, von der Gewalt
innrer Wahrheit gedrungen, Salvandys miswollender Recenzent, den Goethe an-
führt: ce livre porte beaucoup à reflêchir –“
ich entsinne mich nicht seit langer
Zeit beÿm Lesen eines Buches mich über so viele eigene Gedanken ertappt zu haben – auch
zeigt sich, wie es mir wenigstens scheint, hier die höhere Reife der französischen
Sprache, wie sie die Gewohnheit öffentlich über wichtige Materien sowohl energisch
als vorsichtig zu sprechen entwickelt hat – Man fühlt es deutlich durch: daß die
Nation zu der der Verfasser gehört, große Schiksale verarbeitet. – ich muß ein
Punktum machen, sonst schreibe ich Ihnen einen Brief a la Brinkmann über Alonco
und Sie haben das alles was ich sagen könnte, schärfer unterschieden, und gewiß eben
so lebendig empfunden. Es wäre aber hübsch wenn man sich einmal darüber recht
aussprechen könnte, wonach ich mich umso mehr sehne, als ich all diese Tage in bedeu-
tungsleerer Geselligkeit mehr als nüchtern habe verleben müssen; denn man fühlt die
Qual ungenügender Umgebung nicht peinlicher als wenn ein bedeutender Gegenstand
sich unsren Gedanken zur Entwicklung und Mittheilung darbietet.
gen beÿ mir Thee trinken wollten? – In so naher Nachbarschaft bin ich versucht Sie
für sich selbst zu fragen: ob Sie heute vielleicht ganz still Caffe beÿ mir trinken
möchten, so spät oder früh Sie selbst wollen, wo ich mir einbilde recht viel
noch für Sie auf dem Herzen zu haben. – Mein Wagen steht Ihnen für heute
und wann Sie befehlen zu Dienste. Vielleicht geben Sie meinem Boten den 5ten Theil
des Buches
freundlichst mit. – Ganz die Ihrige
Amalie vHelvig
[Amalie von Helvig]Zerreißen Sie dies Blättgen nicht, ich mögte
ein paar Gedanken davon als Thema unterlegen.
ein paar Gedanken davon als Thema unterlegen.
Seite „23v“
An
Frau von Varnhagen
Hochwohlgeboren
Generalin von
Helvig
Helvig