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Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense

Genf, 14. November 1854
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 292-293 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
14. November 1854
Absendeort
Genf
Empfangsort
Berlin
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 220 mm; Höhe: 270 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „292r“

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[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chezy.
Genf, den 14. November 1854.

Vehrerter herzlich theurer Freund!

Ich schreibe Ihnen in der Hoffnung, ich werde diesen Brief die gewünschten An-
lagen beifügen können. Heut liege ich mit gelähmten linken Arm, zum Liegen
verurtheilt. Die Sonne scheint, doch meine Zimmer sind kalt; gestern, und am 7ten
mußte ich in Sturm und Wetter hinaus, – heute empfinde ich großen Kummer,
weil sich die so fleißig bearbeiteten Dresdner, die so großartig an mir
zu handeln gesonnen waren eines Andern bedacht haben. Im Monath Mai
schrieb mir der Intendant „die 100 rtl Gnadengeschenk von S. M. Friedrich
August den II
würden nicht von dem Benefiz Ertrag der Oper Eurÿanthe
, der näch-
stens erfolgen werde, abgezogen werden.“ Darüber starb der gute König, und
Lüttichau läßt mir durch Theodor Hell schreiben „Wir eröffnen Hier mit Bedau-
ern, daß die Tantieme nicht erfolgen könne, indem alle diesfalsigen Versu-
che gescheitert sind.“ Nun aber Theuerster, habe ich nicht allein den Brief von der In-
tendanz vom Monath Mai ac
, worinn mir die hier sogenannte Tantiem ohne
Weiteres zugesichert war, sondern noch mehrere Andere aus derselben Quelle, wo
rein der Aufschub der Benefizvorstellung zum Besten der Dichterin Lokalitatumstän-
den, z B, der Veränderung des Singpersonals beigemessen wird.
Der Intendant
ist so gut und gütig, daß ich voraussetze; Er handelt nur so seinem Versprechen entgegen
weil man Ihm mit dem Schreckgespenst meines schlechten Erfolges der Benefitzvorstel-
lung für mich zurück scheucht, weil Webers Wittfe
, die mir schon in Stuttgard
ein offiziell versprochnes Honorar für die Dichtung der Eurÿanthe weggeschnappt
hat, mir entgegen wirkt, weil ich Wiedersacher unter den Kleinmeistern habe, weil
man dem Ehrenmanne dazu beschäftigt ist, um sich wahrhaft um Poesie zu kümmern, die
Sache so vorzustellen gewußt hat, als sei ich Gott beßeres eine Reimerin, wie so viele
Andere, die zu Dichterinnen gezählt werden, und sogar in Anthologien stehen. Nein! daß
bin ich nicht. Und hätte ich nichts hervor gebracht wie die Eurÿanthe, deren Stoff meine
Wahl, deren Behandlung mein Werk ist, und einige Jahr Arbeit gekostet, so sollte
doch Niemand sagen dürfen; ich forderte zu viel Belohnung für die Verse „die ein
Anderer auch gemacht haben würde.“ Da nun aber die Intändanz, und zwei Könige

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hintereinander gegen mich so gütig gehandelt haben, wie es kein Anderer König, und
keine andere Intendanz gethan; so kann ich ohne Undank nicht gegen Sie auftreten, und
es käme wie mir scheint, hauptsächlich darauf an, unter so vielen Königenn einen
zu suchen, der Königlich für Poesie fühlte, und der Pauke ein Loch schlüge. Die bishe-
rigen Aufforderungen deshalb, sind erfolglos geblieben, und wenn mir der Himmel
nicht unmittelbar beisteht, so muß ich bei Allem, was ich für die deutsche Sache gethan
und bei Allem, was ich für die deutsche Poesie bin, hier auf einem Bette verschmachten
Bettina der kleine, bunte, seraphbeschwingte Sternefunckelnde Nekteufel, hat als sie
die Günderode
herausgab, mein Lied der Liebe mit andern Apokrÿphen dieses Werks
drucken laßen, als wäre es von der Günderode. Sie hatte es gedruckt in meinem Alma-
nache, ich glaube 1819 gefunden.
Ich weiß dies nun schon, so lange die Günderode he-
raus ist, und habe keine Wichtigkeit darauf gelegt, allein jetzt; muß für Alter und
Heerd gekämpft werden, denn ich habe im Sinn des Wortes nichts zu eßen, und
mir wird die Theilnahme und Bewunderung, die mir in meiner jetzigen Lage
so nöthig wäre; entzogen; weil meine Feinde trotz aller Wahrheit ausgesprengt
haben; ich sei eine ganz gewöhnliche Dichterinn. Wenn nun aber ein Blatt aus meinem
Kranze gerißen werden muß, um den der bewunderten Günderode zu füllen
wenn das Lied der Liebe von Vielen Seiten her, namentlich auch von Bettinnen
als ein entzückendes Gedicht gepriesen wird, so würde es an der Zeit sein, zu er-
klären: „das Lied ist von Helminen, und über 10 Jahr nach Günderodens Tode gedruckt
worden. Ich habe so wenig Werth auf dies Gedicht gelegt, daß ich vergeßen habe, wo
es steht, wahrscheinlich findet es sich, und zwar mit meinem Namen, in Kinds geselligen
Vergnügen
, oder in S. T. Schützes Taschenbuch gleichen Namens, oder in Schreibers Kor-
nelia
, ich habe es 1847 Abraham Voß für seine Dichterinn in Deutschland
gegeben
und mir die kleine Bosheit vergönnt, in einer Note dabei zu setzen ̶Bettina sagt von die-
sem Liede und laße dann ihr geistreiches Lob von diesem Liede folgen. Ich hatte diese Klein-
rache für die angemeßenste gehalten, jetzt aber stehn die Sachen anders; und ich vermu-
the sie muß an das Licht.
An den Autographen u sonst, soll morgen, wo ich nicht so schwach zu sein fürchte, allen Ernstes
gesucht werden. Mir ist wie der Echo
noch immer die Stimme geblieben, ich dichte bisweilen
noch wirkliche Gedichte. Die Memoiren
gehen nur langsam voran. Mein poetisches
Mühmchen welche mir aus der Vaterstadt
der Karschin noch manche Farbe mitgebracht
hat, schreibt zuweilen was ich ihr dictire, und wünscht sehr, das Werk zu Stande zu bringen

Seite „293r“

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Es ist gut, daß Vieles vorbereitet liegt. Vom Cotta aus erhielt ich vor manchm
Jahre die Weisung: ich möchte den ersten Band zur Einsicht einschicken, das Werk
ist gut, es ist sogar konservativ im guten Sinn des Wortes. Der erste Band hängt
mit der Karschin und ihrer frühesten Zeit an, er wird pitoresk und dramatisch ge-
nug sein. Die Königinn schrieb mir einmal, es ist schon lange her, daß der König die
Zuneigung davon annähme. Er wollte nehmlich Dr. Partheÿ den Verlag überneh-
men, ich wollte eine Auswahl von Ihren Gedichten, wobei Ungedruckte, dazu
nehmen, viele, der dazumal Bewunderten sollten wegbleiben, aus den hinzu-
kommenden sollten die Leser sehn, daß Gervinus mit Unrecht sagt, daß die Kar-
schin eher eine frührere Epoche beschloßen, als eine Neuere eröffnet habe
Was meinen Sie zu dem Allen, Bitte, Bitte! Vielleicht sollte ich an Partheÿ
und ihm jenen ersten Band der Denkwürdigkeiten
zusenden.

Ich habe die Parthei ergriffen, Baron Lüttichau ehrerbietig und dankbar für
das Geschehen, gleichwohl an Sein unbedingtes schriftliches Wort zu mahnen. Dies schrei-
be ich Ihnen zu einiger Beruhigung für Sie wegen meiner großen Verkältung, kann ich
weder ausgehn, noch in das kalte Zimmer gehn, um nicht kontrakt zu werden. Ich
sende Ihnen also Verehrtester diesen leeren Brief, und hoffe, daß es Sie ziem-
lich wohl antrifft. Wegen der Bäder muß ich Sie noch erinnern, daß ich sie nicht
angerathen, sondern nur für den Fall gesprochen, daß Ihnen welche angeordnet wären
Koreff ließ Niemand über 8 Minuten baden. Ihm schrieb einmal die Staehl „Nicht Ver-
trauen setze ich in Sie, sondern Zuversicht.[“]
Gott mit uns! Für Zeit und Ewigkeit
Ihre
dankbare
Genf den 14ten November 1854.
Helmina v. Chézÿ.