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Brief von Ernst von der Malsburg an Helmina von Chézy

Dresden, [8. April] 1819
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 112 Malsburg Ernst von der XML-Datei downloaden
Absender/-in
Ernst Otto von der Malsburg
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
8. April 1819
Absendeort
Dresden
Empfangsort
Schlesien
Umfang
4 Blätter
Abmessungen
Breite: 111 mm; Höhe: 185 mm
Foliierung
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Malsburg, Ernst von der: Die Blume. In: Derselbe: Ernst Friedrich Georg Otto’s von der Malsburg Poetischer Nachlass und Umrisse aus seinem innern Leben. Hrsg. von P.[hilippine] [von] C.[alenberg]. Kassel: J. J. Bohné 1825, S. 129–131; Malsburg, Ernst von der: Dresdner Palmsonntag. 1819. In: Derselbe: Ernst Friedrich Georg Otto’s von der Malsburg Poetischer Nachlass und Umrisse aus seinem innern Leben. Hrsg. von P.[hilippine] [von] C.[alenberg]. Kassel: J. J. Bohné 1825, S. 32–33.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Malsburg
an Fr. von Chézy.
Dresden am sonnigen Gründonnerstag 1819.

Ihr liebes Brieflein hat mich recht innig erfreut, Sie theure Hel-
und Schwamina
,
und seine tiefe strahlende Freundlichkeit ist es wohl
werth am heutigen Tage beantwortet nicht nur, wienein, erwiedert
zu werden. Doppelt freut es mich nun, daß die selbe stille Woche

so helle Sonnenblicke auf die Erde schickt, sie schmückt ja
auch damit die Flur, die Sie jetzt bewohnen,
und läßt Sie in
Wahrheit die vollen frischen Züge aus dem Quell reiner
Lebensluft thun, die den Körper stärken und die Seele kräftigen.
Am Morgen Ihrer Abreise las ich Ihr Herrnhuter Büchlein

und die andren beÿ mir niedergelegten Papiere mit einiger
Rührung und Erbauung; sie sind mir Heiligthümer, diese Spiegel
eines tiefen, reichen, Gott und Menschen liebenden Gemüths, und
gewiß nicht geeignet miskannt zu werden. Dann sah ich
diesen und die folgenden Tage in den düstern regenumfloßenen
Himmel hin, und es verdroß mich recht, daß er so wild
auf Ihren Weg herabsah. Am Abend las ich Echo und
Narciß auf den goldenen Äckern
und ich muß es freÿ

Seite „1v“

bekennen, daß Sie mir da ausserordentlich abgiengen, und
ich deshalb oft mit halb trübseliger Stimme las. Isidorus
hatte ich mit Mühe hincomplimentirt, doch muß ich sagen,
daß er besonders warm und liebevoll war und ihm diesmal
der Batos
ausnehmend gefiel. Therese verliebte sich
etwas in den Phoebus,
und spendete ein Halbdutzend „köstlich“,
die hüstelnde alte Winkel, die stickende Gräfin, die älteste G.
den Finger auf dem Mund, die jüngste (wenn ein solcher
Superlativ hier noch erlaubt ist) fleißig die Bogenzahl
berechnend, um die Erscheinung der süßen Kuchen danach
einzurichten, bildeten kein begeisterndes Echo für einen
Narciß,
der durch Grimms
Trockenheit den Quell der
Selbstbespiegelung noch versiegt sah. Wie manches Seufzerlein
mußte da im Nahmen der arcadischen Schäfer
zu der fernen
Freundin hinfliegen! Das bleibt wahr, die Liebe und das
Verständniß der Sache trägt mir doch wohl niemand
wieder so entgegen, wie Sie und Philippine.
Am Palmsonntag bin ich in die katholische Kirche gegangen,

Seite „2r“

wie überraschte und entzückte mich da, das Kreutz mit
blauem Flor umhangen zu sehn, dessen Hintergrund
das schwarzbezogene Altarblatt war! ich setzte mich und
betete, und eine göttliche Missa von dem alten Meister
Pränestinie,
im strengen einfachen Stÿl, ohne Instrumente,
nur dann und wann die sanften Töne der Orgel hielt mein
Auge feucht und ließ aus diesem Thau im Herzen eine Blume
sprießen, die ich Ihnen, mein gutes Schwenchen, schicke.
Schon vor der Kirche hatte ich ein Blümlein in das Stammbuch
der Charlotte Oelssen zeichnen können, das ich Ihnen auch beÿlege,
und ich habe Gott recht herzlich gedankt, daß Er mir Seine
Gabe doch noch nicht ganz wieder entzogen hat. Beÿ O’s
bin ich nun schon dreÿmal wieder gewesen, zweÿ Abende
von selbst, einen Mittag mit Kalkreuth gebeten. Charlotte
sagte mir ganz ängstlich, Ammon, der auch da aß, habe
ihr gesagt, die Glockentöne seÿen mÿstisch, ich antwortete
eben so resolut, der Ammon seÿ ein alter Pedant (Er
sollte wenigstens in der Literatur kein Horn sehen laßen.)

Seite „2v“

Mäxlein ist da gewesen, wie ich leider nicht zu Hause, und
hat ein Brieflein , das leider nicht geschrieben war.
In den Ostertagen werde ich die guten Kinder besuchen. Ich
glaube fast, daß mir Alles mit Briefen an Sie zuvorgekommen
ist, und dennoch behaupte ich, daß es wohl keiner fester und
redlicher mit Ihnen meÿnt als ich. Schreiben Sie doch einmal
an Charlotte, O. sprach recht liebevoll von Ihnen u vom Abschied.
In der Z. f. d. e. W.
ist jetzt Ihr ergötzlicher Aufsatz vom
Vanderbourg (den sie dummerweise immer Vauderbourg (warum nicht Veau?)
gedruckt haben) zu lesen, er ist doch allerliebst.In der
Leipziger Literaturzeitung ist eine gewaltige Recension
von meinem 1ten Theil. Der Eingang ist ganz gut und
geschmackvoll stÿlisirt, ich werde Schlegel und Gries an die
Seite gesetzt,
dann kommen aber zweÿ Seiten voll Stellen,
wo geklaubt und gehäkelt wird, und die bald verzwackt,
bald undeutsch, bald unrichtig seÿn sollen. Eine Stelle, auf
die ich mir zu ihrer Zeit viel einbildete, wird sogar ein
Galimathias genannt, es ist D. Juans
Monologchen in peor

Seite „3r“

„säumt sie, träume ich, daß mir des Lichtes Reine p“
Der
Mann
ist ein Grammaticus und das Spanische steht oft dabeÿ,
in vielen Stücken hat er aber auch Recht. Im Ganzen ist
das Peor mejor
weggekommen als das mejor, wenigstens
kürzer, und hat mich die Recension mehr gefreut als geärgert
weil ich lieber gründlich getadelt, als oberflächlich gelobt
seÿn will. Spaßig war mir’s, auch hier den Novio vorge-
rückt zu bekommen. Macht Ihnen diese Sÿmpathie nicht
den Recensenten selbst zum Novio wünschenswerth? –
Böttiger machte mich auf seine Weise im Liederkreis
auf
die Kritik aufmerksam und war sogar dumm genug, zu
glauben, sie seÿ von Gries. In diesem L. O wurde viel
Flieder gereicht vom Nordstern, Hell, Breuer, Haße,
der alten Krähe Geißler p. Kind las eine außerordentlich
schöne Novelle „Der Fastnachtstraum“ vor,
Kalkreuth seine
paßabeln dreÿ Schwäne,
die der Nordstern klärer als die
Ihrigen fand, ich die wohlbekannten Frühlingsglossen,
die Hell komisch genug mir von Rassmann als Probe

Seite „3v“

für die A. Z.
zugeschickt erhalten zu haben eröffnete.
Auch hier fehlten Sie mir gar sehr. – Eben kommt
Mäxchen, und zeigt mir Ihre allerliebsten Briefe, das
herrliche Liedchen hatte er mir aber noch nicht abgeschrieben,
Doch will er es noch thun. Besonders hat mich das Dort gefreut. Ach schicken Sie doch oft solche
Wunderblüthchen an Ihre dreÿ Kinder! Max kommt in
einer halben Stunde wieder, dies Geschreibsel zu holen; sagen
Sie mir doch das Porto wenn Sie wiederkommen, daß ich es bezahlen
kann, denn kosten darf Sie dies Zeug nichts. Meine Vorrede
rückt wacker fort. Die Geschichte des standhaften Prinzen
und seines Bruders Pedro de Coimbra
interessirt mich
ungemein; möge es einst Andern auch so gehn. Und nun
leben Sie wohl, theure gute Helmina (der Nahme ist
ja doch auch schön, und glauben Sie, daß ich Ihnen recht
von Herzen, von ganzem Herzen gut bin. Bleiben
Sie nicht zu lang aus, denn wo Sie mir am meisten
fehlen, das ist doch die OstraAllee.
Empfehlen Sie mich der
guten Gräfin Stosch,
und bleiben Sie zu tausend gut Ihrem E. E.

Seite „4r“

Die Blume.

Es blüht an schön’rer Stelle
Die Blume zart und licht
Als an des Baches Welle,
Doch nenn’ ich sie Dir nicht.

Ich mögt die Blume mahlen
Mit ihrem zarten Blau,
Beglänzt von Sonnenstrahlen,
Benetzt von Perlenthau.

Die Sonne steht so ferne
An ihrem Himmel da,
die Blume naht’ ihr gerne
Und kommt ihr nimmer nah.

Da fühlt sie sich von Sehnen
Tiefinniglich erfüllt,
Und Thränen sind es, Thränen,
Was sie als Thau umhüllt.

Drum liebt sie auch zu lauschen
Wo stille Bäche gehn,
Meÿnt da, wo sonst sie rauschen,
Auch Thränen süß zu sehn.

Da, mit wehmüth’ger Wonne,
Sie stets die Welle grüßt,

Seite „4v“

die zu dem Thron der Sonne
Sie stets die Welle grüßt,
Nur wo ein Wort des Flehens
Doch klingt das Blumenwort
Bis zu des Wiedersehens
Wohl ew’ger Freude fort.
Drum auch an Baches Welle
Blüht nicht ihr zartes Licht,
Sie blüht an schön’rer Stelle,
Doch nenn’ ich sie Dir nicht.

Dresdner Palmsonntag. 1819.
Als heut zur Kirch gegangen
Ich sah zum hohen Chor,
Sah ich das Kreutz umhangen
Von himmelblauem Flor.

Dreÿmal dreÿ Lichter glühten
Zu jeder Seit in Pracht,
Recht wie aus Nacht die Blüthen
Am Himmel angefacht.

So wunderbare Töne
Aus alter frommer Zeit
Sprachen in heil’ger Schöne
Von Gottesseligkeit.

Es lag in all den Klängen
Ein Leid, das Leid versüßt,
Ein Jubel aus Gesängen
Der Engel hergegrüßt.

Dann, als ich zu der Pforte
Der Kirche wieder kam,
sich vom geweihten Orte
Palmzweiglein Jeder nahm …
Ich wollte Eins mir wählen
Und nehmen mit nach Haus,
Da grünt’s schon in der Seelen
Und betend rief ich aus:

Du Kreutz im tiefen Herzen,
Du in dem Grund der Brust
Der Quell der reinsten Schmerzen,
Das Ziel der höchsten Lust,

Wenn immer blaue Flöre
Den Himmel um Dich wehn,
Und dreÿmal heilge Chöre
Als Sterne beÿ Dir stehn,

Dann hab’ ich auch die Palme,
O mein Erlöser Du,
Aus meines Grabes Halme
Blüht Deinem Reich sie zu!