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Brief von Helmina von Chézy an Amalia Schoppe

Traunkirchen, 18. August 1828
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 244-245 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Amalia Schoppe
Datierung
18. August 1828
Absendeort
Traunkirchen
Empfangsort
Hamburg
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 210 mm; Höhe: 260 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „244r“

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[Karl August Varnhagen]Helmina von Chézy an Amalia Schoppe.
Traunkirchen d. 18 August 1828
Nein, liebe Amalia, Sie irren sich, so viel Arbeit als ich, hat Niemand, nur daß ich darunter
auch viel leeres Stroh dresche, u an u für sich zwar den höchsten Gewinn – des guten
Willens, der vor Gott gilt – aber keinen Zeitlichen habe, der mir doch zu wünschen
wäre – u allerdings auf diesem Wege auch nicht gesucht u erstrebt wird.
Wo soll ich Ihr reichhaltiges Schreiben, das mir eine so süße Stunde der Rührung gewährte,
anfangen zu beantworten? Ich danke dem Himmel dafür, daß Sie so kräftig, so
freudig, so brav sind, u verstumme in Dank u Freude. Ich sehe auch mit Nachsinnen
unsere zweÿ so verschiedenen Richtungen an, die doch Beide zum nehmlichen Ziele führen.
Beförderung des Guten und Schönen auf dieser dürftigen – dieser überschwänglich reichen
Welt. Empfangen Sie, Theure, meinen innigsten Dank für Alles, was mir aus der
überreichen Quelle Ihres begeisterten Seÿns schon zugeströmt – Ihre Briefe, sorglich
aufbewahrt, u oft wieder gelesen, sind von meinen Reichthümern. Was ich für Sie
that, war Schuldigkeit, u die Welt ist mir Dank dafür schuldig, nicht Sie.
Sollte Ihnen die Allweisheit und Allliebe Reichthum zuwenden, so denken Sie an
meine hiesigen Armen mit einem Beitrag zu Arbeitsfonds – der
einzig wahren Wolthat – das Elend ist hier durch Lokal- und Elementar-
Unfälle – im Sinn des Wortes unbeschreiblich. Ich liege hier auf der Folter-
bank, ich darf es wohl sagen, aber ich halte mit Gott aus.
Es wird hier überaus köstlich gesponnen, gut gewebt, wacker gestrikkt.
Über 2000 ganz brotlose, wackre Frauen, Wittwen, Waysen, Mädchen,
winseln um Arbeit. Die gute, fromme Kayserin thut aus Ihren – für eine
so hohe Dame – beschränkten, u unendlich vielfach in Anspruch genommenen Mitteln
was sie kann – Ich leite die Arbeiten, die abgesetzt werden, u das Geld
wiederum zum neuen Material und Lohn verwendet werden soll. Ein
Handbuch = Wegweiser für das hiesige Gebirgland
habe ich geschrieben,

der Buchhändler Gerold verhieß ein angemessenes Honorar – er hat das
Werk, das er nur als Concept zur Ansicht empfing behalten, 4 Monath,
ohne Antwort, ohne Gebot – u jetzt ist er so schamlos 200 fl. C.M.

dafür anzubiethen! – – – – u ich habe einen Verdacht daß er ins
Geheim

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schon den Druck angefangen! – 200 fl. für ein Werk von beiläufig 40 Druck-
bogen mit Zeichnungen und Musik, der Kaÿserin zugeneigt
u zum
besten des Arbeitsfonds! – – – Es ist himmelschreiend! – u noch
dazu von mir! Jedoch muß er es wieder herausgeben, u sollte er
den Druck angefangen haben, so wird mit voller Strenge der
Gesetze gegen ihn verfahren, denn sein Brief zeugt gegen ihn,
er schikt mir eine Seite zur Probe, u schreibt daß er das Werk
so zu drucken gedenke – u diese Seite ist paginirt! – – – doch er
kann unschuldig seyn, aber ein unverschämter Knikker ist er.
Eben so ist auch einer von den Centnern Flachs welche die himlisch
gute Kayserin schickte, entwendet worden. Wie soll man denken
daß die bittre Armuth hier nicht herlich wäre?
Ich werde Ihnen, meine Amalie – noch weiß ich nicht, wann ganz
herlichen Stoff zu einem Werk senden, das einer Meisterhand
bedarf, u Ihnen gewiß vielfältigen Lohn bringt. Sie wissen
so tief in das Leben zu greifen, u so hoch damit
mit der Ausbeute empor sich zu schwingen. Setzen
Sie sich nicht unter Andre – nicht blos Ihr äusserer
Reichthum der beispiellosen Produktivität, auch
Ihr innerer ist ein Phänomen.
Der Name jener armen, etwas jämmerlichen Erscheinung
ist kaum so viel Zeilen werth, als Sie ihr gespendet. Ich
wünsche der Geplagten – u Plagenden – , in welcher vielleicht doch Gutmüthig-
keit ist, Brot – aber freilich liebt sie Zuckerbrot – u
Ruhe – aber sie schlägt ihr nicht an. Sie hat mich wenig gesehen,
u auch andere, die sie nennt, u wir bedauern sie alle. Sie haben sie sehr
treffend gezeichnet, grade den Eindruck, dies Bild hab ich von ihr.

Seite „245r“

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Fast hätte ich es vergessen zu erwähnen – so unrecht thut man leicht – daß sie
als die Schauspielerin Willer in Darmstadt den Gefangenen Blessirten mit wahrer
Aufopferung Gutes that. Aber sie hatte keine Ausdauer. Seitdem sie fort von
Darmstadt – 1814 – nannte sie sich, wahrscheinlich mit Recht M. doch das alles
wird wohl in der Nacht der Zeiten versenkt ruhen bleiben. Sie haben Recht
von Saphir und Schütz nichts wissen zu wollen. Müllner bleibt ein großer
seltner Geist, u er ist immer doch Salz u nicht von dem, wovon es heist
so aber das Salz dumm ist, womit soll man salzen
? Seine Federn kommen
wohl von zu scharfem Schliff, man muß sie immer auch achten. In dieser
Gemeinschaft sollte er, nach allem, was ich – die freilich so wenig erfährt – 
von ihm weiß – nicht genannt werden. Vergeben Sie mir, meine geliebte
Amalie. Sie wissen, ich bin immer wahr – aber weil ich liebe. Nicht aber Ihnen zustehe!!!
Die alberne Tarnow – allerdings machte sie mir dieselbe Bedingung. Man muß
sie beklagen, sie ist beinah noch unglücklicher u jämmerlicher als sie korrupt u
boshaft ist – Ein Thier im Sinn des Worts, mit Stachel u Giftsakk – sie
muß stech stechen – die meisten Thiere stechen doch nur, wenn sie gereizt
werden. Sie ist, dem Himmel sey es gedankt, nur noch wesenlos als Schemen
in meinem Gedächtnis, wenn gleich sie ein Nagel zu meinem Sarge war.
Ich bin sehr kränklich, Liebe, auf solchen Wogen wie ich seit 1813 treibe,
wird man mürbe.
Sehr treffend u denkwürdig schildern Sie unsere Zeit – auch mich beugt das Alles mit.
Ein Verzeichnis Ihrer Schriften muß ich haben. Hören Sie? Vergeben Sie dies
Geschmier – schreiben kann ich ietzt nur in Sachen meiner Armen, es ist mir das wirkliche
Schreiben vom Arzt verboten, weil mein armer Kopf immer so krank ist. Das
> kommt von der Zerrüttung in den Verdauungwerkzeugen, u zu Carlsbad fehlt
mir nicht blos Geld, auch Zeit. Ich hoffe etwas von den Sulzbädern, nur
kann man bei diesem Rußland das mit Brasilien wechselt – Jetzt ist der Thermometer 28–32
45–Grad Hitze (Reaumur) jetzt 2 Grad Wärme – u das jeden Tag in einem Tage, ja, oft
Schnee u Hagel u wirklich Kälte – nicht baden, u auch überhaupt fehlt mir
Zeit u Ruhe. Ich muß aber baden, sonst muß ich sterben, u dazu habe ich nun
gar keine Zeit – wie Gott will! – Meine Kinder
entwickeln sich herrlich. Ich
danke

Seite „245v“

aus voller Seele für die lieben Nachrichten von den Ihrigen. Wenn mir doch der
Himmel die Freude gönnte Sie alle einmahl zu sehen.
Ich schicke direkt, Liebe, denn ich habe mit all dem Hin u her zu thun
Wenn es seyn kann schreiben Sie mir einmahl wieder. Das sind Manna
Tropfen in den Sehnen des Lebens. Gott segne Sie fernerhin. Ihre Helmina
Adresse nur immer nach Wien bey Tendler Dr: Grohmann
Kohlmarkt
Der glücklichen Braut meines Herzens Segen. Sie war mir immer
unendlich werth. Möge ihr ganzes Herz erquickt werden. Sie ist ein
seltnes Wesen – Herzensglück aber ist auch so selten! Gott schenke es Ihr!
So bin ich zurück – Wie heißt Ihre Zeitschrift? Aber ich bin in meinem
Arkadien das ein Boötien
ist!
Ihre Wolgeborne
Frau Doktorin Schoppe
geborne Weise
A.B.C. Straße
Fr: Gränze. Hamburg