DE | EN

Brief von Helmina von Chézy an François Louis Éleonore de La Foye

[Paris], 1810
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 92-93 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
François Louis Éleonor de La Foye
Datierung
1810
Absendeort
Paris
Empfangsort
Paris
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 120 mm; Höhe: 185 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „92r“

92

[Karl August Varnhagen]Helmina von Chézy.
Sonntags

Ihr freundlicher Brief hat mir viel Vergnügen gemacht,

wenn er gleich viel trauriges enthält.
Ihre F. Freund
sollte
nicht so muthlos seyn, denn wer noch so jung ist, u
keine Kinder hat, der fühlt u kennt das Unglück
nur halb. Trösten Sie Sich u sie, Geduld versöhnt
das Schicksal, meine Geduld u mein Streben aber
kann überhaupt nur noch auf Entsagung gehen, u
meine größte Sorge ist immer noch, daß ich einmal
um meine Kinder gebracht werde. Ich habe mir sogar
noch nie den Tod gewünscht. Schelten Sie Ad. Adelbert nicht, ich habe
ihn sehr bestürmen müßen, ehe ich den Brief sahe.
Ich habe
aber ja nie gesagt, daß ich wünschte es könnte seyn, was
Sie fürchten, sondern, es ist nicht, ich habe keine Hoffnung
wäre es, ich wollte es für mein Glück halten
. Die Zeit wird
den Sinn meiner Worte deuten, ich selbst vielleicht über
kurz oder lang. A. Adelbert ist frey, u wird frey bleiben,
nichts nothwendiges bindet ihn an mich, sein Herz könnte
u müßte ihn allein binden, sonst wäre ja die Nothwendigkeit ein

Seite „92v“

Unglück. Das Schicksal u meine Gesinnung haben auf alle
Weise dafür gesorgt daß wir getrennt werden. Ich selbst
bin gegen mein Herz, u meine innigsten Wünsche, wenn ich
das Edelste in seiner Liebe, die Erkenntniß meines
eigentlichen Wesens, rette, so ist das auch noch ein
Glück. Wir werden uns bald wiedersehen, nur wenige
Tage, dann werden wir uns trennen, u wenn es einmal
seyn soll uns als Bruder und Schwester wieder finden.
Ich habe noch nie etwas so schwer über mich selbst ge-
wonnen, u halte es noch nicht einmal ganz für gewonnen
wenn mir A. selbst nicht hilft, u aber ich dencke
das wird sich von selbst finden, er ist ja ein Mann, u
der Mann soll noch geboren werden, der wahre Liebe
ganz vergolten hätte. Er ist auch noch gar nicht dazu
bestimmt ein stilles ruhiges Loos zu genießen. Er
hat noch alle jugendlichen Kräfte, die erst verzehrt
u verschwendet werden müßen, u ist noch von zu
mancherley

Seite „93r“

93

Wünschen u Aussichten bedrängt. Sie haben gewiß Recht
in Ihrer Frage, auch muß Ihnen mein erster Brief
schon
gezeigt haben, daß ich wircklich auf Entsagung gefaßt
bin, wenn gleich nicht immer so vernünftig als in diesem
Augenblick. Adreßiren Sie doch lieber gradzu nach Mont-
morency
Montmorenci, als zur M. Mendelssohn. Ich weiß nicht, wie viele Tage
ich hier noch zubringe, ich bin reisefertig, u harre
blos auf Urlaub. Adreßiren Sie: à Md. Chèzy Mad. Chézy à
M. ou en Son absence à Mr. Grétry Grétry neveu. So werden
mir die Briefe ankommen. Ihr Anfeßeln auf der hiesigen
Sandbanck thut mir in der Seele weh. Trösten Sie
nur Ihre Braut, wenn man sich recht liebt, u an einander
glaubt so muß man Allem trotzen können, es geht
einmal ganz unverhofft gut. Wie glücklich wollte ich
seyn, wenn ich noch ein Mädchen wäre, u würde so herzlich
geliebt! Man weiß aber nie seine Lage recht einzusehen,
fühle ich doch auch nicht immer ganz klar, was mir meine
Kinder Sind. – Leben Sie wohl, lieber Freund, u schreiben
mir bald wieder, ohne Umschweif u sonstige Transiente

Seite „93v“

Dienstags
Ein gräßlicher Zufall hat meinen Brief verspätet, doch
ist alles Gottlob gehoben. Durch einen ungemeinen
Zufall hatte Max Max von einer Frucht gegeßen, die
in Fliegengift, in starken kobalt getaucht hatte,
u rang drey Stunden zwischen Tod und Leben. Es
war Sonntags, um 3. Erst um 11 Uhr Abends
waren wir vollkommen beruhigt. Ich habe
tausendfache Todes Angst erlitten. Jetzt ist er
vollkommen hergestellt. Ich bin noch so matt
u hin als wäre ich zerschlagen, danke aber
Gott der alles so glücklich geendigt hat.
Wilhelm ist seit einiger Zeit recht munter,
u Max nun auch wieder, die Kinder sprachen
mannichmal von Ihnen; ich dencke oft an unser
Zusammenseyn, Leben Sie wohl Lieber!