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Brief von Rahel Varnhagen von Ense an Karoline von Woltmann

Karlsruhe, 20. Juni 1817
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 281 Woltmann Karoline von, Bl. 93 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Rahel Varnhagen von Ense
Empfänger/-in
Karoline von Woltmann
Datierung
20. Juni 1817
Absendeort
Karlsruhe
Empfangsort
Prag
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 205 mm; Höhe: 250 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „93r“

93

Karlsruhe den 20t Juny 1817 Freÿtag. Beÿ brennender Hitze. Wenigstens in meinem
Quartier. Beÿ solchen Pulsschlägen am Halse u Kopf, ist es unmöglich auf einen
Brief wie den Ihrigen, den man einen Urbrief, einen Musterbrief von Reichthum,
Nachrichten, Fleiß, Güte Beflißenheit u Mühe-troz nennen kann, zu ant-
worten! Vielleicht gelingt mir im laufe des Jahres ein ähnlicher; oder viel-
leicht früher Sie zu sehen. Im lieben Östreich. In Wien Baden, Prag etc.
Laßen Sie sich aber Ihren Brief nicht gereüen, alles geehrte, theüre Freündin
habe ich bis zu Schauder auf den Backen u Thränen mitempfunden. O! Gott
Sie sind ein handlender Held gegen mich. Ich ein elender Hammlet.
Ich liebe was „ich ehre u bewundere: u kein Mensch folgt Ihrem Schicksal
mit regerem Antheil. Aber man quelt, u quelt sich! Keine Würdigkeit
schützt; Im Gegentheil. Lesen Sie Einmal des 70Jährigen Pestalozzis
Erklarungen in der Beÿlage zum Morgenblatt;
wie der erst jetzt sich ent-
schließen will seinem Innren zu folgen. – Die wahre Mischschung von Hart-
nekigkeit u weichheit ist nur ehrwürdig u einträglich. Sonst sitzt
man als Narr mit seiner klaaren Einsicht. Nun bin ich gar durch
einen Besuch, den General Tettenborn der von Badenbaden hier ist gestöhrt!
Nur so viel. Ich kenne keine kunstvollere Stelle als die in Woltm:
Leben
wo er sagt daß er der letzte ist den der deütsche Kaiser adelte.
Wie das Duelgespräch in Goethens Tasso
kann ich sie 1000 Mal lesen
u nie begreifen wie man solches aufeinander bringen kann, da es
doch nur so aufeinander kommen kann. Das ist die Kunst: Woltm:
Stelle ist noch obenein unergründlich, wie die Geschichte, wie die Natur
selbst; nur so zu verstehen, wie man sie zu nehmen vermag.
Ein wahres Witzstück, Kunststück. Schreiben Sie nur ja den Roman

aus! u die göttlichen Sagen
. Segne Sie Gott mit Kraft u
Genuß! Ich erwarte meine Geschwister
aus Berlin: aber schon
länger, welches Warten mir den Sommer zerstükelt. Pestalozzi!
Viel Gesundheit! Adieu, adieu! Sehen Sie arnsteins die haßen mich
gewiß. Ich kann aber nicht schreiben. Arnsteins lieb’ ich gewiss.]

Seite „93v“