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Wien

Cajetan Josef Schiefer: Übersichtsplan von Wien mit Bezirkseinteilung (1862) (Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartografische Sammlung, Sammelbestand, P1: 249.3).

Das Wiener Gesellschaftsleben des frühen 19. Jahrhunderts hat seine Ursprünge vor allem in der spezifisch österreichischen Ausprägung der Aufklärungskultur zur Zeit Maria Theresias und formiert sich damit mit einer gewissen Zeitverzögerung gegenüber den in diesem Zusammenhang maßstabsetzenden Ländern Italien und Frankreich. Einmal in Gang gesetzt, entwickelte sich das gesellschaftliche Leben jedoch rasch und intensiv. Im ausgehenden 18. Jahrhundert bestehen und gedeihen in Wien unterschiedliche Formen gesellschaftlichen Verkehrs. Um herausragende Persönlichkeiten der Wissenswelt wie Ignaz von Born und Nikolaus von Jacquin versammeln sich andere Wissenschaftler zum Austausch von Gedanken. Parallel dazu bilden sich gesellige Kreise, die wesentlich die Unterhaltung zum Ziel haben, wofür als Paradebeispiel die von Ignaz Franz Castelli gegründete Künstlervereinigung „Ludlamshöhle“ gilt. Zwischen diesen situieren sich gesellige Zirkel, die in kultureller, sozialer und intellektueller Hinsicht integrativ angelegt sind. Eine führende Rolle spielen hier Frauen, die ihre Häuser Gästen öffnen, um ihnen den Raum zu Diskussionen über Literatur, Kunst und Politik zu schaffen. Den ersten literarischen Salon Wiens gründet Charlotte von Greiner geb. Hieronymus, Vorleserin und Privatsekretärin Maria Theresias. Die Salonkultur in der Hauptstadt an der Donau erreicht ihre Blüte in der Mitte des zweiten Dezenniums des 19. Jahrhunderts. Der Wiener Kongress als politisches und gesellschaftliches Großereignis lockte rund 30.000 Gäste nach Wien. Begleitet wurde die Versammlung von Monarchen, Ministern und Diplomaten, die nach der Niederlage Napoleons die Neuordnung Europas einleiten wollten, von zahlreichen Nebenveranstaltungen – Bällen, Musik- und Theateraufführungen sowie Volksfesten. Während der Kongress tanzte (so die sprichwörtlich gewordene Beschreibung der Atmosphäre dieser Jahre), standen die großbürgerlichen Salons der Jüdinnen Fanny von Arnstein und ihrer Schwester Cäcilia Eskeles im Zenit ihres Glanzes. Bei Fanny von Arnstein, die selbst Musikerin war, traf sich zwischen mittags und mitternachts die ausgesuchteste Gesellschaft Wiens zu musikalischen Soireen. Kleiner, aber ebenfalls tonangebend war der literarische Salon in der Alservorstadt Nr. 109, den die Schriftstellerin Caroline Pichler geb. von Greiner, die Tochter der ersten österreichischen Salonière, führte. Bereits in der Zeit der Koalitionskriege war dies der Ort gewesen, wo sich die antinapoleonische Opposition zu politischen Diskussionen versammelte und die Literatinnen und Literaten des Zirkels zu patriotischem Schaffen aufgerufen wurden. Der Gesellschaftssinn und das Unterhaltungstalent der „Récamier Wiens“ zogen zahlreiche prominente Vertreter und Vertreterinnen des intellektuellen Europa an, Personen, die sich in Wien auf Zeit oder auf Dauer aufhielten und das Leben der österreichischen Metropole mitgestalteten. Zu Gast in Pichlers Haus waren u. a. Joseph von Hormayr, Joseph von Hammer-Purgstall und Heinrich Joseph von Collin. Seit 1808 besuchten Dorothea und Friedrich Schlegel ihre Gesellschaftsabende sowie die Malerin Augusta von Buttlar. Regelmäßige Besucherin des Hauses in der Alservorstadt war auch Helmina von Chézy, die zwischen 1823–1830 in Österreich lebte. In der Epoche des Biedermeier klang die Blütezeit der literarischen Abendgesellschaften allmählich aus. Eine Zäsur vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlich-kultureller Veränderungen brachte die Julirevolution. Die Männer zogen sich aus den Gesellschaften allmählich zurück, die Zensur wurde verschärft, die Angst vor der Polizei wuchs. Der kulturelle Schwerpunkt der Salons verschob sich hin zur Musik. Das einsetzende politische Tauwetter, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Gesellschaftsleben in Wien neu formatierte, erlebten die ausgewählten Schriftstellerinnen aus der Sammlung Varnhagen nicht mehr.

Katarzyna Szarszewska
Cajetan Josef Schiefer: Übersichtsplan von Wien mit Bezirkseinteilung (1862) (Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartografische Sammlung, Sammelbestand, P1: 249.3).

Literatur

Moritz Alois von Becker:
„Geselligkeit und Gesellschaft in Wien“. In: Verstreute Blätter.
Wien: Carl Konegen 1880, S. 29–45.

Helga Peham:
Die Salonièren und die Salons in Wien: 200 Jahre Geschichte einer besonderen Institution.
Wien u. a. 2013.

Caroline Pichler:
Denkwürdigkeiten aus meinem Leben</hi>. Bde. 1–2. Mit einer Einleitung und zahlreichen Anmerkungen nach dem Erstdruck und der Urschrift neu hrsg. von Emil Karl Blümml.
München 1914.