Brief von Rahel Varnhagen von Ense an Karoline von Woltmann
Karlsruhe, 26. März 1818 [Abschrift]
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Karlsruhe den 26t März 1818, windiges, unstätes unbrauchbares Frühlingswetter
für Sie abmessen wollen! Ich hatte Sie in seinem Leben von Woltmann
gesprochen, ich habe Sie miteinander leben sehen. Ein Todtschlag, auch aller
Gefühle und Worte darüber, aller Aeußerungen, war dieser Sterbefall
für
mich weil ich Sie kannte; da ist nichts zu sagen, der ist wie unser eigener
Todt, wie alles Elend hier, nicht zu fassen! Nichts erregte mich aus dieser
tiefsinnigen Stupidität, beleuchtete zu erst, die dunkeln Wogen in der Busens-
Tiefe, als die wahrhaft schöne Weise, wie Sie den Verlust auffäßten und
ausdrückten! Ein Künstler im Unglücke im Schmerz, meine höchste Bewun-
derung, aber der gleich, die ich für einen Virtuosen empfinde, woraus gleich
die leidenschaftlichste Liebe für ihn entspringt, nur die größte Dank-
barkeit gegen die Natur, die so schön machte und beschenkte!
Daß Woltmanns
Ende hier, durch Sie so wirken mußte, ist Ihnen gewiß eine genugthuende
Betrachtung! Aber ins Tiefste gekränkt war ich, und bin es noch, daß
er so unwürdig leiden mußte. Es bleibt entsetzlich, daß ein Mensch, ein
Wesen mit Gedanken fähig ist gemartert zu werden. Wissen Sie, die bloße
Möglichkeit die Vorstellung davon, bringt mich in meinem ruhigen Bette, oft
dem Unsinn nahe: Das ist meine größte Hypochondrie, erst Vorgestern
Nacht bekam ich von solchen Gedanken einen schwindelten Blutzufluß nach
dem Kopfe, ein Dröhnen in den Händen, und einen Schreck in der Brust.
Nein zu Ihnen kann ich mich gar nicht vergleichen! Und wenn ich Stärke habe
so kommt sie mir auf eine so andere Weise als Ihnen zu, daß ich mich dabey
nicht liebenswürdig finde, bei Ihnen wird es ein schönes Gebild, ihr Schmerz,
ihr Leid, weil Sie zur That, zur ruhigen That werden, eine Gestalltung
zum weiter leben zum weiter bilden, eine Art Elisium wo, wenn
auch nur Gedanken gebildet werden, sie doch für Sie und Andere, ein
abgeschloßenes schönes Leben führen, unserm schönsten ähnlich, und es
so kommt sie mir auf eine so andere Weise als Ihnen zu, daß ich mich dabey
nicht liebenswürdig finde, bei Ihnen wird es ein schönes Gebild, ihr Schmerz,
ihr Leid, weil Sie zur That, zur ruhigen That werden, eine Gestalltung
zum weiter leben zum weiter bilden, eine Art Elisium wo, wenn
auch nur Gedanken gebildet werden, sie doch für Sie und Andere, ein
abgeschloßenes schönes Leben führen, unserm schönsten ähnlich, und es
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anfeuernd hier weiter zu handeln; kurtz, bei Ihnen wird der Verlust
schön, der Schmerz ein Ressort zum Leben / bei mir ist es jedesmal
eine Amputation, (und wer nicht verzweifeln kann muß nicht leben)“
es das Schicksal wollen, Gott, ich muß es leiden, daß es recht ist, ist Ihre
Sache. Ich kann nichts schönes darin finden, nichts Schönes daraus machen.
Ich trage es so, so wie es ist. Und meine Freude ist mir recht zu sehen, wer
ich nicht bin, was ich nicht habe, was mir fehlt. Nun sollte man denken, daraus
kämen eine Erbitterung; eine Schärfe gegen Menschen? Die reinste Milde;
Alles verzeihe ich ihnen: Das Meiste von ihnen verstehe ich, Ihre Situation
finde ich so erbarmungswürdig, so gedrängt, erkläre mir alles daraus.
Nur durch augenblicklichen Zorn werde ich noch in Empöhrung gebracht, wenn
ich Wahrheitssinn, und die Liebe – eigenster Geist – zu ihr, vermiße, und
mich dünkt die Menschen wollen nicht verstehen; aus stupiden, niedern, kleinen
Absichten. Vor dem großen Werke des Daseÿns überhaupt, bin ich in der
dehmüthigsten Bewunderung! Und ganz guten Muths! Das überragt
mich ganz. Alle nur möglichen
sogar die Unverständlichkeit davon, mach
ter; das reißt mich fort, wie hier, jetzt schon in’s Leben, zum Leben,
die große Neuigkeit! ist auch eine Art Gemüthsart, meine
Blutmischung Schuld ist; und der Leichtsinn, der bey schwermüthigen
mit dem Alter kommt, da sie früher müde werden müssen, und auch
sehen daß bei allem Hetzen sie doch mit dem Strohme schwimm, wenn
auch noch so seitwärts getrieben hatben und daß die Ufer nur scheinbar da sind.
So steht’s um mich, das kann wohl weich und hülfreich machen, stark
und gewand das eigene Leben zu ertragen. Aber sonst Schönes,
Kunstwerken zu Vergleichendes, auch nur Fabrikenartiges zum,
Gebrauch, bringt es nicht hervor. Keine rechte Erdentochter bin ich nicht,
wenn auch ein rechtes Erdenkind; ich hänge gewaltig an dem was sie uns
schön, der Schmerz ein Ressort zum Leben / bei mir ist es jedesmal
eine Amputation, (und wer nicht verzweifeln kann muß nicht leben)“
kann
es das Schicksal wollen, Gott, ich muß es leiden, daß es recht ist, ist Ihre
Sache. Ich kann nichts schönes darin finden, nichts Schönes daraus machen.
Ich trage es so, so wie es ist. Und meine Freude ist mir recht zu sehen, wer
ich nicht bin, was ich nicht habe, was mir fehlt. Nun sollte man denken, daraus
kämen eine Erbitterung; eine Schärfe gegen Menschen? Die reinste Milde;
Alles verzeihe ich ihnen: Das Meiste von ihnen verstehe ich, Ihre Situation
finde ich so erbarmungswürdig, so gedrängt, erkläre mir alles daraus.
Nur durch augenblicklichen Zorn werde ich noch in Empöhrung gebracht, wenn
ich Wahrheitssinn, und die Liebe – eigenster Geist – zu ihr, vermiße, und
mich dünkt die Menschen wollen nicht verstehen; aus stupiden, niedern, kleinen
Absichten. Vor dem großen Werke des Daseÿns überhaupt, bin ich in der
dehmüthigsten Bewunderung! Und ganz guten Muths! Das überragt
mich ganz. Alle nur möglichen
ersinnlichen Vorstellungsweisen, und
sogar die Unverständlichkeit davon, mach
mich eigentlich in der Tiefe mun-
ter; das reißt mich fort, wie hier, jetzt schon in’s Leben, zum Leben,
die große Neuigkeit! ist auch eine Art Gemüthsart, meine
Blutmischung Schuld ist; und der Leichtsinn, der bey schwermüthigen
mit dem Alter kommt, da sie früher müde werden müssen, und auch
sehen daß bei allem Hetzen sie doch mit dem Strohme schwimm, wenn
auch noch so seitwärts getrieben hatben und daß die Ufer nur scheinbar da sind.
So steht’s um mich, das kann wohl weich und hülfreich machen, stark
und gewand das eigene Leben zu ertragen. Aber sonst Schönes,
Kunstwerken zu Vergleichendes, auch nur Fabrikenartiges zum,
Gebrauch, bringt es nicht hervor. Keine rechte Erdentochter bin ich nicht,
wenn auch ein rechtes Erdenkind; ich hänge gewaltig an dem was sie uns
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Handel verstehe ich nicht; oder vielmehr in den kann ich mich nicht einlassen,
und thue ich's Einmal, so hat sie mich angeführt, und dem Starken kann ich
mich auch bei keinem Gotte fügen; auch fällt es mir gegen Niemand niemals
ein: so blieb' ich denn eine Art Betrachter und keine Tochter von ihr, die ihre
Art annimmt und Heurathsguth, und Geschenke aller Art erhielt. Ich bin
eine Art gesunderer, brünetter, vergnügterer Hamlet. Mit großer
Verwunderung für geistreiche Leute, die nicht so sind wie ich, daß sind Sie!
Es freuet mich ungemein, daß Sie diesen Sommer die Lieblings=Schwester
und die Mutter haben werden. Großes stilles Glück. Im lieben voll-
saftigen Böhmen! in einer Art von unerschütterten ,
Volk seiner Erde gemäß lebt, und noch nicht so wie die
ist. Im dicken Prag mit seinen Kirchen, Pallästen, Hradschin, Brücke,
schönen Obst, und den tausendfältigen kleinen Spatziergängen,
großen Aussichten. Ich gratulire Ihnen. daß Sie aus dem lichten
klaren Lande sind [×××]; obgleich ich alles Gute vom Vaterland ein-
sehe. So bin ich auch in dieser Rücksicht gerne in der wohlgepflasterten
reinen heitern Stadt, wo jede Straße und jeder Platz nach entfernten
Bergen sieht; zwischen Heidelberg, Mannheim, Straßburg, Frankfurt,
kurtz, bei zwanzig angenehmen Orten, alle nur einen Tag weit und
die
fehlt sehr. Dieser Defizit geht mit uns zur Leiche! – kein Wort mehr!
Mündlich einmal! Ich liebe Böhmen zu sehr. Und, begreifen Sie mein
schlechtes Herz! – ich sehne mich mehr nach Orten als bestimmt nach
Menschen. Bei den Orten stell ich mir auch gleich die Menschen vor.
Wo wohnen Sie denn jetzt in ?
hoffen?!
und die Mutter haben werden. Großes stilles Glück. Im lieben voll-
saftigen Böhmen! in einer Art von unerschütterten ,
wo das
Volk seiner Erde gemäß lebt, und noch nicht so wie die
auf
ist. Im dicken Prag mit seinen Kirchen, Pallästen, Hradschin, Brücke,
schönen Obst, und den tausendfältigen kleinen Spatziergängen,
mit
großen Aussichten. Ich gratulire Ihnen. daß Sie aus dem lichten
klaren Lande sind [×××]; obgleich ich alles Gute vom Vaterland ein-
sehe. So bin ich auch in dieser Rücksicht gerne in der wohlgepflasterten
reinen heitern Stadt, wo jede Straße und jeder Platz nach entfernten
Bergen sieht; zwischen Heidelberg, Mannheim, Straßburg, Frankfurt,
kurtz, bei zwanzig angenehmen Orten, alle nur einen Tag weit und
die
mit Theater und einem gewissen Wohlleben. Anderes
fehlt sehr. Dieser Defizit geht mit uns zur Leiche! – kein Wort mehr!
Mündlich einmal! Ich liebe Böhmen zu sehr. Und, begreifen Sie mein
schlechtes Herz! – ich sehne mich mehr nach Orten als bestimmt nach
Menschen. Bei den Orten stell ich mir auch gleich die Menschen vor.
Wo wohnen Sie denn jetzt in ?
Mit einer Aussicht? Ich will
hoffen?!
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Alle
ständlichkeit davon, machen mich eigentlich in der Tiefe munter; diese
große Betrachtung reißt mich fort zur größten Hoffnung, wie hier jetzt
schon in's Leben, zum Leben, diese große zu erwartende Neuig-
keit!
nur ersinnlichen Vorstellungsweisen, u selbst sogar die Unver-
ständlichkeit davon, machen mich eigentlich in der Tiefe munter; diese
große Betrachtung reißt mich fort zur größten Hoffnung, wie hier jetzt
schon in's Leben, zum Leben, diese große zu erwartende Neuig-
keit!
Aber es müßen reine Geschenke der Erde seÿn;
[Karl August Varnhagen]z. 26. März 1818.
An Fr. v. Woltmann.
An Fr. v. Woltmann.
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Bitte deine liebe Frau in [###]
um das Manuskript d. [###]
Orleans und um die üb[###]
die S. noch von reich[###]
in wenigen Stunden [###]
bekommen. Ich will [###]
in meinem Katalog [###]
Leb wohlum das Manuskript d. [###]
Orleans und um die üb[###]
die S. noch von reich[###]
in wenigen Stunden [###]
bekommen. Ich will [###]
in meinem Katalog [###]
Herzliche Grüße der
lieben guten Rahl[e]
Silvia