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Brief von Karoline von Woltmann an Wilhelm Dorow

Berlin, 29. Juli 1836
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 281 Woltmann Karoline von, Bl. 14-16 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Karoline von Woltmann
Empfänger/-in
Wilhelm Dorow
Datierung
29. Juli 1836
Absendeort
Berlin
Empfangsort
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 215 mm; Höhe: 255 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

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Karoline von Woltmann
an Dorow.
Berlin, 29. Juli 1836.

Dorow.

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Karoline v. Woltmann

Zu meiner Freude, geehrter Herr, habe ich die Dalbergischen
Briefe nicht verbrannt; sie erfolgen, als Zeichen meiner Er-
kenntlichkeit für das mir gütig verehrte Heft,
meines Antheils
für Ihr merkwürdiges Unternehmen. Mit dem größten Inte-
resse laß ich jenes. Das Interesse an Handschriften ist
ein mir überkommenes, von Woltmann, der großen Werth
auf sie legte, in Schriftzügen wie in Gesichtszügen nach dem
Charakter der Menschen spähte, ihn daraus folgerte. Sie
verändern sich auch und altern, wie Gesichtszüge; und die
Mannigfaltigkeit der menschlichen Handschriften bei den
wenigen Zügen aus denen unsre Schriftzeichen zusammenge-
setzt sind, hat etwas nicht weniger Wunderbares, als die
Mannigfaltigkeit der menschlichen Physgionomien, bei den
wenigen Zügen, aus denen das menschliche Gesicht gebildet ist.
In beiden zeigt sich die durchdringende Gewalt unsrer
Wesenheit. So lange wir aber das Kombinationsvermö-
gen

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gen, diese Kraft der Bewegung unsres Geistes, Seiltänzer
-sprünge machen, das Heterogenste in kecker unverstän-
diger Verrenkung aneinanderstellen lassen, solange wir
die also entstandenen Monstruositäten, als neue Offenba-
rungen der Natur anstaunen und verehren, bleibt das Geheim-
niß jener Wesenheit uns verhüllt. Meine Kindheit grenzte
an die Sturm-und Drangs-Periode der deutschen Littera-
tur; ich habe noch persönliche Erinnerungen daran; Sie fiel in
die Werthersche Empfindsamkeitsperiode, welche unter aller-
hand Modificationen sich bis zur Zeit Fouqués fortsetzen
sah, wo die Gemüthsperiode eintrat, und durch Deutschthüme-
lei in die romantische Periode überführte. Die äußerlichen
Contraste, worauf sich das Romantische bezieht, mußten
bald ermüden und auf die unerschöpflichen Contraste des
Innern verweisen. Diese aber werden durch eine stete
Richtung des Inneren verwischt; sie entstehen durch dessen
Verworrenheit und Leidenschaften. So ist das Interesse
für

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eine solche Richtung des Inneren, für Klarheit und Harmonie, zu-
rückgedrängt; eine Art Romantik des Ausdrucks schroffe, frap-
pante Wendungen sind beliebt worden; jene Abgötterei der
Persönlichkeit, der Leidenschaft, des Momentanen, jene Geist-
reichigkeitsmode ist aufgekommen, wobei Persönlichkeiten,
wie das Buch
größtentheils zeigt, welches Sie mir gütig geliehen, als Heroen
auftreten mögen. Ich hoffe auch das zu überleben; buchstäb-
lich neugierig, wohin es führen wird. – Zusammengenommen
mit den Briefen von Gentz an Frau von Varnhagen, bildet
der Brief desselben in ihrem Hefte
den Tippel auf's i, zur
Vorstellung seines Charakters. Daß sich Ansichten über äu-
ßere Gegenstände total verändern können, daß man in
Momenten, auch in ziemlich langen, entgegen der Richtung
fühlt, welche das Leben überhaupt genommen, kommt wol all-
gemein vor: die Erscheinungen sind mannigfachst tief, und
die Eindrücke hundert gegen Einen – Daß das Leben selbst
seine Richtung so umkehren, sich willkührlich die Krone abbre-
brechen

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chen kann womit es in Licht und Luft ragt, die Krone seiner
Menschlichkeit, als Viehleben zu vegetieren, nachdem es die
höhere Richtung so klar erfaßt worden, könnte man den Wor-
ten trauen, so energievoll erfaßt worden – Das gehört zu
den Dingen, die sich nur ein Mal bei dieser Persönlichkeit, zu-
tragen konnten. Ich mache Sie aufmerksam auf Woltmanns
kurze Charakteristik von Genz in den Deutschen Briefen.
Zu den Briefen des Fürsten Primas lege ich Briefe von Böttiger
und Fouqué; interessanter als Schrift, denn des Inhalts wegen.
Indessen charakterisiert auch dieser Böttigers dienstfertiges Wohl-
wollen und Fouqués ritterlich manierirte Höflichkeit. Wahr-
scheinlich haben Sie selbst von Böttiger wichtigere Briefe. In diesem
Fall erbitte ich mir die beifolgenden zurück. Wollen Sie davon
Gebrauch machen, wünsche ich einige, Oesterreich angehende Stellen
zu omittiren.
Auch ein Billet von Frau von Varnhagen, und ei-
nen Brief derselben an mich habe ich beigelegt. Letzterer ist
abgedruckt. Nicht ganz, nicht ganz so, wie er geschrieben wor-
den; nicht nach dem beifolgenden, sondern nach einer Abschrift
desselben, welche H. v. Varnhagen bevor ich ihn erhielt genommen. Das Weg-
gebliebene enthält eigenthümlichst bezeichnende wenn auch
kleine Züge.
Hochachtungsvoll
K. v. Woltmann
Berlin
den 29sten 7/36.