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Brief von Fanny Tarnow an Helmina von Chézy

Hamburg, 15. Dezember 1819
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 241 Tarnow Fanny, Bl. 51-55 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Fanny Tarnow
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
15. Dezember 1819
Absendeort
Hamburg
Empfangsort
Umfang
5 Blätter
Abmessungen
Breite: 130 mm; Höhe: 210 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „51r“

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[Karl August Varnhagen]Fanny Tarnow
an Fr. von Chézy.
Hamburg. 12/15 19.

Endlich, meine theure Helmine, komme ich dazu Ihren Brief
beantworten zu können; es wäre früher geschehen
wenn ich es in einem eruebrigten Viertelstündchen
hätte thun mögen, aber dazu war er mir zu werth,
ja ich kann sagen als ein Dokument der reinsten
Herzensgüte, zu heilig, Liebe, herzvolle Helmine,
ich werde mit Gottes Hülfe nicht in die Lage kom-
men Ihr Anerbieten annehmen zu müssen, aber
ich vergesse nie, daß Sie es mir gemacht haben.
Gott segne Sie für Ihre edle Theilnahme u schenke Ihnen
in treuer, warm u tief empfundener Freundschaft
den schönsten Lohn, den es hienieden für Herzen
wie die unsrigen giebt. –
Fürchten Sie nur nicht, Liebe, daß ich mit dem
äußern Leben zu sorgenvoll zu kämpfen habe.
Sie wissen, wenn es im Innern klar u heiter
ist, so ueberwindet man manches Sorgenvolle
leicht u freudig. Ich habe seit dem Tode meiner
edlen Fürstin die Pension verloren, die ich von
ihr hatte u die sie keiner ihrer Hofdamen, selbst
nicht ihrer vertrautesten Freundin, zu sichern
vermagte, u seitdem gar keine bestimmte Einnahme.
Diese Unsicherheit drückt mich auf Minuten u erhebt
mich auf Stunden; Gott hilft mir, oft recht wunder-
bar u auf ganz unerwartete Weise u das
macht mich dann so glücklich, wie ein Kind es
immer ist, wenn es aus Vatershand herzerfreuende
Gaben erhält. Mir bleibt bei meiner Lebensweise
das Gefühl der Abhängigkeit von Gott, so wie
die Zuversicht auf ihn viel lebendiger, als es

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bei anders geregelten Verhältnissen seyn
würde u dieser Gewinn ist mir unschätzbar.
Ich habe durchaus keine Schulden nicht, lebe ganz
unabhängig, entbehre nichts Nothwendiges u kann
auch in meiner Lebensweise dem Anstand genügen
der nun einmal in dieser Welt auch sein Recht
fordert, das ich ihm, in vornehmen Verhältnissen
erzogen, gerne zugestehe, weil er mir zur
gewohnten Lebensform geworden ist. Neigung
u Kränklichkeit halten mich von allen Zerstreuun-
gen, von allem lebhaften geselligem Verkehr
fern u diese Uebereinstimung meiner Verhält-
nisse mit meinen Neigungen ist so groß, daß
ich durchaus keine Lebensweise kenne, die mehr
nach meinem Geschmack wäre, als die, die ich führe.
O meine liebe Helmine, wie undankbar wäre ich
wenn ich mit meinem Schicksal unzufrieden wäre –
aber wahrlich, ich bin es auch nicht, sondern mein
ganzes Herz ist Dank gegen Gott u nur das
Nervenuebel an dem ich, vorzüglich im Winter
als unaufhörliches, mich nie verlassendes Kopfweh
leide, macht mir zuweilen die Arbeit, die mir
sonst Freude ist, schwer u verdüstert meinen
Sinn. Indessen werde ich dann nur betrübt,
nicht ungeduldig u ich hoffe auch, den Geist
mehr u mehr von den Banden dieses Körper-
drucks frei machen zu können. Auch kann ich
mich noch so innig, so herzlich freuen – heut z.B.
bin ich froh u glücklich, wie eine kleine Königin.
Ich habe gestern eine vollendete Arbeit fortge-
sandt u mir nur aus eigner Machtvollkommenheit

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bis Neujahr Ferien zuerkannt, in denen ich
nun einmal nach Herzenslust an viele liebe
Menschen schreiben, mit mir selbst das verlebte
Jahr abschliessen u noch ueberdem recht nähen
u schneidern kann, wozu ich jetzt nur selten
komme. Solche Freien habe ich seit zwei Jahren
mir nicht zugestehen können u ich freue mich
dazu, wie nur je zu einer heil Christbescherung.
Nach Neujahr will ich dann wieder mit recht frischer
Lust u Liebe schreiben. – Ach könnte ich wie ich
möchte! ich habe den Plan zu zwei größeren
Romanen ganz fertig im Kopfe u lebe jetzt
Nachmittags in der Dämmerung alle Tage eine
Stunde in den Bildern u mit den Menschen derselben – aber so
etwas findet keinen Absatz – ich muß ohne tieferes
Interresse für Almanache u Zeitschriften flüchtiges
ephemeres Zeug schreiben, weil es gefordert
u bezahlt wird. Wüßte ich einen Verleger
für einen Roman, so schriebe ich einen – aber
aufs Ungewisse hin, kann ich das nicht, weil
ich leben muß. – Ich bin in dieser Art jetzt in Verle-
genheit gerathen u wenn Sie, liebste Helmine,
mich aus dieser reißen können, so verdienen Sie
Sich ein Gotteslohn um mich. Professor Wendt
in Leipzig hat seit 9 Monaten ein Mspt von
mir in Händen: Karl v. Bourbon u Margarethe
von Valois
– das in dem ersten Band der
zu Weihnachten bei Gleditsch erscheinenden
Abendstunden
abgedruckt werden sollte – jetzt
da der Druck beginnt erklärt der Setzer, daß
mein Mspt allein 20 Bogen füllen werde. Nun

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ist es also für jene Zeitschrift gar nicht brauchbar
u es wäre mir ein schwerer Stein vom
Herzen, wenn ich einen Verleger zu dem
Buch hätte. Ich bin in solchen Geschäften u der
Art u Weise, wie sie eingeleitet u getrieben
werden müssen, gar nicht bewandert – kön-
nen Sie, Vielerfahrne, nicht die Vormundschaft
ueber meinen Bourbon uebernehmen u mir einen
Gevatter Verleger zu dem Kinde schaffen? – Nur
bald, liebste Helmine – diese Sorge liegt mir
wirklich lastend auf dem Herzen. Sollte
Hilscher
nicht darauf eingehen? – Von diesem habe ich
uebrigens noch keinen Brief u keinen Abdruck
meiner Erzählung erhalten. Nur um Ihretwillen
entsprach ich seiner Forderung u gewiß werde
ich ihm nie wieder eine Zeile für sein Blatt senden.
Mit der Fortsetzung meiner Glaubensansichten
hat
es eine eigne Bewandniß. Das Unternehmen, liebste
Helmine, ist ueber meine Kräfte. Den kindlichen
Gefühlsglauben einer gefühlvollen weiblichen Seele
konnte ich darstellen – auch einigermaßen den
Offenbarungsglauben weil dieser sich auf einen ge-
heimnißvollen phrophetischen Sinn gläubiger
Seelen gründet – aber nun mußte ich mich an
die Darstellung des Vernunftglaubens wagen
u ich kann nur mit dem Herzen denken – ich habe
durchaus nie irgend eine Art von Unterricht
in meiner Kindheit genossen u besitze auch nicht einmal
den Schein einer wissenschaftlichen Bildung u doch
läßt sich der Vernunftglaube nicht ohne eine gewisse
philosophische Consequenz der Begriffe darstellen.
So würde ich das Fragment nicht fortzusetzen

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versucht haben, wenn ich nicht vielfach dazu aufgefordert
worden wäre u wenn nicht in manchen Erscheinung
der Zeit mich zur Beschäftigung mit der Ideenreihe,
die dem Ganzen zum Grunde liegt, gezwungen
hätten. Zu einem Resultat habe ich es nie
bringen wollen – mein Zweck war nur es gebil-
deten Frauen anschaulich zu machen, worin der
Unterschied zwischen Vernunftreligion u
Christusreligion begründet sey – Aus diesem
Gesichtspunkt wünschte ich die Fortsetzung der
Glaubensansichten, die Sie im Januarheft 20 des Mor-
genblattes
als ein Brief von Steinfels an Emma

finden werden, bes aufgenommen zu sehen. Sie
ist durchaus nicht für Männer bestimmt die gewiß
das Recht haben es lächerlich zu finden, daß ich
es mir herausnehm diesen Brief zu schreiben –
allein warum soll eine Frau es Frauen nicht
auch einmal darzustellen versuchen, wie sich
in einem weiblichen Gemüth Vernunft gestaltet? –
Ich halte mich wahrhaftig nicht für so gebildet, daß mich
nicht viele Tausende meines Geschlechtes an Bildung ueber-
treffen u Hunderttausende mit mir auf gleicher
Stuffe der Bildung stehen; das Bedürfniß
was ich also empfunden habe mir Antwort
auf gewisse Fragen zu geben, empfinden
gewiß Unzählige u für diese sollen diese
Fragmente nur ein Fragenzeichen seÿn – durchaus
nichts anders. –
Haben Sie Voß Schrift
gegen Stollberg gelesen? sie
ist eine merkwürdige Erscheinung. Auf mich hat sie einen
unangenehmen Eindruck gemacht u doch ist es gut, wenig-
stens für die hiesiege Gegend, daß manche Dinge

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öffentlich zur Sprache kommen. Sie glauben nicht
wie vielfach der Boden unterminiert wird
auf dem wir wandeln – schon die Finsterniß in
der das Gewürm arbeitet, verkündet, daß es
kein Werk des Lichts ist, was sie zu fördern
streben. Fast alle Frömmler sind Heuchler; ich
wenigstens – u ich habe in diesen letzten
Jahren viel mit Mystikern u Sectirer ver-
kehrt – habe noch keinen wahrhaft tugendhaften
u edlen Menschen unter ihnen angetroffen.
Ein Beweis davon ist z. B. auch dieser Gebauer
der seinen Verleger u mich u vielleicht auch mehrere
Mitarbeiter der Morgenröthe auf die unwürdigste
Art geprellt hat. Büschler hat ihn schon im vorigen
Frühling das Honorar für beide Theile der Morgenröthe
mit 1400 rl gezahlt, wogegen er sich anheischig machte
die Mitarbeiter zu bezahlen u das Mspt zum
2ten Theil in den ersten Tagen des Novembers
abzuliefern. Nun hat Büschler noch kein Mspt u
trotz seiner Anmahnungen die Mitarbeiter noch
kein Geld für den ersten Band. Daher finden Sie auch
meine Fortsetzung der Glaubensansichten
im Morgen-
blatt. Es ist hart genug daß Gebauer mich um
11 Louisd’or betrügt – die Fortsetzung kann ich
keinem Menschen, den ich verachten muß, anver-
trauen. – Hätte er nicht in allen seinen Briefen so
viel von Frömmigkeit u Tugend geschwatzt, so wäre
sein Betragen eine Unwürdigkeit, wie Einem leider
davon viele im Leben vorkommen – aber das
Heiligste zum Deckmantel für Betrug u Lüge
mißbrauchen zu sehen, empört. –

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Ein Vorfall der mich auch tief erschüttert hat ist
der Tod des Ihnen gewiß auch bekannten Satyri-
kers Friedrich, den er in den Fluthen der Elbe
gesucht hat. Der Mann hat mich als Schriftsteller
nie, als Mensch nur in den Gränzen einer
gewöhnlichen freundlichen Bekanntschaft inter-
ressirt, aber sein Tod hat einen düstern Ein-
druck auf mich gemacht. Er ist ein Opfer der
Zeitereignisse geworden. Die Karlsbader
Beschlüsse
waren ihm das Todesurtheil
der deutschen Freiheit, die er nicht ueber-
leben wollte. In No. 148 der Originalien

finden sie seine, zwei Tage vor seinem
Tode, geschriebenen Abschiedszeilen. Friede
sey mit seinem Andenken! Er war ein
guter Mensch! –
Trotz des grellen Ueberganges muß ich Ihnen doch
noch ein Wort von Müllners neuem Trauer-
spiel „die Albaneserin“
sagen, das hier beinah
ausgepfiffen u nach der dritten Vorstellung
bei Seite gelegt worden ist. Unser hiesiege
sehr geschätzte Theater-Kritiker, Professor Zim-
mermann
hatte es dem Publikum als ein großes,
wahrhaft Shakespearsches Meisterstück angekün-
digt – er hatte es in der obersten Classe des
Gymnasiums als ein solches vorgelesen u dadurch
die jungen Leute für dasselbe begeistert – es
war in mehrern Privatzirkeln im Mspt
vorgelesen u das Publikum durch dies alles
in gespannte Erwartung versetzt. Ich hatte es
mir vorlesen lassen u zwar so meisterhaft
daß ich in Hinsicht auf Declamation nie einen

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reineren u höheren Genuß gehabt habe, als
die Vorlesung dieses Stückes, dessen Gräuel
u Schönheiten mich erschütterten. Ich fuhr den
Abend der ersten Vorstellung in der Erwartung
eines ausgezeichnet glänzenden Erfolgs hin – aber
das Stück war flau u das Publikum lau.
Alle Schönheiten desselben können nur durch
den reflectirenden Verstand genossen wer-
den – keine derselben trifft von der Bühne
herab wie ein Blitz die Empfindung des Zuschau-
ers. Dazu spielte es von 6 Uhr bis gegen 11 –
u welches Publikum ist phlegmatisch u gebildet
genug um ohne Zerstreuung eine höchst verwickelte
Erzählung anzuhören, deren Vortrag im 4ten
Akt allein 35 Minuten dauerte? Genug das
Stück hat entschieden mißfallen u keiner ist
unglücklicher darüber, als Zimmermann der sein
Urtheil compromittirt zu haben glaubt u nun
mit seiner Kritik in den Originalien nicht
heraus rücken will. – Sagen Sie aber nur ums
Himmelswillen keinem Menschen, daß ich das
Stück, auf der Bühne kalt u schleppend gefunden
habe – Müllner ist ein unversöhnlicher u gefährlicher
Mensch, den ich mir um keinen Preis zum Feinde
machen möchte. Wer ist sicher von ihm nicht mit
Kletten beworfen zu werden u solche Unarten
sind doch unangenehm zu erdulden. – Im nächsten
Heft der Flora
erscheint von ihm ein astronomischer
Roman
wie ich höre, von dem er sich statt des Hono-
rars 17 Exemplare bestellt hat u der wie ich glaube
Beziehungen auf persönliche Verhältnisse enthält.
Leben Sie wohl, theure, geliebte Helmine. Möge uns
der Schluß des künftigen Jahres Hand in Hand, durch Liebe,
Wahrheit u Güte verknüpft finden, wie wir es jetzt getrennt,
doch im Geiste sind. Lieben Sie mich – es thut mir so innig wohl von

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Ihnen geliebt zu seyn u glauben Sie daß ich von
Herzen u fürs Leben bin
Ihre
Fannÿ.
Vergessen Sie meinen Bourbon nicht –

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ad) 15 XII 1819