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Brief von Karoline von Woltmann an Rahel Varnhagen von Ense

Prag, 29. Juni 1818
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 281 Woltmann Karoline von, Bl. 51-55 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Karoline von Woltmann
Empfänger/-in
Rahel Varnhagen von Ense
Datierung
29. Juni 1818
Absendeort
Prag
Empfangsort
Karlsruhe
Umfang
5 Blätter
Abmessungen
Breite: 210 mm; Höhe: 250 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

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Karoline von Woltmann
an Rahel.

Prag, 29. Juni 1818.

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Prag, den 29sten Juni 1818

Wie alt ist der Monathstag Ihres letzten Briefes, liebe theure Rahel, und wie viel
älter der meines letzten, und doch habe ich ausser von zwei Freunden, der Kalb
und einem jungen Herrnhuter keine so Geist- und Seelanregenden Mittheilungen,
als von Ihnen und Varnhagen. Ich weiß, wie tief und innig, und in seiner ganzen
Bedeutung Sie das Leben fühlen und auffassen, der größte Schmerz irgendeines
Menschen würde Sie erschüttern, weil er überhaupt für uns Menschen erschüt-
ternd ist, wie nicht so mehr, da ihn eine Seele leidet, mit welcher Sie Mittheilungen ge-
pflogen haben, wie wir in dem Landhause vor dem Augezderthor
bei Prag,
das ich jetzt Gottlob wieder bewohne, und wo ich eigentlich in jenen Zeiten lebe;
denn aus dem frischmuthigen Prometheus ist nun ein stiller Epimetheus
ge-
worden, wennschon er seine Blutsverwandschaft mit jenem nicht verleugnen
wird. Ausserdem ist mein Schmerz so gerecht, beruht auf eine Trennung, die
wir leiden, erleben, erfahren, und die uns doch immer undenkbar bleibt (ich we-
nigstens komme nicht dahin zu begreifen, wie man mit einem Menschen Augen-
blick für Augenblick, Gedanken, sinnliche Eindrücke, Trachten, kurz alles, alles
woraus das Leben besteht gemeinsam haben konnte, und um auf einmal nichts
mehr, nicht einmal mehr von ihm wissen soll) und auch Ihnen ist ein seltner
Mensch und ein Freund entrissen. Wer Woltmann nicht, wie Sie, im Leben gekannt
hat, wird durch seine Schriften schwerlich ein Bild von ihm erhalten; denn das Vor-
trefflichste kann nur durch jede Art lebendiger Aeußerung erkannt werden.
Sein Schicksal war unaussprechlich hart. Eine sieche Kindheit, früher Todt seiner
Geliebten, Verkennung von seinen Zeitgenossen, Zertrümmerung seiner meisten
idealischen Hoffnungen, oft Mangel, Nichtvollendung eines Lebenswerkes,
wodurch er seiner Nation ein Ehrendenkmal zu stiften hoffte, daß ihren Schwung
vermehrte, ihre sittliche Freude, und seinen Namen ihr werth und unsterblich

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machte, lange Krankheiten, ein vorzeitiger Tod; kann man mehr Unglück
in einem Schicksal zusammenfassen, und mögte man nicht Gott anklagen? Aber
diese Kraft des Geistes, der Vernunft, der Heiterkeit und Güte, die trotz eines
solchen Schicksals ihn als Mittelpunkt zwischen Alle stellte welche mit Sinn ihm
nahe kamen, dieses Glück, das dauert, nachdem jenes Schicksal vorüber ist; kann
man anders, als anbeten und danken. Und das thue ich von ganzer Seele in
meinem Schmerz alle Tage, und fühle, ohnerachtet des frühen Verlustes meiner
vollendeten irdischen Bestimmung, noch durch vergangnes Glück mein Leben
glückselig. Meine Erinnerungen kann mir selbst Gott nicht aus der Seele
reißen, und ich muß immer wiederholen, wie ein andrer Mensch mein Ge-
fühl ausgesprochen hat: and come what maÿ. I have been blest!
Ja, selbst
wenn ich denke, daß auch in mir ein Theil der Nichtvollendung von Woltmanns
idealischen Wünschen lag, so kann mich doch nicht reuen, ihn besessen zu haben,
da ich durch und durch fühle, wie ohnedem das Wort Glück für mich ein hohler
Schall seyn würde, wovon ich jetzt Empfindung und Bewußtseyn habe. Und
wie ich glaube, ich verdiente ihn zu besitzen, weil ich ihn besaß: so glaube ich
auch die Fügung, die uns aus fremden Ländern und Verhältnissen einander
zuführte, als noch keiner von dem andern wußte, kann in andern Welten
wiedereintreten, und wird es, ist es ihm zum Glück. Der Tod eines Geliebten
Menschen stellt uns diesem überhaupt so nahe, daß man oft denkt, die
Grenze verrücke sich, und sei zum Theil zu überschreiten, und ist dies nicht,
wenn der Grund des gegenwärtigen Zustandes ganz dort zu suchen ist?
Sie sagen soviel Tiefes und Schönes über das Daseyn! Auch mir steht
steht die ganze Macht und Schwäche des menschlichen Wesens deutlich und
nun enthüllt vor Augen, seitdem ich unmittelbar, nur auf mich gestützt

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an dasselbe gestellt bin. Das Große und die Schwäche haben einen liebenswürdigen
Bund in der Menschlichkeit; aber wo auch dieser nicht wie er sollte vorhanden ist,
bewirken ähnliche Betrachtungen als die Ihrigen, die größte Versöhnlichkeit. Aber
daneben rechtfertigen und stärken Sie das Gefühl von Nothwendigkeit der eng-
sten Beschränkung einer Menschenseele, auf eine Menschenseele. Indem ich darü-
ber lache, bin ich mit Aristophanes Erklärung von dem Ursprung der Liebe dem
Sinne nach einverstanden. Lesen Sie, ich bitte Sie beim Platon in einem Gespräch
über die Liebe, die übermüthigste, zartsinnigste, geistvollste crasseste Bur-
leske.
So etwas zu vereinigen, ja verschmelzen, war nur den Griechen ge-
geben.
Vor einiger Zeit war ich auf Woltmanns Kirchhoff, der zu meinem Glück, um-
geschlossen, still und schön, ein wahrer Garten, am Fuß des Ziskaberges
liegt;

in einem andern daneben wurde ein Grab umgeworfen, ein neues zu wer-
den. Das Skelett des vorigen Besitzers lag noch unzerfallen in der Erde. Ich
betrachtete das fragile Wesen, und mit Entzücken und Bewunderung, im Geist
die Fülle von lebendigen Empfindungen, Gedanken, Entschlüssen, welche die
Natur damit zu verknüpfen vermogte. Es ist so unmöglich, daß jene Ge-
brechlichkeit nicht ein Recht behaupte, als daß sie es nicht endlich einbüße,
oder vielmehr daß es vereinigt, umgewandelt werde in das Recht der
damit vereinten höheren Natur. So suche ich mir einen lichten Punkt in
dem Gewirre, dessen Sie erwähnen, und diese Ueberzeugung, denn es ist
mehr als Glaube, erhält mich bei der Wahrnehmung des Hasses, der Ver-
worrenheit, Frostigkeit, Nichtswollenheit, dem unabsehbaren geschaffenen
erlittenen Elend, wogegen Sie Sich als ein brünetter, kräftiger, lebhaf-
ter Hamlet verhalten. Könnte ich ihn mittheilen, verbreiten, so wäre

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meiner Seele innerstes, beßtes Verlangen erfüllt. Es mußte dadurch eine
größere Freiheit, eine idealischere Richtung des menschlichen Willens ent-
springen, würde jene Ueberzeugung allgemein, und daran liegt es.
Kraft genug zeigt uns die Geschichte unter den Menschen, Zweckmäßig-
keit, Einsicht; aber die Ziele nach welchen jene Gaben streben sind mehren-
theils unbegreiflich nichtig.
Ich habe die glückliche Gabe, daß, was ich denke und Empfinde, sich mir als
Bild darstellt, ich verwende, aber ich fühle auch tief, wie unzulänglich,
sie zu jenem Zweck ist. Besser hoffe ich dafür durch Woltmanns Werke
zu wirken; indessen treten äußere Schwierigkeiten bei beidem mir wun-
derlich hemmend, und kleine Glücksfälle ebenso wunderlich fördernd entge-
gen. Geht es vielleicht immer so bei dem, was der Mensch recht innig zu
vollenden wünscht? Sie können sich davon keine Vorstellung davon machen,
die erste Lieferung der Werke verspricht der Drucker, erwarte ich zur Oster-
messe gedruckt, meinerseits ist Alles besorgt, die Geschichte Frankreichs

geht in der Druckerei verlohren, statt 52 Bogen erhalte ich dreizehn,
und erwarte nun das Ganze zu Ende dieses nächsten Monathes. Es geht gleich
zu Ihnen, wem sendet man das Beßte lieber, als denen, für die es
geschaffen ist, deren Bild dem Schöpfer dunkel bei der Arbeit im Gei-
ste vorschwebte?
Maria und Walpurgis
werden Sie erhalten haben. Hier habe ich
ches Ungemach erfahren, und schlimmeres. Der Corrector in Berlin hat
die sinnentstellendsten Druckfehler, eine Menge Auslassungen, einen
ganz versetzten halben Bogen nicht verbessert. Ich lese nicht gern

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wieder, was ich schrieb, ausserdem kommt mir das Buch erst vor drei Wo-
chen unter Augen, nun es versandt ist, und der Uebelstand nicht zu ver-
bessern seyn wird, obgleich ich den Viertelbogen umdrucken und ein Ver-
zeichniß der Druckfehler anhangen lasse. Mir scheint das Bild so be-
fleckt, wie es ist, keinen tiefen und reinen Eindruck hervorbringen zu
können. Lesen Sie im zweiten Theil nach dem ersten Absatz auf der 176sten
Seite, vom Wörtchen und in der vierten Zeile der 178sten weiter, und schal-
ten die dazwischen wegfallenden Absätze bis zu diesem Wort, zwischen
dem ersten und zweiten Absatz auf der 180sten ein. Daohne ist der Gang
der Empfindungen zerstückelt. Wenn man selbst seine Sachen gern ernst-
lich treibt, ist es wirklich oft schwer, die Fahrlässigkeiten, die man erlebt,
nicht als Boßheiten auszulegen.
Nun zu dem Tage. Zuerst zum Bundestage lieben Freunde, der ohne
es zu wissen die Politik um die Kunst bereichert, die beseeltesten Fragen
des Völkerinteresse, von denen man denken sollte, daß ihre Entscheidung
Alles aufstürmen müßte, mit geistlosen, breiten, Hinundwiederreden zu-
recht eigentlichst zu entseelen, zu umwickeln und umwinckeln wie Aegyp-
tische Mumien, bis sie Mumien sind, und Niemand sie in ihrer lebendigen
Gestalt wiedererkennt. Da haben wir ein Bundesheer, kriegen Konstitutionen,
was können wir mehr fodern? Wir sehn uns an und sind auf eine so
langweilige Art geprellt, daß wir gar nicht überlegen mögen, wie es
zuging. Daß ich ein Eremit bin, werden Sie übrigens wol diesem Briefe
ansehn, ohne die Zeitungen erführe ich wenig von der Welt, und es ist mir
recht. Das Leben kann mich nur stöhren, nicht fördern und vergnügen mehr,
ausser in der Betrachtung.
Hier bleibe ich, wo ich nicht mit Woltmann war ist mir bange wie
beim Heimweh, unter seinen Sachen, im Angesicht seiner Büste, in

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der Nähe seines Grabes in einer Stille, die kein Laut unterbrechen mög-
te, ist mir allein wohl. Ausserdem auch ist es mit mir auch dahin, daß
ich Oerter mehr liebe, als Menschen, und an die Beseelung der Gegen-
stände durch Erinnerungen aus einem ureigenthümlichen Volksleben
habe ich mich gewöhnt. Die äußeren Verhältnisse sind ganz die alten ge-
blieben. Oberstburggraf und Oberstburggräfin behandeln mich mit
ebender Güte, wie bei Woltmanns Leben, einige Bekanntschaften außer-
dem habe ich diesen Winter gemacht. Die Gemahlin des Vicepräsidenten

ist von diesen mir näher gekommen; was die Damen in Berlin sich costü-
miren und torquiren
vorzustellen, ist sie von innen heraus, eine in-
haltsvolle, stille, innige, sinnige deutsche Frau, gelehrt in der Musik,
aber auch diese auf eine Weise treibend, die ihr Seele durch das eigen-
thümliche Wesen giebt. Vollkommene Verständigung tritt nicht zwischen
uns ein; aber wir haben uns lieb. Bei ihr habe ich das Oesterreichische
gesellschaftliche Leben diesen Winter kennen lernen. In den Romanen
der Pichler ist es so treu portraitirt, daß man mit deren Gestalten
umzugehn glaubt; von solchen Schicksalen hört, solche Verhältnisse sieht
man. Es ist einfach und hat viel Angenehmes, oft wünscht man die
Norddeutschen mögten ihm Geist und Freiheit mittheilen, und Sitte von
ihm empfangen. Denn Luthers Schwung, Wahrheitsliebe und
der Eigenthümlichkeit haben unter uns doch auch noch diesen Tag einen
Zusatz von Luthers [×××] Grobheit.
Wie leben Sie, theure Freundin. Schreiben Sie mir etwas Einzelnes da-
rüber, im Ganzen kann ich es mir denken, ich sah ja den Bruch, den
Ihre Lebensweise Ihres Inneres erhalten hat; in einen solchen

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bringen die äußern Verhältnisse wenig Abweichung. So geht auch der meines
Lebens trotz der Anwesenheit meiner Mutter und Schwestern in Prag ruhig
fort, wo dies nicht seyn kann, ist es mir auch gleich unbequem. Es hat mich
innerlich sehr beruhigt sie hier zu haben, ich freue mich alle Tage daß sie
die Gegend, das Obst, die guten Lebensmittel genießen. Im Herbst ziehn
sie wahrscheinlich heim, und ich gestehe, ich sehe es nicht so ungern als mich
dünkt natürlich seyn sollte, weil ich unter dieser Bedingung, auf dem
Lande wohnen, bleiben, und meinen einsamen Neigungen genug thun kann
wie die Freiheit meiner Tage gestattet.

Nun sollte ich Varnhagen noch für die biedersten, männlichen Worte
in der schönsten Schrift, alles wie gewohnt, danken. Ich rechne von gan-
zem Herzen auf seine Mitwirkung zur Verbreitung von Woltmanns
Werken; einen besseren Dank habe ich nicht in meiner Seele. Leben
Sie wohl, theure, brave Freunde, und herzlich verehrte; bald ein Wort
der Erwiederung Ihrer

C.

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An Ihro Hochwohlgebohren
der Frau von Varnhagen von Ense
in Baaden.
fr. Gr.