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Brief von Karoline von Woltmann an Marie von Colomb

Prag, 30. Dezember 1814
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 281 Woltmann Karoline von, Bl. 4-5 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Karoline von Woltmann
Empfänger/-in
Marie von Colomb
Datierung
30. Dezember 1814
Absendeort
Prag
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 205 mm; Höhe: 250 mm
Foliierung
"Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków."
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

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[Karl August Varnhagen]Karoline von Woltmann.
an ihre Schwester von Colomb.
Prag den 30ten 112/14

Es ist das letzte Mal in diesem Jahre, meine liebste, beßte Herrin, daß ich Dir schreibe,
und mit dem Gedanken an Dich, als ob wir sprächen, bin ich es in der Erinnerung oft
durchgegangen in diesen seinen letzten Tagen. Kaum sollte man denken, daß es eins
wäre. Die Freuden und Leiden seines Anfangs sehen der jetzigen Zeit so ungleich, und
ich kann Gott nicht genug für die beiden Freuden danken, die sie versüßten und jene
schufen, für W., die kleine Mies
und die Sagen
.Wrechne ich zwar eben nur so ehrenhalber
mit auf, und indem ich es thue fällt mir ein daß ich Dich dann auch rechnen müßte. Ihr
beide gehört zu mir. Möge das neue Jahr uns nur nicht härtere Leiden bringen. Was Du
über die Stimmung in Berlinschreibst, hat mich sehr traurig gemacht. Wir lieben uns so
sehr, und wenn wir dann alle nun zufrieden leben könnten, treten wieder politische Fü-
gungen ein, die uns trennen, wie 1806
. Was ich damals davon gelitten habe, und wie oft
darüber geweint weis ich, und es wäre doch gar nichts gegen das Gefühl, wenn wir
nur hier ständen und ihr dort. Wenn die Brüder sich gegen uns schlügen, wenn die
Grenzen gesperrt wären und wir keine Nachricht von einander kriegen könnten. Das
käme von den heillosen Kriegen von Deutsch gegen Deutsch. Die Ansicht, die man in
Berlinvon der Sächsischen Besitznehmung
hat, begreife ich gar nicht. Was hat denn
Preussen anders gethan, als mit Napoleon halten, solange es ihn für den Mächti-
gern hielt. Daß der König von Sachsen dies länger geglaubt hat war schlimm genug
,
und man mußte ihn verfluchen, wie er die Sache hemmte; aber ihm sein Land darum
nehmen, ist doch um kein Haar anders handlen, als Napoleon 1806 mit Hessen
ver-
fuhr und Fulda.
Und ist es denn bloß der König, den man berücksichtigt? Das
Volk, dem er Wohlthaten erzeigt hat, das ihn liebt und ein Volk untereinander seyn
will so gut wie die Preussen, das soviel zur vortheilhaften Entscheidung
bei Leip-
zig durch seinen Uebertritt
beitrug: ist denn das ein Gericht Frösche für den Storch
der den andern davonjagen kann und sie speisen? Das wahre Deutsche ist noch
recht wenig durchgedrungen. Sage davon aber nichts bei euch, daß es keinen Zwist errege.
Die Preussen in Wien sind noch ärger; sie erwiedern: wenn man so raisonire
so wäre die Sache der Sachsen ebenso wie die der Aschaffenburger und des Groß-
herzogs von Frankfurth.
Ich frage warum auch nicht des Königs Hyronimus?
Aber genug von der leidigen Politik, obgleich ich fast an nichts denken kann, als
an die Wahrscheinlichkeit dieses Krieges. Daß ihr nun alle beisammen seyd, rührt
[Karl August Varnhagen]Frln. v. Kalb

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mich doppelt bei dem Gedanken. Eines habe ich in Deinem letzten Brief vermißt, es that
mir leid, und ich muß es Dir sagen: Mathilde
war doch auch dabei und hat Karln
auch lieb, als ihr am ersten Abend beisammen saßest, und Du schreibst nur: wir
viere. Meine liebe beßte Seele, neige Dich ein wenig zu ihr. Es ist Niemand um
sie her so vorzüglich als Du, es kann ihr Keiner soviel wohlthun für ihr inneres Le-
ben, und ich hoffe gewiß, wenn der physische Zeitpunkt eintritt, von dem ich Dir schon
einmal schrieb, so wird viel Gutes in ihr wach, womit sie sich, hast Du sie nicht abge-
schreckt, sogleich an Dich wenden, und Dir Gelegenheit geben wird es auf das Beßte
zu entwickeln. Daß Du für mich arbeitest, ist mir so lieb, als leid. Ein Weihnachts-
geschenk habe ich von der Wirtschaftsträthin bekommen, das ich lieber nach Berlin spe-
diert hätte, einen Fasan. Es ist überdem eine Seltenheit, denn die Russen haben sie
so weggeschossen, daß sie dieses Jahr 20 Gulden das Paar kosten, und im vorigen
kamen sie sechs. Es freute mich bei unsrer Abgetrentheit diese Freundlichkeit. Sie
sind überhaupt sehr brav, und müßte ich nicht grade viel schreiben, hätte ich sie schon
öfter gesehen. Du kannst nicht denken, wie Maria und Walpurgis
mich an die Zeit
erinnert, wo Du und Gustav uns immer so liebevoll nahe waren. An meine Krie-
ge mit Gustav wegen des weissen Mies
An Dein braunes Kleid, den weissen Fe-
derhut, das Morgenhäubchen mit dem blauen Bande und Dein liebes, freundliches
Gesicht dazwischen, und an deinen kraftvollen Händedruck, an alle unsre Gespräche. Unser
junger Hausherrist auch wieder unschlüssig wegen seiner Reise. Es bleiben ihm Gelder aus.
Er hat mir die Libussa
von Brentano geliehen und der arme W. muß schon wieder seinen
Jammer an meiner eingefleischten Lust an schlechten Poeten erleben, oder vielmehr an
halben: einige Stellen, besonders lyrische, gefallen mir unaussprechlich, obgleich das
Ganze dem Schreien eines genialen Verrückten gleicht. Der Abschied Przemischls von
Stadicz
. Der ganze Charakter desselben. Die Taufe eines Kindes durch eine Jungfrau, das
da keine andern Taufpathen zugegen sind, eine Primel, Himmelsschlüssel von der Wiese
dazu und von ihm den Namen nimmt. Der Aufgang des Christenthums überhaupt unter
dem wüsten Volke, am Maienfest, in der Morgenröthe, durch ein Kind und eine Jung-
frau ist unbeschreiblich zart gedacht. Aus dem Buche wird mir Brentano selbst ganz
verständlich, und es bestätigt sich, was ich beim Umgang fand. Es sind zwei Naturen in
ihm, von denen keine die andre besiegt hat, eine recht freche, böse, unreine, und eine
zarte, unbefangne, innige. So ist er nie in sich ruhig, und nur in einer tiefen Schwermuth
kann er sich fühlen. Ich glaube gewiß, daß er verrückt stirbt. Ueber meine Sagen

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eine skandaleuse, boshafte Recension in der Wiener Litteraturzeitung
. Tadeln kann der
Recensent
nichts, also tadelt er das ganze. Es wäre nicht wie Tieck, wie Musäus, wie
Madame Naubert, von der ich nie ein Wort gehört habe. Es wäre wie breites schleppen-
des Gewand um die leichte Sage geworfen. Ein dicker, lockrer Thau aus dem zarten
Faden gedreht. Ueber das Roß des Horimirz
, das wohl so interessant als Bayards
Roß
wäre hätte ich allerhand gesagt, was sich jeder /er wahrhaftig nicht; und ist es wie
Bayard so hab ich ihm diese Seele gegeben, das muß sagen wer die Sage hört, wie sie
in Hageck und in mehrern Bearbeitungen steht,/ selbst sagen könnte. Tempsky meint es sei
ein Herr Gerle aus Prag, der Volkssagen geschrieben hat, zu denen er keinen Verleger
finden können, er kenne ihn an der Madam Naubert und einer gewissen Platheit des
Ausdrucks. Ich glaube es ist Erichson der in Wien lebt. Wer es sei, so wird W. ihm tüchtig
abkapitteln,
und ist es der erstere, so können er und sein Principal, er ist jetzt bei Schön-
feldt
Zeitungsredakteur, sich geneigter Dienste von uns gewärtig halten, bleiben
wir hier. Mich hat es mehr gekränkt, als ich gedacht hätte aus vielen Ursachen. Erstlich
weil ich es nicht für möglich hielt. Denn ein Buch das viel große und Ansichten er-
öffnet, wie die Wahlverwandtschaften
, Wilhelm Meister
zum Theil, auch Werther
, kann
wohl, ist es auch vortrefflich, dadurch Gegner finden. Aber ein Buch, welches die Phantasie
heiter anspricht, das natürliche Gefühl rührt, einen seelenvollen Stoff hat, und eine Spra-
che, die selbst der Recensent loben muß, weil er einige Sätze aushebt; wie man das an-
feinden kann, begreife ich nicht. Dann ist mir mein Roß so lieb, wie meine Mies
, de-
ren Seele ich ihm eingeflößt, und es kränkte mich daß Jemand die verläugnete, und
am Ende thut die Eigenliebe auch stark das ihre zur Sache. Ich habe mir nur aber so oft
gesagt, Lob und Tadel muß ja seyn, daß ich schon damit zufrieden bin, und mir Mühe
gebe es noch besser zu machen. Ich hatte mich schon immer über die Recensionen von dem
Wolfram
geärgert, sie haben dort einen so guten Recensenten in dem Fache, ich
sagte oft: wenn der nur meine Sagen
recensirt, nun falle ich jenem albernen
Esel selbst in die Klauen. Er wird sie sich ein bischen verbrennen. Kapittele
mich
nur über die Rachsucht, den garstigen Fehler, es ist wohl gar ein Laster, habe ich stark.
Von unsrer Anstellung hoffte ich schreiben zu können, allein W. spricht den Oberstburg-
grafen
erst morgen. Es scheint eine Sache des Publikums geworden. Der junge
Hausherr sagt, er höre man fürchte nur W. sei im Tugendbunde. Du lieber Gott,
ungegründeter war wohl nie eine Furcht. Ich wünsche sie jene sehr und am meisten mit
wegen des Geldes für euch. Es ist aber gar zu viel Gutes dabei. Unsre Wohnung

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bleibt immer neu und schön. Gestern zählte ich 67 Thürme die wir sehen. Was sagst Du
zu dem Winter? Im Sommer hatten wir Kamtschatka, jetzt Italien. Umgekehrt wäre
besser. Nun lebe wohl, Du liebste beßte Seele. Ich küsse euch von Herzen und wünsche uns
allen alles Gute zum Neuenjahr. Friede, Anstellung, Wiedersehn. Mit Gott. Mit Gott. Er ist
das Licht der Trübsal, die Freude der Freude. Er ist uns allen nahe, wie getrennt wir sind.
Du Liebe, wärest Du nur bei uns. Hier zwischen allen Sternen denkt man gern an ihn, und
W. liebt ihn auf eine andre Art wie ich.
Ewig Deine
K.

Muttern und allen Geschwistern,
die herzlichsten Wünsche von uns.

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