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Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense

Genf, 3. September 1855
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 304-305 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
3. September 1855
Absendeort
Genf
Empfangsort
Berlin
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 215 mm; Höhe: 270 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „304r“

304

[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy.
Genf, den 3. September 1855.
Hochverehrter
Unaussprechlich theurer Freund!

Tausenderlei hätte ich Ihnen zu schreiben, doch ich will Ihre
lieben Augen, und Ihre edle Zeit soviel als möglich schonen
da ich einsehe, welche Opfer Sie mir schon gebracht, und noch brin-
gen werden. Es ist mir schmerzlich, und ich bin beschämt da-
rüber, daß ich Ihnen erst mit meiner Sendung die Auto-
graphen schicke. Ich kann nichts dafür. Es war nichts ge-
sund an mir, als mein Kopf, bei der entsetzlichen Hitze,
und ich lag von der Gicht gelähmt. Dabei zitterte ich we-
gen der Verzögerung. Die arme Bertha hat sich fast
todgeschrieben. – Wir haben uns keine Zerstreuung er-
laubt, und eben so wenig eine Erholung. Es galt nicht
allein die lange Arbeit zu fertigen, sondern auch
sie zu vervollkommnen. Ein mächtiger Sporn war der
Wunsch; daß Sie zufrieden sein möchten. – Sind Sie es!
So ist es die ganze Welt! Zum Streichen gebe ich Ihnen
Vollmacht. – Sollten Sie für gut finden, sollte es Ihnen
Zeit, und Freude am Werk verstatten, Drucker an-
zufügen, und Lichtpunkte aufzutragen; – so kenne ich
Ihre Großmuth, und Ihren Genius. – 

Seite „304v“

Ich halte dafür daß dies Werk
am angemeßensten
in den kürzesten Tagen erscheint, wo man gern liest.
Kann es früher erscheinen, desto beßer.
Ich sende zwei und ein halb Drittel davon. Das Gan-
ze ist fertig, aber noch nicht ganz abgeschrieben.
Bis Sie durch sind, kommt der Schluß. Aus dem Eingesen-
deten wird Dr. Partheÿ entnehmen, ob Ihm das
Werk zusagt. Nach der strengsten Prüfung habe
ich mich davon überzeugt; daß ich es hoffen darf. ̫ 
Dann steht ja nichts mehr im Wege, daß Er mir die Be-
dingungen mittheilt, unter denen Er es zu unterneh-
men denkt. Ich habe mit Niemand über diese Angelegen-
heit das Geringste verlauten laßen. Ich hätte sie so
gern beschleunigt, ich war zu gewißenhaft, dies auf
Kosten des Werkes zu thun.
Wenn dieser Brief Sie zu Hause trifft, in Welchem ich
meinen guten Genius verehre, – so hoffe ich, von Ihnen
zu erfahren, ob ich das Manuskript sofort an Sie soll
abgehn lassen; und was sonst nöthig wäre, zu meiner
Belehrung hinzuzusetzen. Ich weiß nicht ob, und wie,
die Memoiren
von George Sand Ihnen zusagen
mein Bewußtsein sagt mir mit Freudigkeit, daß
ich mit der höchsten Selbststrenge zu Werk gegangen

Seite „305r“

bin, und die Pflicht der Wahrheit und Kürze genauer
beobachtet habe. Jede Sÿlbe ist geprüft worden. Unsre
Zeit erfordert Gedrängtheit. Da die göttliche Vorsehung
die Begebenheiten so zusammen drängt, daß einem der
Athem vergeht. – Keim und Knospe der Gegenwart
sind so überreich gestaltet, daß ein solches Entfalten da-
raus hervorgehen mußte. Ich hatte mir eine so schwere
Aufgabe gestellt, daß ich überrascht davon bin, sie so glücklich
gelöst zu haben.
Ich schließe. Meine liebevollsten Wünsche begleiten diese
Zeilen. Gott erhalte Ihrem Herzen die Jugendkraft, die
es belebt! Die Unsterblichen werden nicht alt. – 
Ihre
dankbare Freundin
Helmina
Genf den 3ten September
1855.
Die Adreße ist wie bisher.
Ich bitte dringend um die Ihrige.

Seite „305v“

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