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Brief von Elise von Hohenhausen an Helmina von Chézy

Berlin, 15. April 1822
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 88 Hohenhausen Elise von, 15.04.1822 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Elise von Hohenhausen
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
15. April 1822
Absendeort
Berlin
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 120 mm; Höhe: 196 mm
Foliierung
Keine Foliierung durch das Archiv vorgenommen. Keine Paginierung durch die Absenderin vorhanden.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; Auszeichnung nach TEI P5 und Kommentierung durch Katarzyna Szarszewska; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]
Elise von Hohenhausen
an Fr. von Chézy.
1822.

Berlin d 30 Febr 1822

Wohl weis ich, verehrte Freundin, daß ich
recht sehr von Ihnen Tadel verdiene, weil
ich so lange schwieg. – Statt aller Entschul-
digung das Bekenntnis „Ich vermag und
vermochte, im Kampf mit Schmerz und
Sorge, schon lange nicht heiter und freund-
lich zu schreiben, und will lieber allein
tragen als meine Freunde durch Klagen
quälen. Doch da ich eben etwas zur Abend-
zeitung
schicke muß ich doch durchaus fragen
wie Sie leben. Eigentlich sollte dies durch
Blankensee geschehen, der diesen Winter
nach Dresden wollte, aber er hat lange
nichts von sich hören lassen und ist den
ganzen Winter nicht nach Berlin gekommen
meines Mannes Schicksal und Aufenthalt
in

Seite „1v“

in Berlin ist noch immer nicht entschieden
und wir allen Qualen der Ungewisheit
hingegeben indessen so viel ist wohl ge-
wis, es komme wie es wolle, daß ich mit meinen
Kindern Berlin so bald nicht verlassen werde
da wir alle unsre Verhältnisse in Minden
aufgegeben haben.–
Zu meinem großen Trost kann ich wieder
Schreiben und lesen,
und habe was ich von
Berlin gesehen habe, in Briefen erzählt, die
wohl künftigen Sommer gedruckt werden.

Dichten aber kann ich gar nicht. Eine wahre
Eisgletschergleichgültigkeit sitzt mir im
Herzen und in dieser kalten Atmosphere ster-
ben alle warmen Gefühle, ehe sie zur
Phantasie hinaufteigen, und was diese bilden
soll, muß doch im Herzen entspringen, sonst
kann es nicht wieder zum Herzen gehen.

Seite „2r“

Es giebt solche Mächte im Leben, und es
soll ja zu unserm Glück, zu unserm Seelen-
heil dienen, wenn wir leiden müssen aber..
wohl nimmt unsre Gleichgültigkeit gegen
Lebensfreunde zu, doch das Herz verarmt
recht an Liebe und Vertrauen. –

Sehen Sie wohl das ich Recht hatte, nicht zu schreiben
die Farbe meiner Seele steht schon wieder
auf dem Papier. –
d 15 April. Welche lange Zeit liegt zwischen
dem Beginnen des Briefes und seinem
Ende – doch ist unser Schicksal noch nicht entschieden
wird es aber bald seÿn, Berlin ist mir unbe-
schreiblich lieb geworden und ich hoffe dies
mal wird meine Resignation nicht auf die
Probe gestellt.
Blankensee war 8 Tage hier, recht heiter
und liebenswürdig, das heißt zuweilen, –
mitunter beherrschen ihn auch des Trübsinns
dunkle Mächte –
Diesmal komme ich nicht ohne eine
Gabe

Seite „2v“

Gabe für Iduna.
Die Nacht am Jura meinem
Liebling Bÿron (kann man beständiger seÿn
wie ich?.) nachgebildet, oder vielmehr im
Versmaaße des Originals höchst treu übersetzt.
Arthur von Nordsterns Uebersetzung des ersten
Canto
habe ich gelesen. Alle Poesie ist darin
untergegangen, obwohl der tief wissenschaft-
lich gebildete Geist des Britten sich vollkom-
men in der Uebersetzung abspiegelt – Recht
schlecht sind die Romanzen Good night,
haben
Sie meine Verdeutschung im Morgenblatt

gelesen? – Warum hat die edle Fürstin
Pauline
so früh sterben müssen? – Mit
herzlichem Antheil las ich die Briefe an
Sie in der Abendzeitung
,
und bedauerte
recht, daß ich ihr so lange nah war und
sie nicht kennen lernte.
Möge der Frühling in Dresdens heitren Um-
gebungen Sie beglücken und auch Erinnerung
an die so lang nachlässige Elise sich
in That übertragen – Wie immer –
Die Ihrige

v Hohenhausen.