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Brief von Elise Rächler an Helmina von Chézy

Nordhausen, 7. Januar 1821
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 222 Rächler Elise, 07.01.1821 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Elise Rächler
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
7. Januar 1821
Absendeort
Nordhausen
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 126 mm; Höhe: 206 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Elise Ehrhardt
an Fr. v. Chézy
Hochverehrte Frau!

Eine angenehmere, liebere Weihnachtsgabe hätte mir nicht
werden können, als Ihr so gütiger werther Brief,
nebst dessen holder Begleiterin, der Iduna
welche ich
wenige Tage vor dem H. Weihnachtsfeste empfing.
Sehr nachsichtsvoll, sehr liebreich nehmen Sie meine klei-
nen Lieder
auf und überall in Ihrem huldvollen
Schreiben spricht die Liebe, die herzliche Theilnahme, die
das schüchterne Talent ermuthigen möchte, so wohlthuend
zu meinem Herzen. Wenn man nun schon in solcher
freundlichen Anerkennung seine Schwächen doppelt leb-
haft fühlt, so giebt doch sie allein den aecht frohen
Muth zum Vorwärtsstreben. Sehr reich und lieblich
ist Ihre Iduna
ausgestattet, vorzüglich durch Ihren
herrlichen, historisch-topographischen Beitrag: Die
Abentheuer in der sächsischen Schweitz.
Wohl hätte ich
mit wandeln mögen zu all den Wunderstätten
der erhabenen Natur, und mit horchen auf Wilhelms

sinnige Vorlesung – Doch bin ich nicht wirklich mit ge-
wandelt? Habe ich jene Schilderungen aus jener Zeit
der Verderbniß nicht wirklich vernommen? Ja, die
ganze Vorstellung haucht Leben, Wahrheit in dem
züchtig reinen Gewand zarter Frauensitte. Ich habe
diese Bogen sehr lieb, und vielen Unterricht aus ihnen

Seite „1v“

geschöpft. Auch die Briefe der Frau Friederike
Brunn
haben mir zugleich Belehrung und Vergnügen
gewährt, und auch alles Übrige ist gar lieb und
hold; unter den Gedichten besonders der Schmetterling,

und die Waldkapelle.
Gänzlich dankbar müssen
sich Ihnen deutsche Frauen und Jungfrauen für diese
Unternehmung verpflichtet fühlen.
Auch die diesjährige Urania
verdankt Ihnen ihren
reichsten, schönsten Schmuck: Die drei weißen Rosen.

O wie so hohe steigt aus fernem Dunkel die Zeit
der Kämpfe, der Siege des Gotteslichts über die Fin-
sterniß im Schmucke hoher Romantik hervor!
Indem ich Vergleichungen zwischen Ihrem Werke und
ähnlichen Bestrebungen, seine Aufgabe zu lösen, an-
stellte, wurde es mir recht in der Seele klar, daß
alles, was die Phantasie, aus sich allein geschöpft,
durch Allegorie gestalten möchte, meistens un-
klar und eben phantastisch erscheint, daß hingegen
geschichtliche Wahrheit die beste Grundlage für poetische
Wahrheit bleibt. Die drei weißen Rosen
werden
als Sterne erster Größe zwischen ihren Schwestern
hervorstrahlen.
Ihrer liebreichen Aufmunterung zufolge, habe ich die
Ehre, Ihnen einige Manuscripte für das 3 Heft
der Iduna
zur gefälligen Auswahl zu übersenden.

Seite „2r“

Vielleicht, daß Ihnen eine der beiden Erzählungen
passend scheint. Ueber die am meisten ausgeführte:
Edmund u: Therese
ist mir von einem Freunde
der
Vorwurf gemacht worden, daß die tragische Lösung
nicht als absolute Nothwendigkeit hervorgehe; indem
Edmunds
Schwur durch die obwaltenden Umstände
so gut als nicht geschehen, könne betrachtet [werden].
Mein Gefühl widerspricht dem aber. Der Schwur war
ja doch gethan – die ihm von Vater bestimmte Braut

„sie sey auch wer sie wolle“ nie zu heirathen. Daß nun
diese ihm bestimmte Braut und seine Geliebte
eine Person ist, kann dieser Umstand den frucht-
baren Schwur wohl entkräften? – Ihr Ausspruch,
Hochverehrte! möge entscheiden. Freuen würde es
mich, wenn Sie diese Erzählung, die, wenn auch in der
Zusammenstellung, doch in ihren einzelnen Theilen
keine leere Erdichtung ist, der Aufnahme in Ihre Iduna nicht unwerth fänden. Wegen des Honorars wollen
Sie nur gütigst den Maaßstab gebrauchen, nach
welchem die Beyträge von den übrigen Mitarbeite-
rinnen honorirt zu werden pflegen und stelle
ich solches ganz Ihrer Bestimmung anheim.
Möge Gott, unser Gott, den wir Beide über Alles
lieben, Ihnen in dem neuen Jahre der Freuden und
des Guten viel verleihen!
Mit der wahrsten und innigsten Verehrung und Ergebenheit
Theure! Edle! Ihre
Elise. Nordhausen
Den 7ten Jan: 1821

Seite „2v“