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Brief von Therese aus dem Winckel an Helmina von Chézy

Dresden, 11. August 1835
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 279 Winckel Therese aus dem, 11.08.1835 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Therese aus dem Winckel
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
11. August 1835
Absendeort
Dresden
Empfangsort
Paris
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 115 mm; Höhe: 186 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Therese von Winckel.
Dresden d. 11. Aug:
1835.

Geliebte Helmina

Eben erhalte
ich durch Dr. Kraukling Ihren
lieben Brief v. 22ten Jun: so wie ich
vor 14. Tagen Ihre freundlichen Zei-
len durch Hrn: Weinhold erhielt.

Herzlichen Dank für diese Zei-
chen Ihres treuen liebevollen An-
denkens; die Bücher erhielt ich noch
nicht, und voriges Jahr erhielt ich
die Briefe nicht welche Sie erwäh-
nen, sah auch die Fremden nicht
die Sie nennen. Dies ist aber sehr
leicht möglich da ich von alle den

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ehemaligen Mitgliedern des selig
verstorbnen Liederkreises gar nie-
mand sehe. Unsere Lebenswege sind
so ganz verschieden – was sich nicht
auf Mahlerei und Musik bezieht
hat wenig Interesse für mich, und
so bin ich recht froh dass jener Kreis, der
ohnehin sehr alterschwach wurde, vollends
entschlummerte. Herzlichen Dank,
liebe Helmina, für alle Winke die Sie
mir über das rege litterarische Leben in
Paris geben; wohl ist es nothwendig wenigstens
zu wissen was es an der Zeit ist, auf dem
Zifferblatt der Erdenuhr, denn wenn
man recht versunken in die Kunst
ist, vergisst man dies alles so leicht, nur
auf die Weltenuhr bleibt dann das
Auge gerichtet und man wird zum

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Fremdling in der wirklichen Welt.
Das Gute was Sie mir von den Streben
der neuerwachten franz: Litteratur
sagen, freut mich; was ich bisher da-
von kennen lernte schien mir mehr
ein unzartes galvanisches Zucken als
ein frisches gesundes Leben. Wo der
innere Halt des ächten, kindlich
reinen Glaubens fehlt, dieser allerwär-
menden und allerleuchtenden Sonne,
da gedeiht wohl schwerlich das wahr-
haft Schöne; Früchte von Aetnagluten
erzeugt und bestrahlt, erschienen mir
bis jetzt jene Produkte, im Schwefeldunst
farbenspielend, in Asche zerfallend –
und lächerlich schien es mir wenn die
Franzosen nun glauben jetzt verstehen
und übertreffen sie unsere Romantik,
dies holdselig fromme Kind, welches
zwar wohl bisweilen recht kindisch

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tändelt, aber doch stets dem Himmel
mehr verwandt ist als der Erde.
Was Sie mir von Ihrer interessanten
franz: Freundin
sagen, erscheint mir
als entwürfen Sie, ohne es zu ahnen,
Ihr eignes Spiegelbild, so viele Züge der
Aehnlichkeit finde ich darinn!
möge diese gallische Helmina eben so
gut und glücklicher seyn als unsere
tieffühlende deutsche Helmina! –
Haben sich Ihre Söhne nun ent:
schiednen Lebensberuf gewählt?
machen sie Sie glücklicher und
trösten sie Sie über manches Trübe
der Vergangenheit? Wie lieb und
brav ist es von Ihnen dass Sie so
ernstlich würken für den Nachruhm
Ihres edlen verklärten Gatten!
Leben Sie wohl, meine gute Helmina,
Gott segne Sie, herzlich grüsst
Sie Ihre
Theorosa
eiligst.