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Brief von Helmina von Chézy an Adelbert von Chamisso

Berlin, 11. August 1816
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 46-47 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Adelbert von Chamisso
Datierung
11. August 1816
Absendeort
Berlin
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 120 mm; Höhe: 200 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „46r“

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[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy an Chamisso.
Berlin, 11. Aug. 1816.
Mein lieber Bruder, mein Adelbert! Laß dich süß
aus dem Lande der Jugend, aus deinem lieben
Berlin begrüßen, wohin ich u meine Söhne
mit Gott u auf Gottes Wegen gelangt
sind. Gestern war ich bey Eduard, der eben
Briefe von dir erhalten, den an deinen Bruder

habe ich mit herzlichen Thränen gelesen. Gott
segne dich, du liebes Herz! Gott erleuchte
dich auf deiner Bahn, u erfreue dich! Seit 24
May bin ich in Berlin. Dein Brief vor deiner
Abreise datiert liegt unter den wenigen Papieren
die ich auf den Feldzug mitgenommen hatte.
u ich habe mich oft daran erquickt.
Mein frommes Werk hat eine so gewaltige
Ausdehnung, durch Hinderniße bekommen,
welche schlechte Menschen mir in den Weg
gelegt, mein Herz blutet an viel schweren
Wunden, die nicht eigenen Schmerz ausstoßen
wenn ich sie gleich als eignen Schmerz fühle
doch ist noch immer Gutes zu hoffen, Licht u Leben
auch in dieser Sache der Unglücklichen, für
welche ich mich bisher fruchtlos verwendet.
Man ist nähmlich sehr undankbar u grausam
gegen die Werkzeuge unsrer Rettung. Die
ausgepreßte Citrone wird weggeworfen – 
ich habe alles in Gottes Hand gelegt. Thu du

Seite „46v“

auch so, wo dich etwas schmerzt. Wüßt ich
doch nur ob auch dies Blatt in deine Hand
glücklich gelangte, so würde ich den heutigen
Tag zu Abschreiben vieler lieben blühenden
neuen Dichtungen verwenden, u sie dir
beischließen. Auf den Zufall hin kann ich es
nicht. In deinem Kreise bin ich einheimisch,
dein liebes sprechendes Bild von Hoffmann

erquickte mich am 28 May, meinem u
Wilhelms Nahmenstag zugleich mit
der aus Hitzigs Munde mir so willkom-
menen Nachricht des ersten Gutachtens
des Kammergerichtes über meine Rechts-
angelegenheit gegen die Mißhandler unsrer
Verwundeten.
Zugleich sahn wir zum ersten
mahl Koreff
wieder, der Wilhelmen noch
immer so threu ist, u der Abend bey
Eduard war besonders für die Kinder
schön, das war ich war zu stark er-
griffen von Gegenwart u Erinnerung,
um ihn zu genießen. Das war ein Angebinde
ein Blumenstrauß von Himmelsschlüßeln,

Seite „47r“

47

komm nur froh u glücklich wieder, lieber
herziger Adelbert, ich habe die heiterste Ahnung
von deinem Geschick u deiner Wiederkehr!
Ob ich nach 2–3 Jahren, in denen du wieder
hier seyn kannst, noch hier bin, weiß ich
nicht. Vom lieblichsten u liebenvollsten
Kreis, von dem mir so ganz neuem
Glück unter Menschen zu seyn, die mich
verstehn u anerkennen, ist’s schwer zu
scheiden, doch ruft mich das stille
schon gewohnte Leben u Weben
in der ewigsüßen Natur auch
wieder nach der Süddeutschen
Heymath, u auch die Sorgen u
Bedürfnisse des Lebens lasten
nicht so schwer in jener glücklichen
Luft. Kann ich mich hier doch wieder
herzinniglichst nach Montmorency zu
rücksehnen. Schöne Zeit! – Mein

Seite „47v“

Adelbert es ist etwas Großes und Seliges
um eine recht wahrhaft süße Lebenszeit
sie leuchtet durch’s ganze Leben. Ich habe
auf meiner Reise hieher die Bekanntschaft u Freund
schaft mit der lieben ehrwürdigen Familie meines
Vaters
geschloßen, auf Schloß Hab Hämelschen-
burg bey Pirmont Sodann hab ich auch durch
ein Wunder das schmerzlich entbehrte Pettschaft
meiner seligen Grosmutter wiedererlangt,
welches mir 15 Jahre gefehlt, u der Mutter
gestohlen war. Treu u innig habe ich die
alten Freundinnen u Freunde wieder
gefunden, u viel Neues, das nicht minder
herrlich ist. Im schweren Leiden himmlischen
Trost in Freundschaft u Liebe, was
mich angeht, habe ich täglich Gott für
mein Geschick inbrünstig zu danken,
doch das Leid meiner Pflegekinder
lastet
herzzerreißend auf mich, u die Unmöglichkeit
viel zu helfen. Auch dies werd ich über
winden, da ich es tragen muß. Wilhelm u
Max entfalten sich herrlich, weit über
Hoffen u Erwartung.
Ein überreicher Trost
blüht mir in Beyden. Sie küßen dich
herzlich, u auch ich, mein sanftes liebes
Herz! Dich seegne Gott mit seinem schönsten Seegen! Deine Helmina
Eilften August 1816.