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Brief von Caroline Pichler an Helmina von Chézy

Wien, 10. Juli 1831
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 142 Pichler Caroline, 10.07.1831 (Original) XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline Pichler
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
10. Juli 1831
Absendeort
Wien
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 127 mm; Höhe: 213 mm
Foliierung
Keine Foliierung durch das Archiv vorgenommen. Keine Paginierung durch die Absenderin vorhanden.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Katarzyna Szarszewska; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Karoline Pichler.
Wien am 10ten July 832

Ihr Brief verehrtste Freundinn vom 8ten Junius, den ich aber erst
vor 10–12 Tagen erhielt da er eben durch Gelegenheit ging,
hat mir viele Freude verursacht.Ich habe daraus ersehen, daß
Sie gesund sind und Ihre Kinder bey sich haben, was Ihnen natür-
licher Weise Trost u Freude gewährt. Auch fleissig sind Sie
alle 3, und einen Beweis von Ihres Wilhelms schönem Ta-
lent habe ich zum Durchlesen von Ihrer Güte erhalten. X Ich
habe ferner aus Ihrem Briefe gesehn, daß Sie meiner
in Liebe gedenken, u dafür dankt Ihnen mein Herz
recht innig, wie auch daß das Ihrige so wie meines
voll Sorgen um die Zukunft ist. Ja liebe Freundinn
es ist eine böse, böse Zeit, und uns Frauen bleibt
– so wie eben dem allergrößten Theil der Menschen –
nichts übrig als sich in den Willen Gottes zu ergeben
und zu bitten: Herr wenn es möglich ist, so laß die-
sen Kelch vorüber gehn
!
Physische u moralische Übel be-
drohen uns, und wenn diese gewiß schrecklicher sind, weil
es immer schlimmer ist, in die Hände der Menschen als
in Gottes Hand zu fallen, so drohen jene uns hier in Öster-
reich
näher – nämlich die Cholera,
welche sich aus Pohlen
nach Ungarn verbreitet haben sollSoll sage ich, denn
diese Unbestimmtheit der Nachrichten, diese Vergrößerungen
X den ich in wenigen Tagen an seine Bestimmung
absenden werde.

Seite „1v“

welche kleinliche Furcht, elender Egoismus, Unverstand
und mitunter Böser Wille verbreitet – sind unglaublich
Überhaupt ist jetzt das Zeitalter der Lügen, die uns in Schriften
Zeitungen, und Conversationen mit einer Unverschämt-
heit gebothen werden, wovon man sich, wenn man im Alter
wie ich, auf eine frühere, ganz anders gesinnte Zeit zurück-
denkt – nur mit Mühe glauben eine Vorstellung machen kann. Und dennoch muß man
sich daran gewöhnen, sich aber auch fest vornehmen nichts
von allem zu glauben, und nur der eignen Überzeugung
zu folgen. Diese aber gibt mir in Ansehung der Seuche voll-
viele Ruhe
– Ich hoffe, da sie bisher nur halbgesittete Länder
durchzogen hat, daß sie sich von den gesitteten abhalten lassen
soll – Oder wäre dieß nicht möglich, weil sie doch vielleicht
in der Luft besteht
, so wird die Vorsicht der Regierung
und die Geschicklichkeit der Ärzte das Übel viel vermindern
Auch hier haben wahrscheinlich Absichten es mitgewirkt um
sie so weit zu verbreiten – Man hat den früher gezognen
Cordon
in Gallizien aufgehoben – und weil Ein Mann
der freylich viel zu sagen hat
, unsren guten Kaiser dazu
überredete. Nun h muß dieser Cordon in viel weiterem
Umkreise und mit viel mehr Kosten wiederhergestellt
werden. Das ist das Übel der Zeit, daß nirgends Wahrheit,
überall Absicht, Partheyeist herrschen, und Jeder nur an sich denkt.

Gern hätte ich Ihres Wilhelms Roman
ganz ausgelesen ehe ich Ihnen
darüber geschrieben, aber ich höre daß Olivier in den nächsten Tagen
fortreiset, und eile daher Ihnen diesen Brief, und noch einen

Seite „2r“

Einschluß, den ich eben vor ein Paar Tagen für Sie erhielt,
zukommen zu machen. Sie fragten mich ob ich keine Nach-
richten von Carl A. hätte? Ich hatte damahls keine – ja
über ein Jahr lang keine Zeile von ihm gesehn, u nur
durch seinen Cousin Niclas. A. der sich ein Paar Jahre in Wien
aufhielt zufällige Nachricht über Carle erhalten. Dieser Cousin
aber reisete im 9br
ab um – wie ich nachher durch einen
Brief von ihm erfuhr, an der Sache seines unglücklichen Va-
terlandes Theil zu nehmen,
von Carle erwähnte er nichts
und so blieb ich ohne Nachricht; bis vorgestern ein viel
durchstochener von Pestrauch duftender Brief
aus Zolkiew

ankam, und ich wahrlich mit großem Vergnügen, einen
Brief von Carl A. und einen Einschluß an Sie erhielt.
Dieß bestimmte mich um so mehr Ihnen schnell zu
antworten. Er hat gethan, was ich vermuthete, er war beym
Dwernickyschen Corps.
Was er darüber denkt und fühlt, läßt
sich begreifen – sein Brief wird das Nähere enthalten.
Immer war mein Gefühl für seine Landsleute das
welches Sie hegen – Sein Beytritt war natürlich, aber es er-
höht unsre Theilnahme, wenn wir junge Leute, die, wie
er u sein Vetter hoffnungsvoll sind, sich mitten in
dem Drange einer – fast verzweifelten Sache befinden sehen.
Mich dauern diese Pohlen bis tief in die Seele, aber was
ist sich zu versprechen? Gott muß allein hier walten
wenn der Ausgang nicht tragisch seyn soll.
Sehr bedeutend eben für diese Zeit ist die Wahl des Stoffes

Seite „2v“

von Wilhelms Roman
. Ob ihm eine historische Anekdote
von Kaiser Joseph zu Grunde liegt
– ist mir unbekannt
Hier wußte wäre weiß man nichts davon. Mich freut die Wärme mit
der W.. von unsrem Wien spricht – die Geschichte des un-
glücklichen Pandula
haben wohl Ihre Erinnerungen ihm ge-
liefert? F Nur muß ich Ihnen offenherzig gestehn, daß die-
se Episode mich nicht an […] an den nutzlosen Jammer
des Karl von Karlsberg
erinnert hat, und daß ich wünschte
solche empörende Scenen, (dergleichen Spindler auch hat)
nicht von der Dichtung verklärt zu sehn. Traurig genug daß
sie existiren, aber sie verletzen das Gefühl ohne es zu erheben
Sie machen betrübt – ärgerlich, gehässig gegen diese bevor-
rechteten Classen – und ich weiß nicht ob dieß jetzt gut ist.
Denn man ist im Allgemeinen ohne dieß nur zu sehr gegen
sie aufgebracht. Das sage ich nur Ihnen, der Mutter, der Freun-
dinn – Wilhelm soll nichts davon erfahren. Sein schönes Ta-
lent macht mir ungemein viele Freude, und ich sehe mit Ver-
gnügen der versprochnen Erscheinung seines Petrarca
u Camoens

entgegen. Auf Ihre Novelle
freue ich mich sehr – um so mehr als
sie in meinem Vaterland, und in dem lieblichsten Theil desselben
Ob der Enns spielen wird. Auch ich habe seit dem Jahren nach ich meinen
Fr: den Streitbaren
vor 5/4 Jahren vollendet, einen kleinen
Roman: Henriette v England
, aus den Memoiren des französi-
schen Hofs unter Louis XIV geschrieben, u eine Erzählung
aus eben dieser Zeit angefangen
. Sehn Sie Hormayren
gar
nicht? Welches ist denn seine Stellung u Lage in München?
Nun vieltausend herzliche Lebewohl! Grüßen Sie mir mütter-
lich Ihre Söhne, meine Lieben sind Gottlob Alle wohl. Mit
der wahrsten Freundschaft

Ihre Pichler
F weit habe ich bis jetzt gelesen