Brief von Rahel Varnhagen von Ense an Caroline de la Motte Fouqué
o. O., 23. März 1812
Seite „47r“
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[Karl August Varnhagen][An Frau von Fouqué]
Sonntag 2 Uhr Mittags den 23tenMärz 1812.
Eh Sie mir noch geschrieben haben, hätte ich Ihnen schrei-
ben können: u bey mir ist es gewiß, daß wir uns sehr
verstehen würden: sich zu verstehen ist ja das urgentste und
menschlichste Bedürfniß der Menschen; woran sie zwar so
häufig, aber doch nur durch ein paar Ursachen verhindert
werden. Sie wollen entweder aus kleineren Absichten in denen
sie sich verlieren, lügen; oder sie sind unverständig, u die
feinen Spitzen der Sinne woraus der Sinn besteht fehlen ihnen.
Sie erscheinen mir wahrhaft, u verständig; u die innigste Freund-
schaft unter uns, würde mir weniger auffallen, als ein
Stillstand in unserer Bekantschaft. Diese Meinung liebe
Fr: v: Fouqué flößte Sie mir gleich ein; u jedes Mal daß ich Sie
sah wurde ich darüber sicherer. Um so mehr aber möchte
ich Ihnen danken für Ihre Anrede u für die Art dersel-
ben; läßt man nicht oft das Köstlichste, zu meist für
uns bestimmte, aus abgestumpftem Muth, endlicher Lästig-
keit, u immer zunehmender äußeren Zerstreuung seitab
liegen; u greift nach unwerthen Dingen, an die man die Tage,
u Kräfte in Unmuth u Feigheit hingiebt! Mein Dank daß Sie
mir geschrieben haben muß sich als Bewunderung äußern,
daß es Ihnen möglich war, auf Anforderung eines andern einen
so weichen, lieben, natürlichen Brief zu schreiben. Mich dünkt,
ich hätte es nicht vermocht. Künftig aber Liebe schicken Sie
mir nie wieder einen offenen Brief: mir ist, als entflöge
den Zeilen geistiger Duft; wenn meine Augen nicht die ersten
ben können: u bey mir ist es gewiß, daß wir uns sehr
verstehen würden: sich zu verstehen ist ja das urgentste und
menschlichste Bedürfniß der Menschen; woran sie zwar so
häufig, aber doch nur durch ein paar Ursachen verhindert
werden. Sie wollen entweder aus kleineren Absichten in denen
sie sich verlieren, lügen; oder sie sind unverständig, u die
feinen Spitzen der Sinne woraus der Sinn besteht fehlen ihnen.
Sie erscheinen mir wahrhaft, u verständig; u die innigste Freund-
schaft unter uns, würde mir weniger auffallen, als ein
Stillstand in unserer Bekantschaft. Diese Meinung liebe
Fr: v: Fouqué flößte Sie mir gleich ein; u jedes Mal daß ich Sie
sah wurde ich darüber sicherer. Um so mehr aber möchte
ich Ihnen danken für Ihre Anrede u für die Art dersel-
ben; läßt man nicht oft das Köstlichste, zu meist für
uns bestimmte, aus abgestumpftem Muth, endlicher Lästig-
keit, u immer zunehmender äußeren Zerstreuung seitab
liegen; u greift nach unwerthen Dingen, an die man die Tage,
u Kräfte in Unmuth u Feigheit hingiebt! Mein Dank daß Sie
mir geschrieben haben muß sich als Bewunderung äußern,
daß es Ihnen möglich war, auf Anforderung eines andern einen
so weichen, lieben, natürlichen Brief zu schreiben. Mich dünkt,
ich hätte es nicht vermocht. Künftig aber Liebe schicken Sie
mir nie wieder einen offenen Brief: mir ist, als entflöge
den Zeilen geistiger Duft; wenn meine Augen nicht die ersten
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sind die sie lesen: mein Vorurtheil geht so weit, daß ich mir
ein Gewissen daraus mache, einen Freund, wie es doch manch-
mal kommt, eine Stelle zu zeigen, ehe ich einen Brief zu
seinem Herrn schicke. Glauben Sie es, liebe Fr: v: Fouqué
ich war sehr saisirt
Sie einen Schreÿ nennen, u noch ehe Sie sie so nannten.
Was verstehen Sie darunter? „Ich habe mich unzälige Mal
verloren. “ War Ihr Herz veräußert? Oder konnten Sie
sich lange vor Ihrem inneren Gerichte nicht vorfinden?
„Aber ich finde mich wieder. Das ist gut, aber macht nicht
gut. “ (dies der Schreÿ.) Ist meine zweite Frage Ihr Fall,
so glaube ich ein das Wiederfinden macht auch gut. An sich
arbeiten, klaar machen was uns verwirrt u drükt, u wären
es die größten Schmerzen, zum größten Bankerut führend,
heißt ja gut seÿn: Fasern u Nerfen, Wünsche in uns
können wir doch nicht ausstreichen: u sollten diese allein
nicht heilig seÿn, nicht mit der Scheu der Frömmigkeit be-
trachtet, behandelt werden, als andern Werke u Feststellungen
der Natur, ja als der tiefe Hang, das große Bedürfniß
recht zu thun in uns? Ich fühle ganz, daß es nur ein unerträg-
liches Uebel giebt: Wenn man dies Bedürfniß nicht befriedigt hat
u das Gewissen krank ist. Natürlich, dieses ist das uns gelassene
Gebieth; u wir quelten, hätten wir die Mittel, an sie zu kommen
wie wir sie beÿ uns selbst haben, andere eben so, bis wir hätten
was wir vermissen u was uns recht u schön in jedem Falle
dünkt. Kann man aber mehr thun als sich ändern, reinigen
ein Gewissen daraus mache, einen Freund, wie es doch manch-
mal kommt, eine Stelle zu zeigen, ehe ich einen Brief zu
seinem Herrn schicke. Glauben Sie es, liebe Fr: v: Fouqué
ich war sehr saisirt
, beÿ der Stelle in Ihrem Briefe die
Sie einen Schreÿ nennen, u noch ehe Sie sie so nannten.
Was verstehen Sie darunter? „Ich habe mich unzälige Mal
verloren. “ War Ihr Herz veräußert? Oder konnten Sie
sich lange vor Ihrem inneren Gerichte nicht vorfinden?
„Aber ich finde mich wieder. Das ist gut, aber macht nicht
gut. “ (dies der Schreÿ.) Ist meine zweite Frage Ihr Fall,
so glaube ich ein das Wiederfinden macht auch gut. An sich
arbeiten, klaar machen was uns verwirrt u drükt, u wären
es die größten Schmerzen, zum größten Bankerut führend,
heißt ja gut seÿn: Fasern u Nerfen, Wünsche in uns
können wir doch nicht ausstreichen: u sollten diese allein
nicht heilig seÿn, nicht mit der Scheu der Frömmigkeit be-
trachtet, behandelt werden, als andern Werke u Feststellungen
der Natur, ja als der tiefe Hang, das große Bedürfniß
recht zu thun in uns? Ich fühle ganz, daß es nur ein unerträg-
liches Uebel giebt: Wenn man dies Bedürfniß nicht befriedigt hat
u das Gewissen krank ist. Natürlich, dieses ist das uns gelassene
Gebieth; u wir quelten, hätten wir die Mittel, an sie zu kommen
wie wir sie beÿ uns selbst haben, andere eben so, bis wir hätten
was wir vermissen u was uns recht u schön in jedem Falle
dünkt. Kann man aber mehr thun als sich ändern, reinigen
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nicht Leben u Glück; um manches wieder her zustellen?
gehöhrt das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu
dem verwirrten Willen dabeÿ? Antworten Sie mir hierauf
Liebste! Besonders, was Sie unter „verloren“ verstehen!
Sie diesen Sommer zu besuchen, gehöhrt unter den Lieblingen
Meiner möglichen Ideealen! Freilich könnten wir viel zu-
sammen sehen, aus uns hervorholen, sprechen, spatziren
gehen, u so gewiß „durch ein ander lernen! “ Im freÿen,
von Gemeinem abgewandt, neben Gescheitten zu seÿn, kann
eine Seeligkeit seÿn: u angemeldet hätte ich mich, hätten
Sie mich nicht bald eingeladen. Höhren Sie aber, ich will es
aufrichtig sagen was mich abhält. Nichts würde mich abhalten wäre
in Ihrem Dorff ein Wirths- oder anderes Haus wo ich
mich einmiethen könnte. Besuchte ich Sie nur allein, nur Fr: v:
Fouqué, so gienge alles an: aber so würde ich mich immer als
Gast der andern Herschaften auch fühlen, u mich gewiß gut be-
nehmen, aber den Gedanken nicht verlieren was haben die von
dir, und was sollen die von dir denken. Ich habe kein Tallent, als
mein Daseÿn, u damit können Sie nur zufrieden seÿn: bin
nichts, u ohne agrément
. Dann habe ich keine “ besonders jetzt “
schusfeste Gesundheit, u bin leidend u ganz unbrauchbar
wenn ich gewisse Bequemlichkeiten missen soll, als mein Mädchen
die ich wahrlich zur Gesundheits-toilette gebrauche: ich bin
ferner zu manchen Tagesstunden ganz unfähig unter Menschen
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zu bleiben; wo aber gerade die Hausgesellschaft vielleicht die
Gegenwart ihrer Gäste verlangte. Nun bin ich nicht so
hinfällig, das ich nicht trotz diesen Bedürfnißen leben u bleiben
könnte; aber auf keine angenehme Weise für mich: und
in einem Vergnügen, in einer Freude, je n’aime pas à pâtir
zu vermissen, gestöhrt zu seÿn: Sie verstehen das Leben; ich
füge kein Wort hinzu.
Gegenwart ihrer Gäste verlangte. Nun bin ich nicht so
hinfällig, das ich nicht trotz diesen Bedürfnißen leben u bleiben
könnte; aber auf keine angenehme Weise für mich: und
in einem Vergnügen, in einer Freude, je n’aime pas à pâtir
,
zu vermissen, gestöhrt zu seÿn: Sie verstehen das Leben; ich
füge kein Wort hinzu.
Es ist mir gewiß lieb meinen Bruder so gut beÿ Ihnen zu
wissen: u es gehöhrt mit zu den vorzüglichsten Gütern auf
der Welt für ihn daß er Sie Freundin, u ihr Haus als ein ihm wohlwollen-
des sich nennen kann. Mein innerstes Herz gönnt es ihm!
Und so zag’ ich fast ein Wort über seÿn Stück
welches von Ihrem großmüthigen Urtheil so weit überflügelt
wird! Ich kann mit 2 Worten sagen: die Behandlung des
Stük‘s entspricht dem energischen Plan, der kräftigen
conception des selben nicht. Für mich ein über das Ganze über-
schreÿender Mißton; weil er aus der tiefsten Tiefe des
Ganzen, ja des ganzen Seÿn’s des Dichten’s herauf
tönt. Die Gespräche sind mat für diese Situationen:
beÿnah kein allgemeingültiger Spruch die Leiden u Leiden-
schaft so gern, als ewige Sentenzen für die Verhältniße
ausstößt, die Sie hemmen drücken, u eigentlich hervor-
bringen! etc. Was Sie daran rühmen bleibt doch
wahr; aber mit dem was ihm fehlt, hätte es ein zerreißender
wissen: u es gehöhrt mit zu den vorzüglichsten Gütern auf
der Welt für ihn daß er Sie Freundin, u ihr Haus als ein ihm wohlwollen-
des sich nennen kann. Mein innerstes Herz gönnt es ihm!
Und so zag’ ich fast ein Wort über seÿn Stück
zu sagen,
welches von Ihrem großmüthigen Urtheil so weit überflügelt
wird! Ich kann mit 2 Worten sagen: die Behandlung des
Stük‘s entspricht dem energischen Plan, der kräftigen
conception des selben nicht. Für mich ein über das Ganze über-
schreÿender Mißton; weil er aus der tiefsten Tiefe des
Ganzen, ja des ganzen Seÿn’s des Dichten’s herauf
tönt. Die Gespräche sind mat für diese Situationen:
beÿnah kein allgemeingültiger Spruch die Leiden u Leiden-
schaft so gern, als ewige Sentenzen für die Verhältniße
ausstößt, die Sie hemmen drücken, u eigentlich hervor-
bringen! etc. Was Sie daran rühmen bleibt doch
wahr; aber mit dem was ihm fehlt, hätte es ein zerreißender
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brachten Mißstand, den künftige Zeiten, noch immer hätten ver-
stehen müssen u. nachsingen müssen, u wären sie längst schon
in neuen Verwirrungen befangen. wie wir noch von
Sklafen singen, u ganz verstehen was das beÿ alten
Völkern hies, u zuwege bringen mußte!
Dies der Wahrheit zum Opfer; ungern tast’ ich R: in
diesem Stücke, beÿ Ihnen an! Ueber Geistesprodukte, Kunst-
gegenstände, ist es mir unmöglich zu sprechen, ohne und meine Mei-
nung zu verstecken; diesen Geschöpfen giebt der Urtheilende,
das Urtheil mit Leben: sie können mein’ ich, nicht bestehen, zur
Existenz kommen, kann das Urtheil sie nicht durchlassen.
So lange Robert weg war ist war ich krank, u konnte nicht
schreiben. Haben Sie die Gnade dies H. v. Fouqué mit vielem
Dank von mir, u die liebsten Grüße zu sagen. Noch bin ich schwach
u das Schreiben wird mir schwehr: aus dieser Ursach muß
mir auch Fr. v. Fouqué verzeÿen, daß ich nicht gleich antwortete.
Sonst schreib’ ich wohl gerne, oder vielmehr lange, wenn
ich anfange. Wie hier steht! Gestern Abend war den halben
Abend von Fouqués
beÿ mir, u die frug Rob: auf’s Blut über dieses
Paar aus: ich fiel ihm oft in die Rede, u dozirte
mit. Mit Marwiz sprach ich sehr oft von Fr: v: Fouque
der ist eine scharfe accise
diesem Stücke, beÿ Ihnen an! Ueber Geistesprodukte, Kunst-
gegenstände, ist es mir unmöglich zu sprechen, ohne und meine Mei-
nung zu verstecken; diesen Geschöpfen giebt der Urtheilende,
das Urtheil mit Leben: sie können mein’ ich, nicht bestehen, zur
Existenz kommen, kann das Urtheil sie nicht durchlassen.
So lange Robert weg war ist war ich krank, u konnte nicht
schreiben. Haben Sie die Gnade dies H. v. Fouqué mit vielem
Dank von mir, u die liebsten Grüße zu sagen. Noch bin ich schwach
u das Schreiben wird mir schwehr: aus dieser Ursach muß
mir auch Fr. v. Fouqué verzeÿen, daß ich nicht gleich antwortete.
Sonst schreib’ ich wohl gerne, oder vielmehr lange, wenn
ich anfange. Wie hier steht! Gestern Abend war den halben
Abend von Fouqués
die Rede beÿ mir, Mam Spatzier war
beÿ mir, u die frug Rob: auf’s Blut über dieses
Paar aus: ich fiel ihm oft in die Rede, u dozirte
mit. Mit Marwiz sprach ich sehr oft von Fr: v: Fouque
der ist eine scharfe accise
, oder vielmehr, eine sehr
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großarauftige, auf einfache Art organisirte. Lobt
u preist Sie sehr, u läßt Sie breit durch: jedes Mal
für mich eine neue fête. Ich empfehle mich aufs beste
dem Fr: Clara; ich wäre gewiß auf den Ball gekommen
konnte aber kein Billet bekomen, u war schon zu
krank-schwehr um Himmel u Hölle umzukehren.
Ihre ganze ergebeneu preist Sie sehr, u läßt Sie breit durch: jedes Mal
für mich eine neue fête. Ich empfehle mich aufs beste
dem Fr: Clara; ich wäre gewiß auf den Ball gekommen
konnte aber kein Billet bekomen, u war schon zu
krank-schwehr um Himmel u Hölle umzukehren.
Rahel.
Sie antworten mir bald?! les mains
jointes!
jointes!
[Karl August Varnhagen]23. März 1812.