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Brief von Fanny Tarnow an Helmina von Chézy

Hamburg, Anfang Oktober 1819
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 241 Tarnow Fanny, Bl. 47-49 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Fanny Tarnow
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
Oktober 1819
Absendeort
Empfangsort
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 130 mm; Höhe: 210 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „47r“

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[Karl August Varnhagen]Fanny Tarnow
an Fr. von Chézy.
Hamburg. 8br 19.

Es hat mir viele Freude gemacht mit der Ahlefeld
von Ihnen, gute, liebe Helmine, plaudern
zu können.
Die Herzlichkeit Ihres letzten Briefes
hat mir so wohl gethan u ich erwidre sie mit
Innigkeit u Treue. Bleiben Sie mir gut u hold –
mein Herz sagt mir, daß das Schicksal uns
noch einmal wieder zusammen führen wird
u gewiß ist es doch, daß wir Frauen uns
untereinander in unsern Schmerzen u unsern
Freuden besser errathen u verstehen, als
die Männer es zu thun vermögen u daß
wir daher von der Freundin noch da Trost
erhalten können, wo wir vor Männerblick
unsre Thräne in das schwere Herz zurück-
drängen. – Ich habe mir aus flüchtigen Andeu-
tungen in Ihren Briefen vieles herausge-
lesen. – Ach, Helmine, diese Briefe, unvergängliche
Sehnsucht des weiblichen Herzens, diese Liebe-
bedürftigkeit unsers Wesens, sie wird
von keinem Mann verstanden. – Unser
Herz wird in jedem nähern Verhältniß
zu diesem Geschlecht entweder ent-
weiht oder gebrochen – das ist nun einmal
unvermeidliches Frauenschicksal u nur der
Glauben giebt uns eine versöhnende Antwort
auf diese dunkle Räthselfrage unsers
Erdenschicksals. –

Seite „47v“

Sie fragen mich in Ihrem Briefe, was ich
denn alles geschrieben habe u die Beantwor-
tung dieser Frage enthält zugleich die
Geschichte meines Herzens u meines Lebens. –
Wollen Sie meine Jugend, den Gang meiner
Bildung kennen lernen, wollen Sie wissen
wie ich liebte u wie mir Liebe gelohnt wurde,
so lesen Sie meine 1811 bei Hitzig herausge-
kommene „Natalie, ein Beitrag zur Geschichte des
weiblichen Herzens“
– Ich war dem Tode nah
als ich sie schrieb, ohne Absicht in ihr meine eigne
Geschichte schreiben zu wollen, allein ich sah
sie als ein Vermächtniß für den einzigen
Mann an, den ich je geliebt habe, u der keine
Ahnung davon hatte, wie ich im Leben u im
Tode sein war u es auch bis auf diese
Minute geblieben bin. – Es ist vielleicht ein
seltnes Beispiel, daß ich seit meinem 17ten
Jahr ganz Herr meines Schicksals, in der großen
Welt lebend, umgeben u gehuldigt von den
liebenswürdigsten Männern dieses Kreises,
mit meiner glühenden Seele, mit meinem Herzen
u mit meiner Phantasie, doch nie das Eigenthum
eines Mannes geworden bin, nie irgend eine
Art von Liebesverständniß gehabt habe. –
Allein ich war zu stolz, zu rein u zu tieffühlend
um mich einer Wallung hinzugeben – ich habe mich
wohl vergöttert, wohl leidenschaftlich begehrt,
nie geliebt gefühlt. – Welche Gewalt Leidenschaft
sich ueber mich hätte gewinnen können, spiegelt
sich in dem besten ab, was ich, nach meinem eignen
Urtheil je geschrieben habe, in meiner Thekla

Seite „48r“

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u in Graf Gustavs Jugendjahre
. – Beide Dichtungen
finden Sie in meinen bei Dümmler erschienenen
kleinen Erzählungen
. – Liebe Helmine, ich möchte die
Zeit nicht erleben, wo ich Thekla u Gustav lesen
könnte, ohne daß sich mir ein morgenröthlicher
Schimmer ueber das falbe Leben verbreitete. –
Der Kreis meiner Erfahrungen war in ihnen noch nicht
geschlossen – ein sehr ernstes Leben, herbes Mißge-
schick, tiefes Leiden u in ihm die Aufforderung
zu streng arbeitsvoller Thätigkeit hatten mich
ungewöhnlich früh von allen Ansprüchen eines
liebenswürdigen Weibes geschieden. – Mit
Matronenernst kehrte ich im 28ten Jahr in
die Welt zurück – ich sollte auch manch Verzweifelung
kennen lernen. – – Meine Thorilde
ist ein
nettes, bleiches Bild von einer Tiefe des Elendes
die ich ganz ergründet, in jeden Blutstropfen,
jeder Faser meines Gehirns bis zum Wahnsinn
durchempfunden habe. – Hätte ich Thorilde so
niedergeschrieben wie ich sie zwei Jahre lang
in mir trug, sie wäre grausam geworden – aber
ich habe auch erfahren was der Mensch zu besiegen
vermag, wenn es ihm Ernst ist unbedingt, ohne
alle Rücksicht auf Schmerz u Wonne, nur das Gute
zu wollen. – Gott gab meiner zerrissenen
Seele den Frieden wieder – ich lernte es tragen
einen der besten, redlichsten u glücklichsten Menschen
die ich je gekannt habe, durch eine unselige
Leidenschaft für mich, das Opfer einer schaudervollen
moralischen Verderbniß werden zu sehen. –
So, liebe Helmine, hat sich, ohne daß ich es gewollt
habe, mein Leben abgespiegelt in dem, was

Seite „48v“

ich geschrieben habe. – Ich habe unsäglich gelitten in
meinem Leben, mehr als je ein Wort aussprechen
kann u wird, denn was sich auch in meinen Schriften
von Schmerz u Kampf abspiegelt, der eigentliche Jammer,
das trostlose Elend geht doch stumm mit mir zu
Grabe – aber ich habe mir Frieden gewonnen – ich
habe den Glauben an das Heilige bewahrt u ich bin
in mir heiter geworden. – Möchte ich noch einen
Wunsch an das Geschick aussprechen, so wäre es
der um Muße, die versöhnenden Erfahrungen
meines Lebens aussprechen zu können, wie früher
die schmerzlichen – dieser wird mir aber wahr-
scheinlich nicht erfüllt werden, da ich jetzt
um’s Brod schreiben muß, also nur das, was
von mir gefordert, bestellt u gleich bezahlt
wird – nicht was Herz u Seele mir eingeben.
– Mädchenherz u Mädchenglück
kennen Sie ja
wohl? – Bei demselben Verleger, Engelmann in
Leipzig, ist jetzt eben ein Band Erzählungen

von mir erschienen – Meine Glaubensansichten

haben Sie wahrscheinlich gelesen, da Sie Gebauer
zu der Morgenröthe
auch Beiträge geliefert
haben. – Alles uebrige was ich geschrieben
habe ist unbedeutend u verdient nicht
gelesen zu werden –

Im Frühling gehe ich nach Berlin u wenn das
Glück gut ist, komme ich dann nach Dresden. – Es
wäre sehr schön wenn ich diesen Plan ausführen
könnte u die Hofnung darauf wird mir den
ganzen Winter grün erhalten. –
Ich habe der Docktorin Schoppe Ihren Brief
gesandt, aber ich bitte Sie, liebe Helmine,
senden Sie mir keine Einlage wieder

Seite „49r“

49

[Karl August Varnhagen]3. Oktob. 1819.
zur Besorgung an dieser mir bis zur
Verabscheuung verächtlich geworden Frau,
von der ich zu Gott hoffe, daß ihr Anblick
mein Auge nie wieder beleidigen wird.
Sie ist durch u durch Verschrobenheit, Unnatur u Falschheit – doch nichts mehr
von ihr.
o, du Teufel der Bosheit u Verläumdung!

Lassen Sie mich nun auch bald etwas Ausführli-
cheres von Ihren Plänen erfahren, liebste
Helmine, u schreiben Sie mir auch mit welchen
Blüthen Ihr Genius Sie erfreut. Man kann
unter dem vielen Wust in unsrer Litteratur
sich selbst das Bessre nur so mühsam heraus-
suchen u doch ist dies Bessere der Reiz meines
Lebens u ich bin so innig froh u dankbar, wenn
es mir bekannt gemacht wird. – Haben Sie
nicht bald wieder eine kleine Erzählung oder
einen Aufsatz für die Orginalien?
– senden
Sie es mir. –
Ich habe in diesen Tagen Müllners neues
Trauerspiel „Die Albaneserin“
im Mspt gelesen.
Es hat sehr große Schönheiten, aber man
müßte auch Nerven wie ein Henkers-
knecht haben um nicht von den darin aufge-
häuften Schreck u Graus gepackt zu werden.
Die zarten Seelchen unsrer empfindsamen
Frauen können wahrlich heut zu Tage etwas
vertragen –
Adieu, Liebe, Gute. Ich umarme Sie mit inniger
Herzlichkeit. – Sie haben doch den Brief
erhalten, den ich Ihnen durch Hilscher

Seite „49v“

gesandt habe? – Bitten Sie diesen, daß
er mir einen Abdruck der Blätter sendet,
in denen er meine ihm gesandte Erzählung
aufnimmt u schreiben Sie mir, ob das Blatt
sich hebt u Anschein da ist, daß er sich halten
wird – dann sende ich mehrere Beiträge.
Ihren Vater habe ich lange nicht gesehen.

Von ganzem Herzen

Ihre
Fannÿ.