Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing
Winterhude, 23. Mai 1829
Seite „132r“
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Assing
Meine theure, viel geliebte Rosa!Du wirst mit mir gezürnt haben, daß ich so aus Hamburg ging, ohne Dich vorher noch zu
sehen: doch hättest Du ahnen können, wie traurig, ja, in welcher Verzweiflung
ich es verließ, Du würdest mich bemitleidet haben.
sehen: doch hättest Du ahnen können, wie traurig, ja, in welcher Verzweiflung
ich es verließ, Du würdest mich bemitleidet haben.
Denke Dir, daß Julius am Freitag Abend, da Alles schon gepackt stand, da der
Wagen, die Arbeitsleute auf den andern Morgen um 6 bestellt waren,
sein Fieber wieder bekam und zwar mit großer Heftigkeit – es war
über 7 Wochen weggewesen!
Wagen, die Arbeitsleute auf den andern Morgen um 6 bestellt waren,
sein Fieber wieder bekam und zwar mit großer Heftigkeit – es war
über 7 Wochen weggewesen!
Ich gestehe Dir, daß selbst mein Muth und meine Kraft zu Ende waren; da
faßte ich am andern Morgen einen fast verzweifelten Entschluß: die bessere
Luft wird helfen dachte ich, ließ eine sehr dichte Kutsche kommen, fuhr durchs
Steinthor, über Schürbeck, um das Wasser zu vermeiden, und langte am
Sonnabend bei schönem Wetter hier an. Die schaukelnde Bewegung des
Wagens, die dumpfe, heiße Luft darin, wirkten wie ein Vomitiv auf
den Kranken: er vomirte Dreimal – nichts als grüne Galle – doch
fühlte er sich sehr erleichtert und wurde in ein von der lieben Sonne
beschienenes, warm gemachtes Bett gelegt. Schon am Nachmittag
wollte er aufstehen. Es kamen noch vier Fieber-Anfälle, sehr
regelmäßig, Tag um Tag – der letzte dauerte nur zwei Stunden
mit Kälte und Hitze. Seine Zunge war ganz rein, ich hielt die
allerstrengste Diät mit ihm, ganz wie Assing sie früher vorge-
schrieben, und ließ ihn keine Morgen- noch Abendluft einathmen;
dann ließ ich Assings Chinin-Recept machen, worauf das Fieber
gleich beim nächsten stattfinden sollenden Anfall wegblieb, und
so ist er, noch jetzt täglich ein Pulver nehmend, seit 14 Tagen
völlig frei, auch wieder ganz kräftig. Assing zu beschweren, hätte
ich für Sünde gehalten, da ich wußte, wie er so schon fast unter
seinen Anstrengungen erlag: so pfuscherte ich denn einmal wie-
der, und zwar mit glüklichem Erfolge. Noch jetzt aber halte
ich strenge Diät mit ihm und hüte ihn vor kalter Luft, beson-
ders vor Morgen- und Abendluft: sonst lasse ich ihn, besonders
im warmen Sonnenschein, sich im Freien ergehen.
faßte ich am andern Morgen einen fast verzweifelten Entschluß: die bessere
Luft wird helfen dachte ich, ließ eine sehr dichte Kutsche kommen, fuhr durchs
Steinthor, über Schürbeck, um das Wasser zu vermeiden, und langte am
Sonnabend bei schönem Wetter hier an. Die schaukelnde Bewegung des
Wagens, die dumpfe, heiße Luft darin, wirkten wie ein Vomitiv auf
den Kranken: er vomirte Dreimal – nichts als grüne Galle – doch
fühlte er sich sehr erleichtert und wurde in ein von der lieben Sonne
beschienenes, warm gemachtes Bett gelegt. Schon am Nachmittag
wollte er aufstehen. Es kamen noch vier Fieber-Anfälle, sehr
regelmäßig, Tag um Tag – der letzte dauerte nur zwei Stunden
mit Kälte und Hitze. Seine Zunge war ganz rein, ich hielt die
allerstrengste Diät mit ihm, ganz wie Assing sie früher vorge-
schrieben, und ließ ihn keine Morgen- noch Abendluft einathmen;
dann ließ ich Assings Chinin-Recept machen, worauf das Fieber
gleich beim nächsten stattfinden sollenden Anfall wegblieb, und
so ist er, noch jetzt täglich ein Pulver nehmend, seit 14 Tagen
völlig frei, auch wieder ganz kräftig. Assing zu beschweren, hätte
ich für Sünde gehalten, da ich wußte, wie er so schon fast unter
seinen Anstrengungen erlag: so pfuscherte ich denn einmal wie-
der, und zwar mit glüklichem Erfolge. Noch jetzt aber halte
ich strenge Diät mit ihm und hüte ihn vor kalter Luft, beson-
ders vor Morgen- und Abendluft: sonst lasse ich ihn, besonders
im warmen Sonnenschein, sich im Freien ergehen.
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Seltsam genug – und das wird Assing vielleicht interessiren – spielte bei
den beiden ersten Fieber-Anfällen offenbar das Rhevmatische noch
hinein, denn im Froste klagte er über Gliederschmerz; beim dritten
und vierten Anfall war das jedoch von selbst gänzlich verschwunden.
Vermuthlich war also noch etwas von dem feindlichen Stoffe im Körper,
den er durch das Fieber – das nach 7 vollen Wochen und darüber wohl
kein Rückfall mehr genannt werden kann – auswarf.
den beiden ersten Fieber-Anfällen offenbar das Rhevmatische noch
hinein, denn im Froste klagte er über Gliederschmerz; beim dritten
und vierten Anfall war das jedoch von selbst gänzlich verschwunden.
Vermuthlich war also noch etwas von dem feindlichen Stoffe im Körper,
den er durch das Fieber – das nach 7 vollen Wochen und darüber wohl
kein Rückfall mehr genannt werden kann – auswarf.
Nun eine freundliche und recht dringende Bitte!
Am nächsten Donnerstag ist Dein Geburtstag, auch für mein Leben ein
Fest- und Freudentag: willst Du ihn nicht bei mir verbringen mit Deinem
theuren Assing und den Kindern?
the, die Nachtigallen singen, der Buchfink und Fliegenschnapper baut
schon wieder sein Nestchen neben unsrer gastlichen Schwelle und eine
Unzahl von farbigen, wundervollen Tulpen blühen: Dein Herz wird
froh werden, in der unaussprechlich schönen Natur, und ich habe Dich
dann an diesem Tage!
Fest- und Freudentag: willst Du ihn nicht bei mir verbringen mit Deinem
theuren Assing und den Kindern?
Alle Bäume stehen in voller Blü-
the, die Nachtigallen singen, der Buchfink und Fliegenschnapper baut
schon wieder sein Nestchen neben unsrer gastlichen Schwelle und eine
Unzahl von farbigen, wundervollen Tulpen blühen: Dein Herz wird
froh werden, in der unaussprechlich schönen Natur, und ich habe Dich
dann an diesem Tage!
Mit Steinheims
pflegen, ist leicht ein Abkommen zu treffen, indem Du Ihnen zeitig
genug mittheilst, daß Du zu mir fahren wirst, weil ich Dich einge-
laden; und essen können wir ja, wenn es Dir und Assing bequem
ist: Du hast nur die Stunde zu bestimmen, liebste Rosa!
, die Dich dann wohl auf ein Stündchen zu besuchen
pflegen, ist leicht ein Abkommen zu treffen, indem Du Ihnen zeitig
genug mittheilst, daß Du zu mir fahren wirst, weil ich Dich einge-
laden; und essen können wir ja, wenn es Dir und Assing bequem
ist: Du hast nur die Stunde zu bestimmen, liebste Rosa!
Bitte, schlag mir diesen Wunsch nicht ab!!!
Es wird Dir dann auch so bei mir gefallen, daß Du gleich den Tag
fest setzest, wann Du mit den Kindern wieder auf 4 Wochen zu
mir ziehen willst, und das wünsche ich ja so sehnlichst. Die Erbsen
blühen schon, auch die beliebten großen – ich dachte daran, wie
sie Dir und den Kindern schmecken würden, als ich Pflänzchen
bei Pflänzchen – ich hatte sie in der Stadt im Kasten ausgesät –
recht mühsam pflanzte.
fest setzest, wann Du mit den Kindern wieder auf 4 Wochen zu
mir ziehen willst, und das wünsche ich ja so sehnlichst. Die Erbsen
blühen schon, auch die beliebten großen – ich dachte daran, wie
sie Dir und den Kindern schmecken würden, als ich Pflänzchen
bei Pflänzchen – ich hatte sie in der Stadt im Kasten ausgesät –
recht mühsam pflanzte.
Meine Gesundheit ist sehr gut, besser, als ich sie nach dem schrecklich
und auch in geistiger Verstimmung verlebten Winter erwarten
durfte; nur habe ich entsetzlich viel zu thun und bin um 5 jeden
Morgen am Schreibtisch. Ein Buch ist in den fünf Wochen hier schon
vollendet worden – ein Roman
es ist eine Jugendschrift
wahrhaft innerer Begeisterung schreibe: ich glaube, daß sie
und auch in geistiger Verstimmung verlebten Winter erwarten
durfte; nur habe ich entsetzlich viel zu thun und bin um 5 jeden
Morgen am Schreibtisch. Ein Buch ist in den fünf Wochen hier schon
vollendet worden – ein Roman
– das zweite fast vollendet;
es ist eine Jugendschrift
, die ich mit großer Liebe und Lust, mit
wahrhaft innerer Begeisterung schreibe: ich glaube, daß sie
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vorzüglich gut wird. Auch war sie in mir schon lange fertig und
ich trug die Idee dazu lange als eine sehr liebe mit mir herum,
so daß ich bloß nieder zu schreiben brauchte, was bei meiner gro-
ßen Fertigkeit schnell geschieht.
Diese große geistige Schöpferkraft in mir gewährt mir eine
unaussprechliche Freude – der Quell scheint unversiegbar! Und
meine Jugendschriften, ich fühle, ich weiß es, sie werden mich über-
leben. Oft quält es mich, daß ich so viel schreiben muß, nicht bloß,
weil die äußern Verhältnisse es fordern, sondern weil noch mehr
der innere Drang es gebieterisch befiehlt. Doch lebe ich ja eigent-
lich auch nur für diese Werke, und stets mit ihnen; Alles wird mir
zum Bilde – zum Buche – ich kann’s nicht helfen, mag’s nicht
unterdrücken! Wenn der üppig blühende Baum denn auch manche
taube Blüthe trägt – es ist doch die Blüthe da, und auch Frucht
bleibt nicht ganz aus; so laß ich den Lebensbaum nach Herzens-
lust blühen und grünen, und freue mich, und danke Gott oft unter
Thränen, daß er ihm so große Fülle gab.
unaussprechliche Freude – der Quell scheint unversiegbar! Und
meine Jugendschriften, ich fühle, ich weiß es, sie werden mich über-
leben. Oft quält es mich, daß ich so viel schreiben muß, nicht bloß,
weil die äußern Verhältnisse es fordern, sondern weil noch mehr
der innere Drang es gebieterisch befiehlt. Doch lebe ich ja eigent-
lich auch nur für diese Werke, und stets mit ihnen; Alles wird mir
zum Bilde – zum Buche – ich kann’s nicht helfen, mag’s nicht
unterdrücken! Wenn der üppig blühende Baum denn auch manche
taube Blüthe trägt – es ist doch die Blüthe da, und auch Frucht
bleibt nicht ganz aus; so laß ich den Lebensbaum nach Herzens-
lust blühen und grünen, und freue mich, und danke Gott oft unter
Thränen, daß er ihm so große Fülle gab.
Auch manche Autor-Freude wird mir: die beiden Jugendschriften:
„Lust und Lehre“
neu aufgelegt, ein Beweis, daß sie Beifall fanden.
„Lust und Lehre“
und „Bunte Bilder aus dem Jugendleben“
werden
neu aufgelegt, ein Beweis, daß sie Beifall fanden.
Antworte mir, Deiner Gewohnheit entgegen, gleich, Du über Alles
Theure, und mit einem freudigen Ja! Ich habe so viel mit
Dir zu plaudern, es schwatzt sich so gut unterm grünen Laubdache
– so komm! Wagte ich es, den Julius zu verlassen – und das
darf ich nicht, ohne einen Rükfall fürchten zu müssen – Du
kennst ja Mutters Schwäche gegen die Wünsche der Kinder, so
wäre ich längst bei Dir gewesen, denn mein Herz ist mit der
innigsten Sehnsucht nach Dir erfüllt.
Grüß den theuren Assing, die lieben Kinder!Theure, und mit einem freudigen Ja! Ich habe so viel mit
Dir zu plaudern, es schwatzt sich so gut unterm grünen Laubdache
– so komm! Wagte ich es, den Julius zu verlassen – und das
darf ich nicht, ohne einen Rükfall fürchten zu müssen – Du
kennst ja Mutters Schwäche gegen die Wünsche der Kinder, so
wäre ich längst bei Dir gewesen, denn mein Herz ist mit der
innigsten Sehnsucht nach Dir erfüllt.
Winterhude d. 23tn Maÿ 1829.
Amalia.
Seite „133v“
Ihrer Wohlgeboren.
der Frau Doctorin Assing, geb. Varnhagen.
Adresse: Herrn Doctor Assing,
in der Poolstraße beim
Walle.
Walle.
Ham[×××]