DE | EN

Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria und David Assur Assing

Hamburg, 3. September 1817
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 24 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
David Assur Assing Rosa Maria Assing
Datierung
3. September 1817
Absendeort
Hamburg
Empfangsort
Hamburg
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 190 mm; Höhe: 230 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: Thomsen, S. 144–147.

Seite „24r“

Assing
24

Hamburg d. 3ten Sept: 1817.

Sehr liebe Rosa und bester Assing!

In jedem Schiffbruch des Lebens und auch bei jeder Landung und Ansiedlung suchte Euch, Geliebte,
mein Auge zuerst, und fragte an, ob es noch befreundet lächelte – so auch jetzt. –
Es steht mir wieder ein sehr ernster Kampf bevor, aus dem ich die Ruhe und das Glück meines
Lebens retten will und muß – um nicht unterzugehn, muß ich die neu errichteten
Verhältnisse aufgeben, und mir wieder eine neue Laufbahn wählen, und das bald und
gleich sogar. Nicht werdet Ihr fordern, daß ich auf den Mann schimpfe und schlimme
Anecdoten von ihm erzähle, dessen Namen ich trage – es wird Euch mein Wort
genügen, daß ich nicht mit ihm leben und glüklich sein kann, da unsre Meinun-
gen und Ansichten so ganz verschieden sind. Was mir herrlich und heilig ist, erscheint
ihm lächerlich, meine Freunde, meine Eltern, kurz Alles was ich mit Liebe umfan-
ge und hoch halte, ist ihm verhaßt und zuwider, und um mit Einem Worte
Euch einen Begriff von meinem jetzigen Elende zu geben, darf ich nur gestehn,
daß ich nicht selten einen Anfall von periodischem Wahnsinn an ihm bemerke.
Was ich bei dieser Entdeckung gelitten und was überhaupt in dieser Zeit erduldet
habe, bin ich nicht im Stande zu beschreiben – nur bei meiner Mutter fand ich
innigen Trost, sonst wäre ich vergangen. –
Und dadurch daß ich allen theuren Verhältnissen auf meiner Insel entsagte und
dem Rufe des Gatten und der Pflicht folgte, scheint es mir, habe ich genugsam bewiesen,
daß ich nicht egoistisch für mich allein zu leben wünschte, sondern die Pflichten
anerkannte, die mir am Altare als Gattin auferlegt wurden – soll
ich aber unter der Last dieser Pflichten erliegen? muß ich in der Umgebung
eines Mannes bleiben, der mich so unsäglich elend macht, ja der mich phisisch
und moralisch in Kurzem vernichten wird? –
Sehr Theure, ich frage Euch, habe ich der Pflicht jetzt nicht genug Opfer gebracht,
und darf nun mit Ernst daran denken, auch wieder glüklich zu werden?
Die Fähigkeit zu diesem Glück liegt in mir: mein Gemüth ist heiter und mein
Herz Gott ergeben, dazu habe ich den Muth die Fesseln von mir zu werfen
und Kraft zur Arbeit – ich werde mit meinem Kinde nicht verhungern. –

Seite „24v“

Der Plan eines künftigen Lebens ist gemacht – ich hoffe in Wandsbeck eine Anstalt
zu errichten und dort auf dem Lande und in Eurer theuren Nähe ganz nach
meiner Neigung und zu Gottes Wohlgefallen zu leben und mein Kind zu erziehn.
Für diesen Winter finde ich bei meiner Mutter eine Freistatt, denn wahrlich,
so lange würde ich es nicht aushalten können mit S. noch vereint zu leben;
ich würde sterben müssen! –
O lägen erst diese drückenden Verhältnisse, diese engen Mauern hinter mir!
Wäre meine Seele nicht zu Gott gewendet, und hätte ich nicht den Muth in
mir gefühlt die schmerzenden Fesseln abzuwerfen, gewiß ich wäre verzwei-
felt! Aber so hielten Religion und Kraft mich aufrecht, und ich hoffe mit
Gottes Hülfe alles so zu beendigen, daß ich wieder glüklich werde, ohne
meine Pflicht und mein Gewissen zu verletzen. –
Nun sagt mir Eure Meinung darüber, ob es Sünde ist, ein Verhältniß
aufzugeben, das mich sicher vernichtet, ohne einen Andern zu beglücken?
Muß ich für die Dauer meines Lebens elend bleiben, weil ich in früher
Jugend einen Mann liebte über dessen Werth ich mich so schrecklich täuschte
und dessen Rohheit mich so unendlich elend macht?
Daß ich ihm meine Hand gab, war Pflicht für mein Kind – nur für die-
ses sorgte ich durch diesen Schritt und gestand es an S. – ich haßte ihn
da ich es that und S. weiß das, auch hatte ich ja dazu ein Recht, wie
mich dünkt! Späterhin folgte ich seinen Bitten und vertraute seinen
Schwüren, daß er mich glüklich machen wolle – wer wird mich darüber
tadeln? Aber dieses Vertrauen, muß ich es mit dem Elende meines
ganzen Lebens büßen?
Sagt mir Eure Meinung über meine Verhältnisse, Theure, mit aller
Wahrheit und ohne alle Schonung der Freundschaft und Liebe. –
Schreibt mir gleich wieder, denn ich bin in einer ängstlichen Spannung,
die meine Gesundheit zu vernichten droht.
Sendet Euren Brief unter meiner Adresse nach der Deichstraße
Nor: 23 zu meiner Mutter, dort bin ich bis spät Abend heute.

In Liebe und Vertrauen
Eure Amalia. –