Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria und David Assur Assing
Burg auf Fehmarn, 20.–23. Juni 1816
Seite „89r“
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Burg, d. 20ten Junÿ 1816.
Obgleich eigentlich Du, meine holde liebe Rosa, hättest schreiben sollen, so kann
ich doch dem Sehnen nach Dir nicht länger widerstehn und muß mich einige Minu-
ten, leider! nur schriftlich mit Dir unterhalten.
ich doch dem Sehnen nach Dir nicht länger widerstehn und muß mich einige Minu-
ten, leider! nur schriftlich mit Dir unterhalten.
Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie einzig ich mich mit Dir in diesen
drei letzten Tagen in Gedanken beschäftigte, und dazu war ein Traum
besonders Veranlassung. Ich gab nämlich in einem Hause, welches
dem meinen gegenüber liegt, und woraus ich 7 Kinder unterrichte,
Stunde, als der Vater
de bei mir angelangt wären. Meine Mutter oder Lucie? fragte ich.
Nein, ganz fremde Personen, war die Antwort. Da ging ich nicht, nein
ich flog meinem Häuschen zu, und schon auf dem Sopha sah ich Dich
in meiner Stube sitzen, und Dein Assing stand am Fenster.
drei letzten Tagen in Gedanken beschäftigte, und dazu war ein Traum
besonders Veranlassung. Ich gab nämlich in einem Hause, welches
dem meinen gegenüber liegt, und woraus ich 7 Kinder unterrichte,
Stunde, als der Vater
dieser Kinder eintrat und mir sagte, daß Frem-
de bei mir angelangt wären. Meine Mutter oder Lucie? fragte ich.
Nein, ganz fremde Personen, war die Antwort. Da ging ich nicht, nein
ich flog meinem Häuschen zu, und schon auf dem Sopha sah ich Dich
in meiner Stube sitzen, und Dein Assing stand am Fenster.
Die Freude brachte mich dahin, daß ich nicht zur Thür hinein konnte,
sondern am Fenster niederkniete vor allen Leuten und die Hände un-
ter heißen Freudenthränen rang. Da sagtest Du so recht deutlich und
mit dem alten süßen Laut der Liebe: Meine theure Amalia! und ich
flog in Deine Arme, ja ich umarmte auch Deinen Assing im Ueber-
maß der Wonne. Eins nur störte mich; ein alter schwerer Schrank,
der gar nicht in meinem Stübchen vorhanden ist, den ich auch nie sah,
drohete immer auf mich einzustürzen, und als ich eben Befehl gegeben
hatte, ihn wegzuräumen, kam mein Mädchen mich zu wecken, weil
ich nie länger als halb sechs schlafe, es jetzt aber 6 war. –
sondern am Fenster niederkniete vor allen Leuten und die Hände un-
ter heißen Freudenthränen rang. Da sagtest Du so recht deutlich und
mit dem alten süßen Laut der Liebe: Meine theure Amalia! und ich
flog in Deine Arme, ja ich umarmte auch Deinen Assing im Ueber-
maß der Wonne. Eins nur störte mich; ein alter schwerer Schrank,
der gar nicht in meinem Stübchen vorhanden ist, den ich auch nie sah,
drohete immer auf mich einzustürzen, und als ich eben Befehl gegeben
hatte, ihn wegzuräumen, kam mein Mädchen mich zu wecken, weil
ich nie länger als halb sechs schlafe, es jetzt aber 6 war. –
Der Traum war so lebhaft gewesen, daß ich mich noch nach Dir umsah,
da ich daraus erweckt ward – Ach liebe Rosa, – ich war im Anfange
sehr sehr traurig darüber, daß das Alles nun nicht gelten sollte,
aber jetzt freue ich mich unaussprechlich daran, denn ich habe Dich ganz
so gesehn wie Du wirklich bist, ganz den süßen Wohllaut Deiner
Stimme gehört, und ist es mir nun, als seist Du hier durchgereist
und nur ein Viertelstündchen bei mir gewesen. –
da ich daraus erweckt ward – Ach liebe Rosa, – ich war im Anfange
sehr sehr traurig darüber, daß das Alles nun nicht gelten sollte,
aber jetzt freue ich mich unaussprechlich daran, denn ich habe Dich ganz
so gesehn wie Du wirklich bist, ganz den süßen Wohllaut Deiner
Stimme gehört, und ist es mir nun, als seist Du hier durchgereist
und nur ein Viertelstündchen bei mir gewesen. –
O lächle nicht, beste süße Rosa, daß ich Dir den Traum so ganz aus-
führlich erzähle, aber mir ist so wohl darnach geworden, daß ich es
Dir durchaus sagen mußte. –
führlich erzähle, aber mir ist so wohl darnach geworden, daß ich es
Dir durchaus sagen mußte. –
Seite „89v“
Die Schuld von Mülner
habe mir gefallen – sie hat mich begeistert – wie der italiänische Maler
ausrief, nachdem er seine Madonna verfertigt hatte: „Auch ich bin ein Maler!“
und dann sich hinlegte zu sterben, möcht ich es, wenn ich ein solches Trau-
erspiel geschrieben hätte!
habe ich endlich gelesen – wie könnte ich sagen, sie
habe mir gefallen – sie hat mich begeistert – wie der italiänische Maler
ausrief, nachdem er seine Madonna verfertigt hatte: „Auch ich bin ein Maler!“
und dann sich hinlegte zu sterben, möcht ich es, wenn ich ein solches Trau-
erspiel geschrieben hätte!
Wie sehr hast Du Recht mit Fouqué! Schon bei der Corona
letzt nicht mehr aushalten, obgleich doch darin einzelne wunderschöne
Verse vorkommen; aber auch wieder welche, die ganz erbärmlich sind.
konnte ich es zu-
letzt nicht mehr aushalten, obgleich doch darin einzelne wunderschöne
Verse vorkommen; aber auch wieder welche, die ganz erbärmlich sind.
Der Kammerherr ist entzückt über Dein Urtheil – wirklich hat er schon
bei der Corona dasselbe gesagt, und auch das findet er sehr richtig,
was Du über Oehlenschläger sagst – er kennt diesen, so wie Bagges-
sen und unsern Rahbeck, der Beide übertrifft, persönlich.
bei der Corona dasselbe gesagt, und auch das findet er sehr richtig,
was Du über Oehlenschläger sagst – er kennt diesen, so wie Bagges-
sen und unsern Rahbeck, der Beide übertrifft, persönlich.
Er fragt Dich durch mich, ob Du die meisten Schauspiele von Oehlenschläger
gelesen, und wie Du überhaupt über das Talent und die Stücke des-
selben urtheilst? Außer dem Aladdin
was seinen besondern Beifall hat, so wie er von Fouqué fast nur
den Siegurd
gersch
gelesen, und wie Du überhaupt über das Talent und die Stücke des-
selben urtheilst? Außer dem Aladdin
findet er wenig darunter,
was seinen besondern Beifall hat, so wie er von Fouqué fast nur
den Siegurd
und eine polnische Ballade in einem Taschenbuche, Win-
gersch
, mag.
Vom Freimund Raimar sind uns Gedichte im Morgenblatt aufge-
fallen, und es freut uns, daß Dein Urtheil unsre gute Meinung
von diesem jungen Dichter bestätigt. –
fallen, und es freut uns, daß Dein Urtheil unsre gute Meinung
von diesem jungen Dichter bestätigt. –
Wer, liebe Rosa, ist der Maria, welcher den Godwi oder das steiner-
ne Bild der Mutter,
L. Tiek und Fr. Schlegel waren seine Freunde, und auch bei ihm
da er starb, habe ich aus einer Nachschrift bemerkt.
Lies doch das seltsame Buch, ich bitte Dich, wenn Du‘s nicht gelesen
hast, und sag mir etwas darüber. –
ne Bild der Mutter,
ein verwilderter Roman, geschrieben hat?
L. Tiek und Fr. Schlegel waren seine Freunde, und auch bei ihm
da er starb, habe ich aus einer Nachschrift bemerkt.
Lies doch das seltsame Buch, ich bitte Dich, wenn Du‘s nicht gelesen
hast, und sag mir etwas darüber. –
Sonntag Morgen, d. 23ten Junÿ.
Die Post ist gekommen und hat mir Briefe gebracht, aber keine von Dir, und doch bat
ich Dich so sehr darum, weil es mich beunruhigt nicht bestimmt die Schriften in Dei-
nen Händen zu wissen; hast Du sie vielleicht noch nicht? –
ich Dich so sehr darum, weil es mich beunruhigt nicht bestimmt die Schriften in Dei-
nen Händen zu wissen; hast Du sie vielleicht noch nicht? –
Schuppe ist wohl, und ganz gewiß unschuldig an der Zögerung gewesen, denn
aller Wahrscheinlichkeit nach, hatte der Jude, welcher von hier sie mit nach
H. nahm, den Brief eher abgegeben, als das Päkchen, und S. strich
das: hiebei Papiere, auf Deinem Briefe aus um Dir auch diesen zu Deinem
Geburtstage nicht vorzuenthalten; gewiß hat er sie [×××] aber so wie
aller Wahrscheinlichkeit nach, hatte der Jude, welcher von hier sie mit nach
H. nahm, den Brief eher abgegeben, als das Päkchen, und S. strich
das: hiebei Papiere, auf Deinem Briefe aus um Dir auch diesen zu Deinem
Geburtstage nicht vorzuenthalten; gewiß hat er sie [×××] aber so wie
Seite „90r“
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geschehen sei? und ob der Jude sie nicht ganz und gar verschleudert hat?
wünschte ich zu wissen. Da dies aber ein sehr rechtlicher und ordent-
licher Mann ist, kann er sich vielleicht eine kleine Nachläßigkeit zu
Schulden kommen lassen, aber gewiß ist jetzt lange alles in Ordnung.
Sch. wird meinen Wunsch auch wohl erfüllt, haben, und Dir statt
des Hiarne
allein, auch die Hertha
und die Gedichte mit über-
schickt haben; sag mir doch darüber etwas!
Sei unbesorgt, meine Geliebte, und erwarte keine Uebereilung
oder neue Unvorsichtigkeit in Hinsicht meiner Vereinigung mit
S. – Vater und Mutter, denen er versöhnt ist, und die ihn täglich
um sich sehen, wägen und prüfen genau jeden seiner Schritte, und
ehe ich ihm die Gattinn und den Sohn zuführe, muß er ganz meine
Achtung wieder errungen haben, da die Liebe vor seinem frühern
Betragen erröthend das Antlitz barg und floh – vielleicht auf
ewig aus der zerstörten blutenden Brust!
oder neue Unvorsichtigkeit in Hinsicht meiner Vereinigung mit
S. – Vater und Mutter, denen er versöhnt ist, und die ihn täglich
um sich sehen, wägen und prüfen genau jeden seiner Schritte, und
ehe ich ihm die Gattinn und den Sohn zuführe, muß er ganz meine
Achtung wieder errungen haben, da die Liebe vor seinem frühern
Betragen erröthend das Antlitz barg und floh – vielleicht auf
ewig aus der zerstörten blutenden Brust!
Zürnen kann ich dem Vater meines Kindes nicht mehr, aber liebend
wie in früherer Jugendzeit kann ich mir seine Fehler nicht mehr ver-
decken, und zweifelnd frage ich oft: sollte ich je recht seelig wieder
an der Brust ruhen können, die so Arges über mich ersann und
so unermeßlichen Jammer über mich ausschüttete?
wie in früherer Jugendzeit kann ich mir seine Fehler nicht mehr ver-
decken, und zweifelnd frage ich oft: sollte ich je recht seelig wieder
an der Brust ruhen können, die so Arges über mich ersann und
so unermeßlichen Jammer über mich ausschüttete?
Dann ringt wieder mein Herz in bangen Zweifeln, wenn mein
Sohn in holder Unschuld nach dem nie gesehenen Vater fragt und
sehnend zu ihm hinverlangt – mir ist als habe ich aus Egoismus
die heiligen Bande der Natur zerrissen und Vater, Mutter
und Kind getrennt, um nur recht ruhig und gemächlich leben
zu können, und ist es mir dann, als stünde der Tod an der
Thür und klopfe mächtig, und werde mir keine Zeit las-
sen, mich der Natur und meinen Pflichten zum sühnenden
Opfer darzubringen. –
Sohn in holder Unschuld nach dem nie gesehenen Vater fragt und
sehnend zu ihm hinverlangt – mir ist als habe ich aus Egoismus
die heiligen Bande der Natur zerrissen und Vater, Mutter
und Kind getrennt, um nur recht ruhig und gemächlich leben
zu können, und ist es mir dann, als stünde der Tod an der
Thür und klopfe mächtig, und werde mir keine Zeit las-
sen, mich der Natur und meinen Pflichten zum sühnenden
Opfer darzubringen. –
Seite „90r“
Dir, meine zarte fühlende Rosa, brauche ich das nicht weiter ausein-
ander zu setzen, und auch Dein A. wird mich ganz verstehn, da Er wie
ich selbst es weis, wie wenig Jahre ich noch zu leben habe; soll ich um
diese wenigen Jahre mit allen heiligen Pflichten brechen?
ander zu setzen, und auch Dein A. wird mich ganz verstehn, da Er wie
ich selbst es weis, wie wenig Jahre ich noch zu leben habe; soll ich um
diese wenigen Jahre mit allen heiligen Pflichten brechen?
Sieh, Rosa, so ringt unaufhörlich dies Herz in Zweifeln – löse Du sie
mit dem zarten weichen Gefühle und dem ruhigen sonnenhellen Blicke
hier, führe mich aus diesem Labÿrinthe, wo ich mich ewig verirren
muß, weil ich zu sehnlich wünsche, den Ausgang zu finden. –
mit dem zarten weichen Gefühle und dem ruhigen sonnenhellen Blicke
hier, führe mich aus diesem Labÿrinthe, wo ich mich ewig verirren
muß, weil ich zu sehnlich wünsche, den Ausgang zu finden. –
Bald hätte ich vergessen, Dich zu fragen, ob ich dem Kammerherrn ei-
nige von Deinen Briefen – Du darfst mir die Auswahl anvertrauen –
vorlesen darf? Er quält mich ordentlich darum, und es wird fast
eine Unart es ihm länger zu versagen; ohne Deine Einwilligung
würde ich es indeß nie thun.
nige von Deinen Briefen – Du darfst mir die Auswahl anvertrauen –
vorlesen darf? Er quält mich ordentlich darum, und es wird fast
eine Unart es ihm länger zu versagen; ohne Deine Einwilligung
würde ich es indeß nie thun.
so wie alle unsre gemeinschaftliche Bekannte und behalte lieb:
Deine Amalia.
Mit welchem wonnigen Gefühle schreibe ich hier unter Rosas Brief einige
Worte der Liebe an Sie! Sie werden beim Thee zusammensitzen
und den Brief in der liebendsten Stellung, an Rosa angelehnt,
lesen, und zu diesen Zeilen kommen, die Ihnen sagen sollen, daß
ich Sie unaussprechlich achte und verehre. Ach, im Geiste sehe ich das
Alles, im Traume auch, aber wie ein blauer Zaubergürtel zieht
sich das Meer um mich herum, und ich kann nur Erd und Himmel
unter und über mir sehen, nicht einmal die Küste des Landes, wo
Sie wohnen! Mein Junge tröstet mich wohl, aber oft machen mich seine
kindischen Fragen wieder traurig und beklommen: wo ist denn Deine
Rosa, Mutter? Den nächsten 7ten wird er nun drei Jahr alt –
an diesem Tage sein Vater 30 und noch hat er ihn gar nicht ge-
sehen und quält mich darum. – Immer hoffe ich noch, diesen Sommer
auf einige Wochen nach H., zu Ihnen zu kommen, und das ist mir
jetzt die froheste Aussicht. Aber Gott erhalte Sie nur, Sie und
meine Rosa, und gebe Ihnen das Glück alle Pflichten der Natur und
Liebe erfüllen zu dürfen, so will ich auch glüklich sein, und mich ewig Ihre Amalia
nennen. –
Worte der Liebe an Sie! Sie werden beim Thee zusammensitzen
und den Brief in der liebendsten Stellung, an Rosa angelehnt,
lesen, und zu diesen Zeilen kommen, die Ihnen sagen sollen, daß
ich Sie unaussprechlich achte und verehre. Ach, im Geiste sehe ich das
Alles, im Traume auch, aber wie ein blauer Zaubergürtel zieht
sich das Meer um mich herum, und ich kann nur Erd und Himmel
unter und über mir sehen, nicht einmal die Küste des Landes, wo
Sie wohnen! Mein Junge tröstet mich wohl, aber oft machen mich seine
kindischen Fragen wieder traurig und beklommen: wo ist denn Deine
Rosa, Mutter? Den nächsten 7ten wird er nun drei Jahr alt –
an diesem Tage sein Vater 30 und noch hat er ihn gar nicht ge-
sehen und quält mich darum. – Immer hoffe ich noch, diesen Sommer
auf einige Wochen nach H., zu Ihnen zu kommen, und das ist mir
jetzt die froheste Aussicht. Aber Gott erhalte Sie nur, Sie und
meine Rosa, und gebe Ihnen das Glück alle Pflichten der Natur und
Liebe erfüllen zu dürfen, so will ich auch glüklich sein, und mich ewig Ihre Amalia
nennen. –