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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 24.–27. Juli 1815
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 78-79 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
27. Juli 1815
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Hamburg
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 205 mm; Höhe: 250 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: Thomsen, S. 109–112.

Seite „78r“

78

Assing
Burg d. 24ten Julÿ 1815.


Liebe theure Rosa!

Du wirst mich wohl schon in Charons Nachen abgefahren glauben, da ich Deinen freundlichen Brief so lange unbeantwor-
tet ließ; nahe ging’s freilich dabei her, liebe Rosa – Ein Fuß stand in dem wunderbaren Kahn, aber diesmal habe ich
ihn noch zurück gezogen und das mit Vergnügen. Das fatale hier wüthende Nervenfieber hatte auch mich ergriffen,
obgleich nicht in dem Grade wie ich es früher hatte; alle Besinnung war fort und mein Kopf that über alle Be-
schreibung weh, dabei quälte mich ein Stich und eine Beängstigung des Herzens, die meinen Zustand schmerz-
lich und qualvoll machten. Mein kleiner Junge war Dir früher schon zugedacht – auch jetzt hatte ich bestimmt,
daß er Dir zugeschickt würde, im Falle ich dem Uebel unterläge – nur in diesem Gedanken konnte ich
ruhig sterben. – Glaube nur nicht, meine Theure daß mein Knabe ein schlechtes Vermächtniß
wäre; ich darf ohne Uebertreibung sagen, ohne zu große Mutterzärtlichkeit, daß es ein süßer kleiner En-
gel ist, ein kleiner kluger Schmeichler, der süß bittet und allerliebst plaudert. Niedliche Mutter ist sein
zärtliches Wort, oder auch süße Mutter, wobei er mich mit seinen großen seltsamen Augen so freund-
lich anblickt, daß es mir oft gar schwer wird ihm die Bitte abzuschlagen. Aber verzogen wird er nicht,
sondern muß sehr gehorsam sein; oft setze ich ihm zur Uebung der Enthaltsamkeit die ganze Zucker-
dose, oder einen Korb mit Früchten hin, wovor er dann wie die ersten Eltern vor dem Paradiese
steht, alles besieht, aber das Verbot seiner Mutter, nichts zu nehmen, eben so sehr fürchtet, als
jene den Cherub mit dem flammenden Schwerte. Seine Nahrung ist sehr einfach; Morgens
troknes schwarzes Brodt und Milch oder Wasser, Mittags alles was ich esse und Nachmittags
wieder wie des Morgens. Sonntags kömmt er mit einer kleinen schlechten Obertasse vor
mein Bett gelaufen, setzt einen Schemel an den Tisch der davor steht, ruft dem Mädchen mir
Kaffe zu bringen, setzt selbst die Zukkerdose, worauf er ein besondres Augenmerk hat,
mir recht vor die Augen und sieht mich still und voll Erwartung an. Dann schenke ich ihm ein
paar Tröpfchen Kaffe in seine Tasse und schütte sie voll Milch, lege ein ganz kleines Stükchen
Zukker und ein Weißbrödtchen daneben, worüber er eine ganz unbeschreibliche Freude
hat und mir die süßesten Schmeichelworte sagt. An den andern Tagen, wo ich schon um 6, und außer
dem Bette trinke, fällt es ihm gar nicht ein, und er ißt sein Schwarzbrodt an meiner Seite mit gro-
ßem Vergnügen. Zuweilen läuft er mir weg zu meinem Onckel dem Propsten, wo die Justitsräthin
ist, die ihn sehr verzieht, oft auch zu meiner Wirthin, die dicht neben an wohnt, wo er mit den-
selben Klöße, Dickmilch, Speck, etc. ißt, auf den großen Pferden reitet oder ihnen im Garten alle Blu-
men abreißt, welches sie sich aus übergroßer Zärtlichkeit gegen ihn alles gefallen lassen.
Denke nur nicht daß es so ein feines kränkliches Wesen ist, das jeden Augenblick zu sterben droht,
nein, es ist vielmehr ein recht großer dicker Bauerjunge, mit strotzend rothen Backen und
hoher fetter Brust, dabei hat er Arme und Hände zum malen schön.
Hier hast du eine Beschreibung Deines Erbgutes – möge es Dir recht gefallen! –
Kleine Hosen mit Kleidern darüber trägt er schon, und ist nicht wenig eitel. Neulich schikte ihm seine
Großmutter aus Hamburg allerleÿ Spielsachen und auch zwei Anzüge zu seinem 2ten Geburtsta-
ge am 7ten Julÿ – die Freude hättest Du sehn sollen!
Mein Entzücken über den kräftigen ganz gesunden Jungen übersteigt aber alle Grenzen – mit
Dank gegen Gott ruht mein Auge auf seiner gefälligen Bildung in der ungewöhnliche und
große Züge liegen: o wäre es mir vergönnt, diese Anlagen so viel als möglich zu entwi-
ckeln! –
S. hat auch das militairische Ehrenzeichen erhalten; überhaupt geht es ihm sehr gut; er schreibt
daß seine äußre Lage ganz gut sei, nur daß ihn die Sehnsucht nach der Mutter und seinem Kinde
verzehre – welches ihn doppelt bitter dünke, da er im Stande wäre, für Beide hinlänglich
zu sorgen. – Aber nein Rosa – mein Entschluß steht fest – er muß sich der Prüfung
der Trennung unterworfen haben, ehe ich mein und meines Engels Glück ihm anvertraue.

Seite „78v“

Vor meiner Krankheit hatte ich ein niedliches Fest mit meinen Kindern
, wobei auch Du gewiß
gerne gewesen wärest. Ich fuhr nämlich mit 7 Wägen zu Holze mit ihnen; neben her ritten
die vier ältesten Knaben welche ich unterrichte. Jedes der Kinder hatte in einem Korbe etwas
mitgenommen, Brodt, Butter, Kaffee, Kuchen, Braten, Gebacknes, Wein, Rahm, Zitronen,
etc. etc. Diese Körbchen wurden im Freien, mitten im Holze geöffnet, Holz gesucht, Feuer
geschlagen und Wasser zum Thee und Kaffee gekocht, wobei alles bunt durch einander rannte.
Beim Trinken versammelten sich Alle um ein großes Tischtuch welches auf den grünen Rasen
ausgebreitet war und lagerte sich auf den platten Boden. Es wurden Kränze gewunden,
die Wägen und selbst alle Pferde mit Epheu, Kaprefolium
, Eichenlaub, etc. – so
ausgeschmückt, daß alles grünen duftigen Lauben glich, dabei waren alle die
zum Theil schönen Kinder mit den köstlichsten Kränzen geschmückt, so daß das Ganze
einem Feenaufzuge glich. Mein Wagen war durch ihre Liebe zu einem Triumphwa-
gen geworden, so war er mit Guirlanden und Blumen geschmückt. –
Da eben Alles sang und sich an den schönen mitgebrachten Sachen freute, kamen
fast alle Eltern meiner Schülerinnen nachgefahren, uns zu überraschen und mit
Theil daran zu nehmen, auch um mir die Mühe unter den vielen Kleinen –
es waren 32 – tragen zu helfen. –
Der Jubel und die Freude endeten nicht, bis wir zurückwollten; da wären denn
freilich Alle gerne noch länger geblieben. Die Großen schlossen sich an uns an
und der bekränzte Zug ging durch 7 bis 8 Dörfer, wo denn das ganze Dorf
hindurch jedesmal ein beständiges Hurrah! gerufen wurde. Durch die ganze Stadt
ging der bekränzte Zug mit der größten Feierlichkeit, nur das Freudengeschrei en-
dete nur vor meinem Hause, wo ich von Allen ein schmetterndes Lebehoch erhielt,
worauf ich ihnen die Freude machte, zwei junge Vettern von mir, welche Flöte und
Violine spielen, bitten zu lassen, damit sie tanzten. Im Nu war unser Lehr-
sal ausgeräumt, der ganz ausserordentlich groß ist, und leicht 40 Personen faßt,
und der Tanz begann, woran ich unbeschreiblich viel Vergnügen hatte.

Donnerstag d. 27ten Julÿ.

Heute vor 12 muß mein Brief auf die Post, daher nur noch einige Worte, weil um 8 meine Stunden an-
gehn. – Besonders ergriffen hat mich Deines Julchens Schiksal:
es ist sehr traurig! Die Arme
scheint auch zu denen zu gehören, welche einen bittern Kelch zu leeren haben. –
Schreib mir doch recht viel von Assur und sage ihm, daß mein Herz in warmer Freundschaft sein
sei, sag ihm auch, daß ich wünschte, daß er meinen Jungen sähe; er würde einmal freundlich
mit ihm tändeln. Die schöne Zeit, wo Assur mich draußen zuweilen freundlich besuchte, schwebt
in rosigter Erinnerung vor meiner Seele und meine lebhafte Fantasie malt mir auch die

kleinsten Veränderungen dieses freundlichen Bildes aus. Assur’s Nähe war für mich
immer tröstend und beruhigend, wie ja immer die eines guten freundlichen Geistes ist;
ich fühlte das Wehen des seinigen mild und warm und ein belebendes Vertrauen in seiner
und meiner Brust; sollten so liebliche Verhältnisse für immer dahin sein? –
O Ihr lieben Freunde! oft fühle ich mich wie ausgestoßen von Euch, wie verwiesen aus dem
Heiligthum Eurer Liebe, aber dann sagt mir wieder ein innres Gefühl, daß die Trennung
nur scheinbar, nur für den Augenblick sei, weil ich Eurer Liebe nicht unwürdig geworden –
Dein Geburtstagsgeschenk ist noch nicht abgeschrieben; Du erhältst es im nächsten Briefe mit
vielen andern Liedern, besonders aus Hertha;
ob Dir die letzten gefallen haben, und
ob ich weiter dichten darf, weis ich nicht; Du, liebe Rosa, mußt mich loben oder tadeln,
denn Du bist die Einzige der ich als Richterin traue.

Seite „79r“

79


Mein Kammerherr ist nun zur Krönung des Königs
berufen, und ich fühle eine ordentliche Leere;
aber er kommt bald wieder. –
Kennst Du die letzten Briefe des Jacope di Ortis?
Heinrich Luden hat sie übersetzt und ich
finde sie schöner, viel kräftiger als den Werther
– lies ihn doch.
Ich hoffe es durchzusetzen, daß wir Fouqués Coronna,
hier kriegen; die Rezension ist, wie sie sich
erwarten ließ. Die J. Litteratur-Zeitung,
das Morgenblatt
und Minerva
sind als Jour-
nale eingeführt – da bleibt man nicht zurück. –
Sag mir, wie ist unser Dichterwald
rezensirt? –
Und nun leb wohl – grüße auch Fr. Lichtenstadt freundlichst wieder, so wie Alle die
sich mein erinnern.
In Liebe und unwandelbarer Treue küßt Dich:
Deine Amalia.

Küß Emma von ihrer Amalia, und grüß mir die Mama freundlich.


Schreib ja nur recht bald, ich werde, trotz Deiner langen Ermahnung und Deiner Vorwürfe
im letzten Briefe, gleich wieder ängstlich, wenn Du nicht schreibst; habe Geduld mit meiner Schwä-
che, denn wer fürchtete nicht den Neid des Schiksals im Besitze des Herrlichen? –

Seite „79v“

Dem Fräulein Rosa Maria Varnhagen von Ense

Kohlhöfen Nor 91.

zu

[Amalia Schoppe]3–5