Brief von Karoline von Woltmann an Rahel Varnhagen von Ense
Prag, 23. Februar 1818
Seite „48r“
48
Prag, d. 23 2/18
Mein erster Gruß und Lebenszeichen an Ihnen, liebeRahel, sei auch ein Zeichen von dem, was diesem Leben
die Freude giebt, von der Herausgabe der Schriften
des geliebtesten Mannes. Ich sende Ihnen und Varn-
hagen die Ankündigung mit der Bitte, sie nach Mög-
lichkeit zu verbreiten. Sie fühlen gewiß, daß das
gänzliche Verstummen über Woltmann eine Schan-
de für Deutschland ist. Das Publikum will ausge-
sprochen hören, was es recht gut fühlt und weis:
Viele, an denen es wäre über Woltmanns Verdiens
Verdienst dies Wort zu sagen, wollen es nicht
thun: Varnhagen werde ich nicht umsonst auffo-
dern zu sagen, was glücklich ausgedrückt, ver-
standen und unverstanden wiederholt wird, und
in diesem Fall wie ein guter Zauberspruch auf
lange Zeit gut wirken wird; denn der idealische
Schwung, die Frische und Wirklichkeitergreifende
Lebendigkeit von Woltmanns historischen Vor-
stellungen, thun unsrer welken Zeit Noth
und Wohl.
Seit ich ihn nicht mehr habe vertiefe ich mich mit
Freuden in seinen Büchern; die Charkteristik
Freuden in seinen Büchern; die Charkteristik
Seite „48v“
der Propheten in der Geschichte der Israeliten,
die Schilderung der Figuren der Revolution,
rich des vierten
lesen, oder wiederlesen. Ich habe sein häusliches
Leben, sein Gemüth, zu schildern versucht.
haben ihn noch mehr als Varnhagen in diesen Eigen-
thümlichkeiten gekannt, liebe Rahel, und ich freue mich sehr Ihr
Urtheil zu hören. Sie können nur dasselbe, was ich
sagte, Sie werden es auf Ihre Art mir zu einer neu-
en Freude sagen. Hier ist keine Seele, mit der ich von
ihm sprechen kann. Die Vicepräsidentin
von großer Innigkeit und Stille, liebt ihren Mann
und ihre Kinder so stark, daß sie mit Theilnahme
ein Gefühl äußern hört, welches sie ebenso emp-
finden würde, wenn das Unglück sie dazu ver-
dammte, aber das ist keine Theilnahme an ihn.
die Schilderung der Figuren der Revolution,
Hein-
rich des vierten
werden Sie mit großer Freude
lesen, oder wiederlesen. Ich habe sein häusliches
Leben, sein Gemüth, zu schildern versucht.
Sie
haben ihn noch mehr als Varnhagen in diesen Eigen-
thümlichkeiten gekannt, liebe Rahel, und ich freue mich sehr Ihr
Urtheil zu hören. Sie können nur dasselbe, was ich
sagte, Sie werden es auf Ihre Art mir zu einer neu-
en Freude sagen. Hier ist keine Seele, mit der ich von
ihm sprechen kann. Die Vicepräsidentin
, eine Frau
von großer Innigkeit und Stille, liebt ihren Mann
und ihre Kinder so stark, daß sie mit Theilnahme
ein Gefühl äußern hört, welches sie ebenso emp-
finden würde, wenn das Unglück sie dazu ver-
dammte, aber das ist keine Theilnahme an ihn.
Unter jener Arbeit, beim Schreiben des zweiten
Theils von Maria und Walpurgis,
den ersten erhalten haben werden, in seliger
Einsamkeit, heilen allmählig zerschmetterte Ner-
ven. Ich leide unaussprechlich. Das Bild sovieler
Güte und Tugend, das von meiner Seite genom-
men ist, die durchgängige Erwiederung, die
Theils von Maria und Walpurgis,
von der Sie
den ersten erhalten haben werden, in seliger
Einsamkeit, heilen allmählig zerschmetterte Ner-
ven. Ich leide unaussprechlich. Das Bild sovieler
Güte und Tugend, das von meiner Seite genom-
men ist, die durchgängige Erwiederung, die
Seite „49r“
49
Kentnissen, die Freundlichkeit, Liebe, Achtung –
O mein Gott – Aber es ist recht, daß man großen
Schmerz fühlt, um was großen Schmerz verdient.
Meine Lage ist ganz unverändert, alle Verbindun-
gen Woltmanns sind mir geblieben, Freiheit, Aus-
kommen, bürgerliche Achtung, Geschäfte. Aber es
ist alles wie bei den Schatten Homers,
dasselbe
wie im Leben, ohne Freude, ohne Stätigkeit ohne Kraft. . Dies sei
das letzte Wort der Klage, wo wollt ich enden, wenn
nicht mit Gewalt. Man konnte von ihm sagen, was
auf dem Grabe des Cyrus stand. „Ich hatte den Preis
unter den Starken, ich vermogte, was ich wollte.“
Man sieht Alles im Leben voraus, man kennt es, man
hat es empfunden eh man es erlebt, und in der
Wirklichkeit ist es ein Andres; gerade wie ein todtes
Marmorbild im Eindruck sich zu einer bewegten, lebendigen
Gestalt verhält: man kennt die Form, nicht das
Leben der Dinge.
Nach Prag bin ich sehr gern zurückgegangen,
Berlin war mir greulich; als ob der Ostwind alles
wegwehen müßte, wo nichts zu einander gehört,
Berlin war mir greulich; als ob der Ostwind alles
wegwehen müßte, wo nichts zu einander gehört,
Seite „49v“
keines das Andre hält. Die neuen Anlagen wären groß-
artig, ständen die Gebäude in Verhältniß zu den Räu-
men: so fällt Alles auseinander, dazu eine Bassa-Re-
gierung
wieder, als ich die übereinandergethürmten Gebäu-
demassen im Colorit der Vorzeit hügelangethürmt
erblickte. Der Genuß derselben Vorzeit, durch die Gegenwart
ihres Bildes in der Umgebung, ist eine Fülle
woran sich die Empfindung gewöhnt.
artig, ständen die Gebäude in Verhältniß zu den Räu-
men: so fällt Alles auseinander, dazu eine Bassa-Re-
gierung
über ein engentwickeltes Volk. Ich athmete
wieder, als ich die übereinandergethürmten Gebäu-
demassen im Colorit der Vorzeit hügelangethürmt
erblickte. Der Genuß derselben Vorzeit, durch die Gegenwart
ihres Bildes in der Umgebung, ist eine Fülle
woran sich die Empfindung gewöhnt.
ter mit meinen zwei jüngsten Schwestern
her,
um den Sommer hier zuzubringen, nachdem werde
ich ein Kind
zu mir nehmen. Schreiben Sie mir, wie
es Ihnen geht, wie Sie leben. Was in Deutschland
geschieht wäre leidlich, hätten wir nur eine Seele
der öffentlichen Rede. Das Gespreche auf dem
Bundestag ist oft indecent. Göthe’s Leben
, haben
Sie gelesen, das heiterste Buch macht einen trost-
losen Eindruck, weil es das Absterben aller Be-
geistrung [×××] darstellt. Es hat aber himmlische
Scenen, und der gute Geist läßt den nicht ganz
den er einmal liebte. Leben Sie gesegnet und heiter
und gesund
x
Seite „50r“
50
Wollen Sie mir
eine Pränumeran-
tensammlung ver-
anstalten wird
es mich freuen,
Liste und Gelder
an Fleischer in
Leipzig, Liste mir.
Addressiren Sie
an Widtmann, mir
ist schon wieder
ein Brief aus
Frankfurth am
Mayn verlohren.
eine Pränumeran-
tensammlung ver-
anstalten wird
es mich freuen,
Liste und Gelder
an Fleischer in
Leipzig, Liste mir.
Addressiren Sie
an Widtmann, mir
ist schon wieder
ein Brief aus
Frankfurth am
Mayn verlohren.
x
Seite „50v“
23 II 1818