Brief von Karoline von Woltmann an Karl August Varnhagen von Ense
Berlin, 6. November 1833
Seite „27r“
27
[Karl August Varnhagen]
Frau von Woltmann.
Berlin, den 6. November 1833.
Gabe, sende ich hier die anliegenden
Blätter, die ich lange verwahrt.
Ei-
gentlich bringe ich Ihnen damit ein Op-
fer: ich habe so sehr schöne Briefe
von Göthe, Fürst Primas, Lang, der
Huber, die viel bedeutendere Briefe
als Bücher schrieb; mit diesen hätte
ich gern die beikommenden Blätter
so viel sie fürs Oeffentliche geeig-
net sind, abdrucken lassen, wenn Sie
es mir erlaubt; indessen gebe ich
sie mit wahrer Freude in Ihre Hände.
Sie werden überaus anmuthige und
geistvolle und durchdringe
Worte
in den Briefen Ihrer Frau finden.
Seite „27v“
Sie werden sehen ein wie trefflicher
Prophet Sie gewesen und wie
wohlwollend gütig beide gegen uns –
Haben Sie nicht vielleicht noch einige
Briefe Woltmanns aufbewahrt?
Er konnte Ihnen aus der Fülle
seiner Erkenntniß und seines Ge-
müthes schreiben, und that es.
Obgleich ich sehr viel gleichgülti-
ger gegen allen Ruhm, so auch
gegen den seinen, geworden bin;
schmerzt mich immer die Ungerech-
tigkeit der Zeit gegen diesen
Mann, der so viel höher als sie
stand. Der Ruhm ist das Mittel
der Liebe Unbekannter: wer
Prophet Sie gewesen und wie
wohlwollend gütig beide gegen uns –
Haben Sie nicht vielleicht noch einige
Briefe Woltmanns aufbewahrt?
Er konnte Ihnen aus der Fülle
seiner Erkenntniß und seines Ge-
müthes schreiben, und that es.
Obgleich ich sehr viel gleichgülti-
ger gegen allen Ruhm, so auch
gegen den seinen, geworden bin;
schmerzt mich immer die Ungerech-
tigkeit der Zeit gegen diesen
Mann, der so viel höher als sie
stand. Der Ruhm ist das Mittel
der Liebe Unbekannter: wer
Seite „28r“
28
eine Zeit, will ich nicht sagen, ein Zu-
stand (was ist sonst die Zeit? –) kom-
men, wo uns Allen das innere Licht
über uns Alle wird aufgegangen
seyn. Vielleicht lieben wir dann re-
trograd die Edlen und Guten, und
sie wissen davon. Sie müssen eine
Zeit herber Schmerzen und herber
Oede durchleben. Ueber solche Ver-
luste kann nichts trösten, als das
Bild, das Studium der Gedanke,
wie sich die Welt aus immer unvol-
kommenrer, verworrener, widerspre-
chender Organisirung, im Einzelnen,
in Allem, im Ganzen; zu im-
mer vollkommenrer, geregelterer
Seite „28v“
harmonischer erhebt; wenigstens mich
hat nichts getröstet, nichts die Oede
erfüllt als die Spur der Rückkehr
zur Gottheit in der Materie, in
allen ihren Erscheinungen, zu suchen
zu verfolgen.
hat nichts getröstet, nichts die Oede
erfüllt als die Spur der Rückkehr
zur Gottheit in der Materie, in
allen ihren Erscheinungen, zu suchen
zu verfolgen.
Dienstags