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Brief von Karoline von Woltmann an Karl August Varnhagen von Ense

Prag, 31. März 1821
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 281 Woltmann Karoline von, Bl. 23-24 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Karoline von Woltmann
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
31. März 1821
Absendeort
Prag
Empfangsort
Berlin
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 205 mm; Höhe: 245 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

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[Karl August Varnhagen]Prag, den 31. März
1821.
Von Frau von Woltmann.

Ich hatte den Abend, das Kind einer Freundin zu belustigen, ver-
sucht Figuren auszuschneiden, die wie die ersten Anfänge der Bildhau-
erkunst, oder die Vorübungen der Natur zur Hervorbringung der
menschlichen Gestalt ausfielen, und mein Ungeschick erinnerte mich leb-
haft an Ihr großes Geschick bei dergleichen; dann dachte ich die ganze
Zeit unsrer Bekanntschaft lebhaft durch, bedauerte, nichts mehr von
Rahel und von Ihnen unmittelbar zu hören, stellte Ihr Verhältniß
zur Zeit, Ihre Empfindungen und Gedanken bei derselben mir lebhaft
vor, und schlief darüber ein; am andern Morgen wurde ich aufgeweckt
durch Jemand, der mir Ihren Brief übergab, und die Freude darüber
erhielt etwas Wunderbares, durch das Vorangegangene. Sie wer-
den natürlich finden, daß das Erste, was ich that, war auf allen
Seiten nachzusehen, ob zwischen Ihrer schönen und regelmäßigen
Schrift nicht die minder regelmäßigen aber nicht minder werthen
Schriftzüge Ihrer Frau zu entdecken wären, und das eine getäusch-
te Hoffnung mir leid that, ehe ich las was Sie schrieben. Möge
Gesundheit ihr bald verstatten sie mir durch eine der größ-
ten Freuden zu ersetzen; denn die wird es für mich seyn, Et-

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was von ihr zu hören. Wer sie gekannt hat wird sie nie vergessen
auch nicht indem er fürchten muß von ihr vergessen zu seyn;
was ich aber recht im Innern nicht gefürchtet habe.
Nehmen Sie meinen herzlichen Dank für Ihre Theilnahme an mei-
nem Unternehmen der Herausgabe von Woltmanns Werken
.
Es würde mich sehr freuen und dasselbe gewiß fördern, wenn
eine einsichtsvolle, geistvolle und kraftvolle Beurtheilung dessen
was seine Werke der deutschen Litteratur sind erschiene. Sie
würden vielleicht dem Vertrauen besser entsprechen daß ich
in Ihrem Vermögen eine solche zu liefern setze, als Gene-
ral Funk, der was er mit Güte übernommen, in der Jenaer
Litteraturzeitung
nicht mit Feuer ausführt, sondern wie
es scheint, mehr seinem Wort zuliebe, als der Sache die es
betrifft. In den Göttingschen gelehrten Anzeigen wird Hof-
rath Heeren Woltmanns Werke beurtheilen,
wie er mir und
Geheimrath Eichhorn, der Redacteur, mir schreibt. Herr Ma-
thäus von Collin
dagegen, sucht einen Recensenten für das
Werk; wenn Sie die Güte haben wollten ihm Ihre Beurthei-

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lung zu senden: so glaube ich er würde er sie mit Vergnügen
in die Jahrbücher der Litteratur
einrücken, die unter den kriti-
schen Blättern doch auch in gutem Ansehn stehn. Woltmanns Un-
stern verfolgt sein irdisches Wirken, wenigstens dessen au-
genscheinlichen Erfolg, h auch nach seinem Tode.
Mit der größ-
ten Anstrengung mit Verdruß und Sorge halte ich das Unter-
nehmen aufrecht, wobei mich das Publikum so wenig un-
terstützt, als ob Geister wie er alle Tage unter ihm geboh-
ren würden. Gebe Gott meinem Herzen die Standhaftigkeit die
er jener Widerwart entgegensetzte, und immer glücklicheren
Sieg derselben.
Was soll man über die Zeit schreiben? Wir leben hier gar
in der Clausur des Harpocrates,
und wer nicht ein halbes
Leben hindurch ihr Rede, Gedanken und Gefühle gewidmet, möchte
bei dem allgemeinen Schweigen über sie, verlernen an sie
zu denken. Die Geschichte ist zu unendlich, das menschliche Leben zu
beschränkt, als daß je eine Harmonie dazwischen eintreten könn-
te. Die Papiere, welche Sie wünschen sind durch Buchhändlergele-

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genheit an Sie gesandt. Schicken Sie mir für diese Ihre Briefe Wolt-
manns Briefe an Sie, wenn Sie sie noch haben. Streichen sie die
Stellen an, die sie nicht gedruckt sehen möchten, im Fall sie sich
zum Drucke eigneten, was ich nicht weiß, ehe ich sie gelesen.
Jene bleiben dann zuverlässig weg.
Hätte ich doch Hoffnung Rahel diesen Sommer hier zu sehen!
Es ist doch ein gar so schönes Land dieses Böhmen. Nichts fehlt
zum angenehmsten Daseyn, als Menschen mit denen man ge-
nösse!
Leben Sie Beide herzlich wohl und erfreuen Sie zuweilen
durch eine Nachricht Ihre Ihnen ergebenste

Karoline v. Woltmann
Prag den 31sten März
1821