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Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense

München, 23. November 1840
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 259-263 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
23. November 1840
Absendeort
München
Empfangsort
Berlin
Umfang
5 Blätter
Abmessungen
Breite: 105 mm; Höhe: 155 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „259r“

259

[Karl August Varnhagen]Helmina von Chézy.
München, 23t Nov. 1840

Wenn ich auch keine Bitte, und auch noch
schlechtere Federn hätte, ich würde mir nicht es
versagen, Sie, dessen ich so oft, durch blos
innere, so reichhaltig durch äußere Anregung
gedenken muß, durch, Ihnen werthe Landsleute
schriftlich zu begrüßen. Eben lesen wir, die
edle liebe Prinzeß v. Hohenzollern, Wittwe von
Heer
u ihre Tochter im urersten Band Ihrer
Denkwürdigkeiten
, jene von dem Einzelnen,
(Congreß in Wien) was ich ihnen las, ich
vom ganzen Band tief angeregt, wie
alle (, unsre Zeit mein ich,) muß Ihren
Dank wissen, für das Seelengemälde

Seite „259v“

der Luise von Bourbon
, u die einzelnen Züge
von St Martin
. Mich hat noch u.a. die
Sylphide
tief bewegt, anbei zugleich höflich
ergoetzt. Auch Ihren holden Brief an den
verehrten Sprößling der Hohenzollern
habe ich
gelesen, wie trostreich, wie herzlich, wie fein
haben Sie darin alles vereinigt, was dies
wunde, schöne Herz erfreuen kann, ich war
damahls schon so ergriffen von dem Brief,
daß ich Ihnen gleich schreiben wollte, ich
habe sie
nun seit 4 Tagen nicht besucht,
u kann sie früh nicht sprechen, sonst
hätte sie mir gewiß recht viel Schönes
an Sie aufgetragen. Gewöhnlich seh ich sie
alle Abend. Vorgestern fand ich sie in Thalbergs
Conzert, wo man erstikkte. Mir ist Taubert lieber.

Seite „260r“

Das liebenswürdige Paar, welches so gütig
ist, diese Sendung für mich zu übernehmen,
hat meine heiße Sehnsucht nach Hause
einmahl wieder auf höchst angenehme
Weise belebt. Ich hoffe diesen Winter noch
zu erscheinen. Zuerst muß ich noch nach
Strasburg, meine Papiere zu holen, Bibliothek
u.s.w. In Berlin will ich, vereint mit
meinem Bruder, die Karschin in unsern
gegenseitigen Mittheilungen recht auf-
leben lassen, um ihr Bild, u das ihrer
Zeit lebendig hervorzurufen, ich werde eine
Chronologisch geordnete strengste Auswahl
aus ihren Gedichten, nebst ihrer Correspondenz
herausgeben, es kommt viel Kerniges u

Seite „260v“

Saftiges darin vor, zugleich einen Umriß
ihres Lebens, so viel ich’s vermag, vom
jetzigen Standpunkt der Dinge aus in
das Auge gefaßt.
Unser Hitzig hat dieser
Unternehmung vielen u wirksamen Antheil
gewidmet. Ich gedenke das Werk unserm
lieben König zuzueignen u darf
auf Seine Zustimmung hoffen, da es
ein Vaterländisches Denkmahl ist. Ohne
Laube’s Gefasel über „die Karsch
hätte
ich das Ganze vielleicht noch ruhen lassen,
wie übergrün ist das junge Holz in
dieser Litteraturgeschichte! Ein anderes
Blatt fasse mein Anliegen, bleibt doch
auf diesem kein anderer Raum zum Aus-
druck meiner Gesinnung als der, den sie schon
erhält.
Helmina von Chezÿ
NB. Ich glaube die gute Waldow war gemeint? Ja, sie hat solche Absprünge! Höchst komisch!

Seite „261r“

261

[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy.
z. 23 Nov. 1840.
Noch Eine Nachricht, die Herzogin Luise Bourbon
hat mir wieder alles recht aufgefrischt. Den
jungen Heinrich
habe ich hier gesprochen
, anliegendes Lied ist an Ihn – 
auch mein Max (der Sie bittet
sich seiner gütig erinnern zu wollen)
war einige Stunden mit Ihm zu-
sammen. Eine liebliche Erscheinung!
Das lebendige Bild, nicht vom L. XVI
sondern von Madame Elisabeth
,
u dieser leuchtende Glanz einer
frischblühenden, unentweihten
Jugend, in Auge u Lächeln so
gewinnend, so geistvoll und fein,
auf Wangen Stirne u Lippen so
maÿlich. Unschön hat man sich hier gegen
Ihn benommen.

Seite „261v“

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[Karl August Varnhagen]Helmina von Chézy.
[Karl August Varnhagen]z. 23 November 1840.
Nachschrift.
Der Hofrath v. Küstner wünschte einmahl den Alcalde von Zalamea
Bühnenrecht,
mit Umschiffung der Klippe
bearbeitet zu sehn, ich that hiezu, was ich vermochte,
u theilte ihm anliegende Handschrift
mit, allein da sperrten sich die Adels-
u Mönchs- Rücksichten, die hier so vieles erschweren, u es mußte die Aufführung
unterbleiben, nun sende ich es, im Vertrauen auf Ihre Liebe zum Calderon
u Ihr gütiges Andenken an mich, zu erst u vor Allem um Ihren
Rath bittend. Malsburgs leztliche, Tieck so werthe Uebersetzung
Es handelt sich um Pedro Calderón de la Barca: Der Schultheiß von Zalamea. Übers. von Ernst Otto von der Malsburg. In: Schauspiele von Don Pedro Calderon de la Barca. Übers. von dems., Bd. 5, Leipzig 1823.
zum Grund, glaube ich behutsam u wirksam mit den Ab-
kürzungen, dann mit den Aenderungen zu Werk gegangen
zu seyn. Der Hofschauspieler Schenk sagte mir, der Alcalde sey in
Bresslau dem Original getreu, aufgeführt worden, da er
selbst habe den Schultheis gegeben, ich selbst bin durch
meine neuerlichen zwey Reisen mit langem Aufenthalt
in Paris, u durch viel häusliche Angelegenheiten
gehindert worden mich zu erkundigen, was etwa mit
dem Alcalde in Berlin geschehn? Sollte er dort noch nicht auf-
geführt seyn, u sollten Sie meine Arbeit gut finden, so
werde ich deshalb entweder an Hofrath Esperstaedt oder an
Graf Roedern selbst – wen meinen Sie? – mich wenden

Seite „262v“

Seite „263r“

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Da ich München bald verlasse, so bitte ich, überzeugt daß Sie ohnehin wenig
Zeit haben – noch erst einen Brief von mir abzuwarten, eh Sie
mir diese Güte Ihres Rathes schriftlich erzeigen. Von S. Majestät
hoffe ich eine Entschließung, ich habe Ihm durch die huldvolle
Prinzeß Wilhelm k.H. eine Vorstellung wegen Ankauf der
herrlichen Elementar-Werke meines sel. Mannes für das
Persische u Sanskrit einreichen lassen, dies war im September
u wenn der König gehindert wird das zu thun, so glaube ich
doch um mein Vaterland etwas verdient zu haben, mit den Verwundeten
mit Fonk
, wo damahls der Kronprinz so durchaus von seiner Unschuld
überzeugt war, mit meinen Schriften, u mit allem was ich
selbst noch zu leisten vermag. Haben Sie Gelegenheit
mit Humboldt darüber zu sprechen, o, so erinnern Sie
an mich, ich bin ein Kind des preußischen Bodens,
wird man mich hülflos in der Fremde laßen?
Ich möchte mir mein Grab daheim sicher bestellt wissen,
das französische Brot, ohnehin knapp zugeschnitten,
schmeckt mir gallebitter. Selbst in Adelberts Briefen steht
Zeugniß für meine Liebe zum heimischen Boden.

Seite „262v“

Ich bitte Sie recht zuversichtlich um eine Mithülfe zu Erlangung
des Ankaufs der Manuskripte, oder zu einer Pension,
für gutes großes u rühmliches Werk mehr in Ihrem schönen
Leben, brauchen Sie doch dafür nicht, wie 1810 in die Flammen
zu springen, u sich mit den Geretteten bis zur peinlichsten
Erschöpfung abzumüden, Worte wie Niemand sonst sie hat,
diesen Hort der Seele werden Sie für mich erschließen!
Ich lege Ihnen Abschrift der Vorstellungen bei.
Meinen Erinnerungen im Morgenblatt Dezember 1839 über Henriette
v. Montenglaut
mit Erwähnung Ihrer Rahel,
dann meine
Überlieferungen in Mundts Freyhafen
werden Sie eine Stunde
gönnen? Ich bitte sehr darum, weil ich viel an Sie
dachte, als ich’s schrieb. Noch will ich nicht unterlassen
weil ich mit Kummer höre, daß Sie leidend sind, Ihnen vom
Wasser zu sagen meinen Max, aufgegeben von den Aertzten
schon fast sterbend rettete die Wassercur, er blüht in frischer
Fülle der Kraft, mich erquickt und begeistert die Wasserdiät
da ich keiner Kur bedarf, unbeschreiblich! Sollten Sie durch die vielen,
jetzt begründeten Erfahrungen zur Wassercur bewogen werden, so wollte
ich dringendst gerathen finden, den ganzen Winter zur Vorbereitung, mit dem erquicklichen
leichten Mittel der progressiv steigenden Anwendung der Diät und Waschungen anzuwenden,
auch muß ich etwas Wichtiges hinzusetzen, Wirkung u Annehmlichkeiten der Kaltwaschungen bei jetziger
Witterung werden sehr gesteigert, wenn man im warmen Zimmer ein Baden mit warmem Wasser
zuvor anwendet, dann die Kaltwaschung gleich drauf, doch vor Allem nie anderes Wasser weder
zum Trinken noch zum Waschen, als frisch weg geholt vom Brunn, in verdeckten Gefäßen
Ach! welche Feder! – Bedenken Sie es wohl, es ist unendlich wolthuend u angenehm!