Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense
Genf, 28. Dezember 1853
Seite „280r“
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[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy.
(diktirt.)
(diktirt.)
Genf, den 28. Dezember 1853.
Schon lange so still, Theurer, haben Sie mich denn ganz
vergessen? Es sind doch so manche Beziehungen aus der Vergangen-
heit auch noch wohl irgend wie aus der Gegenwart, die keine
gänzliche Trennung stattfinden lassen sollten. Eine der-
selben, die meines bodenlosen Unglücks, des Verlusts des Augen-
lichts ist ganz geeignet, ein antheilnehmendes Gemüth, wie das
Ihrige, anzuregen. Ja mein verehrter Freund, ich bin zu der Mar-
ter der Unthätigkeit verdammt, kann nicht mehr lesen, nicht mehr
schreiben. Die übrigen Genüsse des Sehens wollte ich noch entbehren,
wie wohl der Verlust des Gesichts in diesen reizenden Gegenden
in die ich hineinreiste um etwas nie Gekanntes zu bewundern, dop-
pelt schmerzlich fällt. Ein Jahr nach meiner Ankunft in der Schweiz
waren meine Augen noch gut, ich habe aber nichts gesehen, als die
entzückenden Gesichtspunkte bei Bern und bei Vivis, nämlich in
der Ebene, nirgends konnte ich hinauf. Sonderbarer Weise habe
ich minder Schönheit gefunden als im Salzkammergut und in
Ober-Österreich, wie auch bei Heidelberg und in Meamo-
rasi. Ich kenne noch einige am Rhein, ich konnte noch welche entzückende
Gegenden nennen; gar manches verdient den Eindruck den die
Schweiz macht. Durch die hohen Mauern, wo mit selbst auf den
vergessen? Es sind doch so manche Beziehungen aus der Vergangen-
heit auch noch wohl irgend wie aus der Gegenwart, die keine
gänzliche Trennung stattfinden lassen sollten. Eine der-
selben, die meines bodenlosen Unglücks, des Verlusts des Augen-
lichts ist ganz geeignet, ein antheilnehmendes Gemüth, wie das
Ihrige, anzuregen. Ja mein verehrter Freund, ich bin zu der Mar-
ter der Unthätigkeit verdammt, kann nicht mehr lesen, nicht mehr
schreiben. Die übrigen Genüsse des Sehens wollte ich noch entbehren,
wie wohl der Verlust des Gesichts in diesen reizenden Gegenden
in die ich hineinreiste um etwas nie Gekanntes zu bewundern, dop-
pelt schmerzlich fällt. Ein Jahr nach meiner Ankunft in der Schweiz
waren meine Augen noch gut, ich habe aber nichts gesehen, als die
entzückenden Gesichtspunkte bei Bern und bei Vivis, nämlich in
der Ebene, nirgends konnte ich hinauf. Sonderbarer Weise habe
ich minder Schönheit gefunden als im Salzkammergut und in
Ober-Österreich, wie auch bei Heidelberg und in Meamo-
rasi. Ich kenne noch einige am Rhein, ich konnte noch welche entzückende
Gegenden nennen; gar manches verdient den Eindruck den die
Schweiz macht. Durch die hohen Mauern, wo mit selbst auf den
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den Dörfern und auf dem Lande zu beiden Seiten der Wege und
Straßen übelriechende Einengungen stattfinden, indeß man
durch verschlossene Gitterthore und verbotenes Paradies schim-
mern sieht, sind widerwärtig. Es ist einem zu Muth wie einem
Gefangenen, der von seinen Fenstern die herrliche Landschaft
belauschen, aber sich darin nicht ergehen kann. Hier nun in Genf,
wo ich meiner Augen wegen angesiedelt, ist dieser Uebelstand noch
wiederwärtiger als anderswo und das Klima ist schaudervoll.
Straßen übelriechende Einengungen stattfinden, indeß man
durch verschlossene Gitterthore und verbotenes Paradies schim-
mern sieht, sind widerwärtig. Es ist einem zu Muth wie einem
Gefangenen, der von seinen Fenstern die herrliche Landschaft
belauschen, aber sich darin nicht ergehen kann. Hier nun in Genf,
wo ich meiner Augen wegen angesiedelt, ist dieser Uebelstand noch
wiederwärtiger als anderswo und das Klima ist schaudervoll.
Diesen Sommer konnte man wegen zu großer Hitze nur zwischen
4-6 Luft genießen, Abends gab es keine. Ich denke hier von
viel an Juljette Rencanier Juliette Récamier und, August Ferdinand.
4-6 Luft genießen, Abends gab es keine. Ich denke hier von
viel an Juljette Rencanier Juliette Récamier und, August Ferdinand.
In Coppet
ich meine Augen zurückkriege. Von der Schwester der armen
schönen D’Aston habe ich gehört, es seien zwei Töchter von der
Frau von Stahl auf dem Schlosse. Haben Sie die beklagenswürdige
D’Aston gesehen? Sie ist hinreißend schön, bezaubernd geistvoll.
Leben kann sie nicht lange. Cosa bella mortal passa e non
dura dura.
ster ist sehr liebenswürdig und achtungswerth. Sie hatte mir zu
schreiben versprochen und schien zärtlich für mich eingenommen zu sein,
läßt aber nichts von sich hören. Ich musste Sommer und Winter
fast immer wegen des Klimas im Bett zubringen, war aber
gleichwohl merkwürdig fleißig. Ich hoffe es geht Ihren Augen
nicht wie den meinigen. Es wäre schön, wenn Sie geneigt wären,
mir hierüber eine Nachricht zukommen zu lassen. In Ihrem
letzten Briefe, haben sich, hat mich erschreckt, was Sie darüber
sagen.
mir den Anblick dieses Schreckens. Ich habe auch seither viel ma-
terielles Unglück zu bedauern. Zweÿ gewissenlose Anverwane dazu
sechs räuberische Domestiquen dazu die Unkosten, welche mein
vermehrter Hausstand, den meine Blindheit erheischt, verursacht,
bin ich noch nicht gewesen, es ist nicht unmöglich, daß
ich meine Augen zurückkriege. Von der Schwester der armen
schönen D’Aston habe ich gehört, es seien zwei Töchter von der
Frau von Stahl auf dem Schlosse. Haben Sie die beklagenswürdige
D’Aston gesehen? Sie ist hinreißend schön, bezaubernd geistvoll.
Leben kann sie nicht lange. Cosa bella mortal passa e non
dura dura.
Ich glaube nicht, daß sie ihr hartes Schicksal verdient. Ihre Schwe-
ster ist sehr liebenswürdig und achtungswerth. Sie hatte mir zu
schreiben versprochen und schien zärtlich für mich eingenommen zu sein,
läßt aber nichts von sich hören. Ich musste Sommer und Winter
fast immer wegen des Klimas im Bett zubringen, war aber
gleichwohl merkwürdig fleißig. Ich hoffe es geht Ihren Augen
nicht wie den meinigen. Es wäre schön, wenn Sie geneigt wären,
mir hierüber eine Nachricht zukommen zu lassen. In Ihrem
letzten Briefe, haben sich, hat mich erschreckt, was Sie darüber
sagen.
Dann kam meine eigene Blindheit und vergrößerte
mir den Anblick dieses Schreckens. Ich habe auch seither viel ma-
terielles Unglück zu bedauern. Zweÿ gewissenlose Anverwane dazu
sechs räuberische Domestiquen dazu die Unkosten, welche mein
vermehrter Hausstand, den meine Blindheit erheischt, verursacht,
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aus habe ich einige Hoffnung zu einer kräftigen Aushülfe, zu dem
ist eine Aussicht da, daß meine Oper Eurÿanthe
auf mehreren der
ersten Theater Deutschlands zu meinem Benefice aufgeführt
werde. Die Gründe, warum der Dichter so gut beachtet werden sollte,
wie der Komponist, wo es die Frucht seiner Arbeit gilt, liegen auf
flacher Hand. Es wäre aber schön, wenn ein hoher, klarer vielumfas-
sender Geist diese Gründe einleuchtend geltend machen wollte. Eine
Bitte deshalb wage ich nicht, doch es ist erlaubt, ein Wunsch auszusprechen.
Thun Sie, was möglich ist. Eingeleitet habe ich die Sache in einem Brief
an die Fürstin von Lignitz, in einem an Meÿerbeer
Ich werde deßhalb auch an die liebenswürdige Gräfin von Doenhoff
mich wenden, und sehen was sich auf diese Art von der Königin hoffen
läßt, die mir sonst immer huldreich war. Ich habe viel Gegenwir-
kung zu fürchten; denken Sie einmal etwas über die Sache nach.
mich wenden, und sehen was sich auf diese Art von der Königin hoffen
läßt, die mir sonst immer huldreich war. Ich habe viel Gegenwir-
kung zu fürchten; denken Sie einmal etwas über die Sache nach.
Wie mag Sie in dem ganz vergeistigten Berlin mehr noch in Ihrem ganz
vergeistigten Leben ein Brief langweilen, wie dieser. Himmel, es
gewiß nicht der einzige, den Sie dieser Art empfangen. Haben Sie
Oper und Drama
mich u meine Oper
Ich habe etwas dagegen geschrieben. Eine geistvolle Freundin
wünscht daß ich es nicht drucken lasse. Das Werk Rich. Wagners
lahmt übrigens merkwürdig, und wird wie er einst vergessen
sein.
vergeistigten Leben ein Brief langweilen, wie dieser. Himmel, es
gewiß nicht der einzige, den Sie dieser Art empfangen. Haben Sie
Oper und Drama
von Rich. Wagner gelesen. Er hat darin
mich u meine Oper
mißhandelt.
Weber eigentlich nicht minder.
Ich habe etwas dagegen geschrieben. Eine geistvolle Freundin
wünscht daß ich es nicht drucken lasse. Das Werk Rich. Wagners
lahmt übrigens merkwürdig, und wird wie er einst vergessen
sein.
Sein Sie mir nun zum Anbeginn des Jahres 1854 mit liebevollen
Wünschen gegrüßt. Erfreuen Sie mich mit einer Antwort
und gedenken Sie Ihrer herzlich
Genf, den 28. Dezbr 1853.
Adresse
Route de Suisse maison Amiel.
Wünschen gegrüßt. Erfreuen Sie mich mit einer Antwort
und gedenken Sie Ihrer herzlich
ergebenen Freundin
Helmine de Chezÿ.
Helmine de Chezÿ.
Genf, den 28. Dezbr 1853.
Adresse
Route de Suisse maison Amiel.