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Brief von Sidonie von Seefried an Helmina von Chézy

Homburg vor der Höhe, 16. März 1837
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 233 Seefried Sidonie von, 16.03.1837 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Sidonie Baronesse von Seefried
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
16. März 1837
Absendeort
Bad Homburg vor der Höhe
Empfangsort
Bad Homburg vor der Höhe
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 134 mm; Höhe: 215 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Sidonie von Seefried
an Fr. v. Chézy.
[Karl August Varnhagen]Homburg
Homburg vor der Höhe
den 16 März 1837.

Wie sehr mich Ihr Brief rührte und erfreute!
Das Verstanden werden ist etwas so seltnes wie der
wahre Glaube, und wie Sie sagen, so selten, weil man
jede Seele und jedes Schicksal in die allgemeine
Form zwängen will! – Sie sehen, daß ich mich beeile
Ihnen die Uibersetzung
zu senden. Das Original
, das
Sie mehr intressiren könnte, blieb in Deufstetten
und nun setze ich mich zu Ihren Füßen nieder und
bitte wie Clärchen selig „mein hoher Herr!“ Ja,
schelten Sie gleich meinen Gebieter über die armen,
schwachen Verse, und feilen Sie kräftig. Treu ist
die Uibersetzung: denn ich gab lieber die Schönheit
eines deutschen Verses auf, als einen einzigen
Gedanken von Victor Hugo und habe mich oft lange
gequält mit einem einzigen Worte um keines zu
verlieren. Aber es ist Schatten und bleibt Schatten
wie der abgemalte Himmel! – Darf ich Sie nun
noch bitten mir das Manuscript sobald als möglich
zurückzusenden? Ich will es also nach Ihrem
Rathe mit nach Paris nehmen. Vielleicht kann
ich die Gedichte einzeln in deutschen Almanachs
erscheinen lassen.
Von Ihrem Plane künftigen Winter in Paris
zuzubringen bin ich entzückt. Geben Sie die Idee nicht

Seite „1v“

auf. Mein Wille ist es dort zu bleiben. Zwar bin
ich nicht so unabhängig wie es scheint und kann oft
kaum einen Monat vorausbestimmen, da mich meine
Familie immer an tausend Fäden zu ziehen und zu lenken
weiß, indeß ich baue dies Mal auf ein gut Glück,
auf einen frischen Athemzug aus der geistigen
Quelle, nach dem ich schmachte.
Frau von Schlegel besuchte ich vor einigen Tagen
in Frankfurt und brachte ihre große Freude mit Ihrem
ersten Brief an mich.
Aber wo ist der Fremde und
Ihr Brief an sie geblieben?
Nachdem mir die sinnigen
Augen der Dorothea und der beredte Mund alles
erdenkliche Liebe für Sie gesagt, wandte sie sich
zu einer anwesenden Dame „ich habe Frau von
Chezy sehr lieb“, sagte sie, „und sie ist unstreitig
die genialste aller unser deutschen Dichterinnen,
ganz etwas andres wie die Bettina, mit der
sie Pükler vergleicht.“ Sie wissen, daß ich von
dieser Genialität so überzeugt bin, daß ich lebhaft
wünschen muß Dichtung und Musik, Helmina
und Schubert zu hören. Ist dies Schubert in Wien,
der die unaussprechlichen Gedanken so tief in seiner
Musik ausspricht? Ich habe ein paar Lieder von ihm
gehört, die mir das Herz so krampfhaft zusammengezogen
hatten, daß ich mich wie unglücklich fühlte, während ich
in heiterer Gesellschaft war.

Seite „2r“

Ihr Drama?
Werde ich es in Paris zu sehen bekommen
wie alle die intressanten Menschen, denen Sie mich
empfehlen? – Ihre Güte bereitet mir da ein wahres Fest!
In Paris eröffnet sich mir wohl wieder das geistige
Paradies, doch kann ich nur mit Zittern an diese
Hoffnung denken. Ich bin so gewöhnt an Resignation!
Ihr alter Graf hat Recht, sehr recht! aber nicht die
Unglückliche, die sich verzehrt! Warum der Welt oder
einem Unwürdigen das Haupt beugen? Und war er
nicht unwürdig, so war er doch karakterschwach, ein Fehler
der vorzüglich den Mann nicht liebenswürdig macht.
So lange, denke ich, als wir Frauen uns nicht selbst
genug achten, um uns mit aller nur möglichen
Seelenstärke über eine unwürdige Behandlung zu erheben,
so lange werden uns wahrscheinlich auch die Männer
nicht mehr achten als Sclavinnen, gegen die sie jeden
Vertrag brechen können, oder Spielwerk! – Die Liebe
ist das Heiligste und Ewige, die Leidenschaft nicht.
Ich sehe nicht ein, warum eine Frau, wenn sie die
Leidenschaft tauschte, nicht noch in der Liebe, die sie
ihrer Familie, ihren Pflichten und Gott vor allem
giebt, Ersatz finden sollte! Die Liebe muß man fest
im Herzen halten, ohne die ist gar nicht zu leben und wenn
man sie einer Blume geben sollte, aber die Idole kann
man wie den langen Traum des Lebens einer höhern
Idee opfern. Gewiß ist für die Frauen eben so wenig
wie für die Männer eine unglückliche Liebe der Zweck
des Lebens, mit der alles erfüllt ist was die Vorsehung
von unsrer Seele und unsrem innern Leben fordert.

Seite „2v“

Vergeben Sie mir die langen Tiraden. Aber die
falschen Begriffe in der Welt machen mich redseelig
oder traurig – und an solchen sterben die meisten
Menschen, denn ein Herz stirbt nicht aus Liebe, aber
an dem Druck, den ihn die Welt auferlegt.
Ich erwarte mit Sehnsucht Ihre Briefe durch Hr v.
Friedrich
und alles was von Ihnen kommt.
Die nächsten Zeilen senden Sie mir wohl mit
dem Manuscript,
das Ihnen nicht zu viel Zeit
nehmen soll. Behalten Sie immer lieb und werfen
Sie unsern Hoffnungs-Anker vor Paris! aus Ihre Sidonie.