DE | EN

Brief von Sidonie von Seefried an Helmina von Chézy

Homburg vor der Höhe, 10. März 1837
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 233 Seefried Sidonie von, 10.03.1837 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Sidonie Baronesse von Seefried
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
10. März 1837
Absendeort
Bad Homburg vor der Höhe
Empfangsort
Bad Homburg vor der Höhe
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 134 mm; Höhe: 214 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Sidonie von Seefried. Homburg
Homburg vor der Höhe
beÿ Frankfurt, 10 März 37.

Meine liebe beste Frau von Chezy! Nach so langer
Zeit endlich einen so freundlichen Brief! Ich glaubte Sie
in Paris, in Strassburg und nun sind Sie mir so nahe
und es könnten mich 2 Tage schon zu Ihnen bringen, aber leider
sind es die tausend Zufälligkeiten des Lebens, die den freÿen
Willen, den sogenannten, hemmen. Ich war sehr krank an
der Grippe und bin jetzt noch so schwach und so brustleidend,
daß ich gar keine Reise unternehmen könnte; ferner haben
sich, seit ich Ihnen nach Strassburg Nachricht gab, meine
Projecte etwas geändert, erweitert, indem ich einen Brief
von Madame Hugo aus Paris erhielt (der Schwägerinn
des Victor Hugo) die mich freundschaftlich einladet zu
ihr zu kommen und der Eröffnung des Museums in
Versailles
beÿzuwohnen und ein eigner Brief von Victor
Hugo
beÿgelegt, der diese Einladung wiederholt. Ich war
seit meinem Aufenthalt in Paris in ununterbrochenen,
freundschaftlichen Briefwechsel mit Mad. Hugo (geborene
Gräfinn Montferrier) ich kann also dies Anerbieten dann
auch noch einige Monate beÿ ihr zuzubringen, nicht
ausschlagen und hoffe so viel als möglich meinen
Aufenthalt für meine geistige Bildung zu benutzen.
Erst Mitte des Sommers werde ich von dort nach Deutschland
zurückkehren, wahrscheinlich nach Baden und bitte Sie mir
eine bestimmte Adresse zu geben, unter der ich Ihnen schreiben

Seite „1v“

kann, damit ich in jedem Falle von Ihnen höre und
wir uns ein Mal, wenn auch nur auf kurze Zeit
vereinigen können. Den 15 April hoffe ich nach
Paris zu gehen. Hätten Sie mir Briefe, Aufträge
zu geben, vielleicht in Betreff Ihrer Pension, ich
will alles besorgen, keine Mühe, keinen Gang ersparen
Sie mir, wo ich Ihnen nützen kann. Senden Sie
mir alles was Sie mir nach Paris mitgeben
wollen. Auch um einen Brief für die Dudevant

bitte ich Sie, da Sie sie mir wirklich durch ihren
André,
Leon Leoni
sehr lieb wurde und Ihre Protection
mir gewiß eine freundliche Aufnahme verschafft.
Nach München wäre es mir nicht möglich gewesen
jetzt zu gehen. Ich habe dort diesen Winter meine
liebste Freundinn, meine Herzens- und Seelen-Verwandte
an der Cholera verloren. Meine Cousine, Frl von Wiesenthau
die Schwester der Wiesenthau, die jetzt Hofdame beÿ der
Königinn von Griechenland ist. Dieser Schmerz wird mein
ganzes Leben den Grund aller meiner Gedanken in Trauer
hüllen – ach! ich habe seit zweÿ Jahren den tiefsten Schmerz
solcher Verluste ertragen müßen!
Sie schreiben wieder, theure Frau von Chezy! Wie sehr
freue ich mich auf den Augenblick wo ich wieder Ihre
ganze Seele, Ihren reichen Geist in einem solchen Werke
lebendig vor mir sehe, – aber Sie sind grausam, geben Sie
mir doch eine Andeutung, worüberwas, es beschäftigt mich

Seite „2r“

sehr, ich sinne und rathe! – Ich habe vergangenen
Winter die lÿrischen Gesänge aus den Chants de
crepusculo
übersetzt; wie man mir sagt, sind sie
gut gelungen. Wenn Sie mir einen Verleger verschaffen
können für dies kleine Buch (vielleicht nur im
Taschenformat) so will ich sie, Victor Hugo zu Ehren
herausgeben. Allein wer liest jetzt Gedichte und
Uibersetzungen? – Doch ist es schade, denn gerade diese
Gesänge (die nicht politischen) haben grose Schönheiten.–
Wenn Sie noch in Carlsruhe Gelegenheit haben den
neuen bayrischen Gesandten (Hr. v. Oberkamp) kennen
zu lernen, so versäumen Sie es nicht. Er ist ein
Freund der Frau von Schlegel und soll ein vortrefflicher
Mann seÿn; vielleicht möchte er Ihnen in München
nüt[z]lich werden.
I[ch] hoffe noch einen Brief von Ihnen zu erhal[ten]
liebe, theure Frau von Chezy. Sorgen Sie für [Ihre]

Gesundheit. Die Schlegel wünschte Sie möchten sich fixieren
wahrscheinlich in ihrer Nähe; ich denke aber es zieht Sie
zu Ihrem Max. Und dann das still stehen! Die Leute
wissen nicht, daß es Gedanken giebt, so traurig, daß
man daran sterben müßte, wenn man sie auch zum Still
stehen
zwingen wollte. Das Reisen ist in unsrer Zeit eine
neue Kur, wie die Wasser-Kur, die Homöopathie, aber für
die man den Himmel nicht genug danken kann, wenn man
zu den Unglücklichen gehört, auf dieen der Druck des Lebens
körperlich und geistig zerstörend wirkt. Der Ueberspannung, dem
Uiberreiz unsrer Erziehung läßt sich dann nur ein solches Mittel entgegen
setzen, daß immer neue Elasticität der Seele giebt. Ich habe dies alles
in Bezug auf mich selbst gesagt, weil ich Sie gerne in mein Gemüth
blicken lasse und Sie liebe! – Ihre Sidonie von
Seefried.

Seite „2v“

An
Freÿfrau Helmina von Chezy
geborne Freyin von Klenke.
in
freÿ.
im goldnen Kreuz.