Brief von Emma von Suckow an Helmina von Chézy
Stuttgart, 8. November 1845
Seite „1r“
1.
[Karl August Varnhagen]Frau von Suckow
an Helmina v. Chézy.
an Helmina v. Chézy.
Tausendmal Verzeihung! Mich kränkt
mein Ungeschick, aber ich kann das Blatt
unmöglich noch einmal schreiben. –
mein Ungeschick, aber ich kann das Blatt
unmöglich noch einmal schreiben. –
Stuttgard den 8 ten Nov. 1845.
überhauchten Tage – ob ahnend oder erinnernd? – da[###] mir so warme
liebliche Grüsse von Ihnen brachten, zweimal brachten.
O wie gut,
wie gut sind Sie, daß Sie überhaupt an mich denken, und beim Schönen
an mich denken! So waren Sie wie schon oft aus der Ferne, eine wohl-
thätige Fee für mich. Als ich mit Docktor Frankl einen Abend bei Gustav
Schwab zubrachte, u erfuhr, daß der Wiener Dichter mir auch von
Ihnen ein Blatt zu bringen habe, wie dankte ich es Ihnen, daß Sie
mir diese Begegnung hatten sichern wollen! Es wurde damals,
wo Napoleons Feldbecher (den F. für Cotta überbrachte) mit Cÿpernwein
gefüllt die Runde machte, recht in Treuen an Sie gedacht, von uns
Allen.
Winnenthal zurückkehrend, wohin er einen wahren Gang nach Golgatha
gemacht hatte,
seinem Don Juan d'Austria
ließ uns nun in den Wagen zu steigen. Auch Docktor Hartwig
war mir eine interessante und angenehme Erscheinung.
Gräfin J. in Heidelberg zu wissen war mir überraschend.
dieser Engel duldet so viel auf Erden! Die lezten Nachrichten von
Fräulein Müller waren aus Baden u gingen mir recht in's Herz.
Ich war und bin noch nicht Herr meiner Zeit, sonst hätt' ich
längst wieder geschrieben. Dies bitte ich den Damen mit dem
Besten und Innigsten von mir zu sagen. Wenn ich doch nach Heidel-
wie gut sind Sie, daß Sie überhaupt an mich denken, und beim Schönen
an mich denken! So waren Sie wie schon oft aus der Ferne, eine wohl-
thätige Fee für mich. Als ich mit Docktor Frankl einen Abend bei Gustav
Schwab zubrachte, u erfuhr, daß der Wiener Dichter mir auch von
Ihnen ein Blatt zu bringen habe, wie dankte ich es Ihnen, daß Sie
mir diese Begegnung hatten sichern wollen! Es wurde damals,
wo Napoleons Feldbecher (den F. für Cotta überbrachte) mit Cÿpernwein
gefüllt die Runde machte, recht in Treuen an Sie gedacht, von uns
Allen.
Freilich habe ich Freude an Frankl gehabt. Am Dienstag, von
Winnenthal zurückkehrend, wohin er einen wahren Gang nach Golgatha
gemacht hatte,
las er in meinem Salon mehrere Fragmente aus
seinem Don Juan d'Austria
, womit er die Zuhörer hinriß, u ver-
ließ uns nun in den Wagen zu steigen. Auch Docktor Hartwig
war mir eine interessante und angenehme Erscheinung.
Unsere theure
Gräfin J. in Heidelberg zu wissen war mir überraschend.
Auch
dieser Engel duldet so viel auf Erden! Die lezten Nachrichten von
Fräulein Müller waren aus Baden u gingen mir recht in's Herz.
Ich war und bin noch nicht Herr meiner Zeit, sonst hätt' ich
längst wieder geschrieben. Dies bitte ich den Damen mit dem
Besten und Innigsten von mir zu sagen. Wenn ich doch nach Heidel-
D. Hartwig hat seine Reiseroute verändert u geht über München.
Seite „1v“
Wie sehr, verehrte Frau, muß ich wegen der bei gefügten im
Drang des Augenblicks, vielfach gestört, unbeschreiblich flüchtig
hingeworfenen Notizen: um Ihre Milde u Nachsicht bitten!
So gern hätt ich ordentlich berichtet, aber die freie Stunde sollte
benüzt, die Freundin nicht länger ohne Dank u Antwort bleiben.
Daher das unanständige Brouillon. –
berg fliegen kön[nte] u Sie vereint finden und geniessen! An derDrang des Augenblicks, vielfach gestört, unbeschreiblich flüchtig
hingeworfenen Notizen: um Ihre Milde u Nachsicht bitten!
So gern hätt ich ordentlich berichtet, aber die freie Stunde sollte
benüzt, die Freundin nicht länger ohne Dank u Antwort bleiben.
Daher das unanständige Brouillon. –
Sehnsucht fehlt e[s] [ni]cht. Schon lang wünsch ich mir ein wenig in
Heidelberg zu verweilen. Dann würde mir auch die Gunst
die Lady Crespigny persönlich kennen zu lernen, die schon aus
der Ferne viel Anziehungskraft für mich hat. Bitte, sprechen
Sie ihr meinen innigen Dank aus für die Theilnahme, welche
sie mir schenken will, und fragen Sie sie, ob es mir nicht einmal
vergönnt sein dürfte, sie hier zu begrüssen. Ich erlaube mir
Ihnen für sie ein Paar neuere Verse von mir, die im
Morgenblatte kommen,
beizuschliessen u wundere mich über
meinen Muth, dies Blatt in Ihre Hand, hohe Meisterin, zu
legen. Mein Geistesleben war wohl fast immer nur ein
instinktartiges, träumendes, ein Pflanzenleben, u ich weiß nichts
davon zu sagen. Doch will ich, Ihrem Wunsche gehorchend, weiter
unten versuchen, einige Notizen bunt durcheinander aufzuzeichnen,
denen Sie entnehmen werden, was Ihnen tauglich scheint.
Ich wußte nicht, daß Adeline in Augsburg lebt u kann also nichts
von ihr berichten, will mich aber bei der ersten Gelegenheit er-
kundigen.
ihm schreiben oder ihn sprechen, bitte, einen herzlichen Gruß.
Ich habe –, abgesehen von seinem Geist u Talent, das ich schätze, seiner
Herzensgüte, die ich kennen lernte, gleich von Anfang viel Sÿmpathie
für ihn gehabt. Er hat zu all dem – um mit Kerner zu sprechen –
einen mir sehr angenehmen Nervengeist. –
Und nun Lebwohl, u Gottesvon ihr berichten, will mich aber bei der ersten Gelegenheit er-
kundigen.
Wie geht es Herrn (Wilhelm) von Chezÿ? Wenn Sie
ihm schreiben oder ihn sprechen, bitte, einen herzlichen Gruß.
Ich habe –, abgesehen von seinem Geist u Talent, das ich schätze, seiner
Herzensgüte, die ich kennen lernte, gleich von Anfang viel Sÿmpathie
für ihn gehabt. Er hat zu all dem – um mit Kerner zu sprechen –
einen mir sehr angenehmen Nervengeist. –
Segen über Sie, theure Helmina! (Nicht wahr, ich darf Sie so heissen?)
Haben Sie ein wenig lieb Ihre dankbare Emma
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Die ersten Lebensjahre, im grünen Altmühlthal verlebt, waren
ganz am Herzen der Natur. Wie durch die Aeolsharfe bebte
sie durch die Saiten der Kinderseele, welche in einem tiefen
unerklärbaren Schmerz unbewußt die ersten Ahnungen der
Poesie empfing. Ich mußte mich später oft selbst wundern mit
welcher Wehmuth mich die Melodie des Abends erfüllte,
wie mich die Wellen bannten u mehr noch die felsgekrönten
Berge oder die Waldstille oder die grauen Burgtrümmer, welche
in’s Thal blickten; wie ich über ein gutes Wort, einen freundlichen
Blick hätte vergehen können vor Rührung, so gern gestorben
wäre für meine Lieben u doch wieder ein sehr gewaltthätiges
wildes Ding war, oft zu allerlei Koboldstreichen aufgelegt.
Tanzen, Zeichnen, Musik, das wurde damals schon wie Spiele
getrieben. Der Katechismus war aber mein Elend u zog
mir täglich Strafen zu. Schreiben u Lesen war meine Passion.
Buchstabiren konnte ich nie, aber lesen – Gott weiß wie es
zu ging! – fast zugleich mit dem Laufen. Wenigstens versichert
man mir, daß ich noch kaum gehen konnte u schon Bücher schleppte.
Daß ich die Maria Stuart
hatte u von da an dutzendmal für mich gespielt, ist gewiß.
Dabei näherte ich mich der Volkspoesie, denn wenn ich entwischen
konnte lief ich in die Thorwartstube, wo die Mutter vom Portier,
eine alte Bäuerin, mir alte Spuckgeschichten erzählte, die im
Bezirk umher bestanden u mir schlaflose Nächte kosteten.
Ich hatte immer ein maßloses Phantasieleben. Wo ich konnte
stahl ich Bücher u im Sommer versteckte ich sie den Tag über
unter mein Kopfkissen und fing schon um drei Uhr früh an
zu lesen. Ich mochte sechs Jahr zählen, als ich einen besonders
lebhaften Verkehr mit den Wolken anfing u mir da
ganz am Herzen der Natur. Wie durch die Aeolsharfe bebte
sie durch die Saiten der Kinderseele, welche in einem tiefen
unerklärbaren Schmerz unbewußt die ersten Ahnungen der
Poesie empfing. Ich mußte mich später oft selbst wundern mit
welcher Wehmuth mich die Melodie des Abends erfüllte,
wie mich die Wellen bannten u mehr noch die felsgekrönten
Berge oder die Waldstille oder die grauen Burgtrümmer, welche
in’s Thal blickten; wie ich über ein gutes Wort, einen freundlichen
Blick hätte vergehen können vor Rührung, so gern gestorben
wäre für meine Lieben u doch wieder ein sehr gewaltthätiges
wildes Ding war, oft zu allerlei Koboldstreichen aufgelegt.
Tanzen, Zeichnen, Musik, das wurde damals schon wie Spiele
getrieben. Der Katechismus war aber mein Elend u zog
mir täglich Strafen zu. Schreiben u Lesen war meine Passion.
Buchstabiren konnte ich nie, aber lesen – Gott weiß wie es
zu ging! – fast zugleich mit dem Laufen. Wenigstens versichert
man mir, daß ich noch kaum gehen konnte u schon Bücher schleppte.
Daß ich die Maria Stuart
mit fünf Jahren schon gelesen
hatte u von da an dutzendmal für mich gespielt, ist gewiß.
Dabei näherte ich mich der Volkspoesie, denn wenn ich entwischen
konnte lief ich in die Thorwartstube, wo die Mutter vom Portier,
eine alte Bäuerin, mir alte Spuckgeschichten erzählte, die im
Bezirk umher bestanden u mir schlaflose Nächte kosteten.
Ich hatte immer ein maßloses Phantasieleben. Wo ich konnte
stahl ich Bücher u im Sommer versteckte ich sie den Tag über
unter mein Kopfkissen und fing schon um drei Uhr früh an
zu lesen. Ich mochte sechs Jahr zählen, als ich einen besonders
lebhaften Verkehr mit den Wolken anfing u mir da
Seite „2v“
oben am Himmel stundenlang die abentheuerlischstenchsten
u herrlichsten Gebilde schuf. Auf einmal kamen aber
gewisse Stunden wo ich so exaltirt war, daß ich überall
Gestalten und Ungeheuer sah, in den Vorhängfalten, an
der Decke des Zimmers, starrende Augen, Hände, die sich
nach mir ausstreckten. Der Paroxismus kam immer morgens,
die überige Zeit war ich ruhig u verständig. Es mochte
aber doch nicht unbedenklich sein, denn von allen Gegenden
kamen Ärzte an und die Meinen sah ich oft weinen.
Dieser Zustand ging aber vorüber. Eine Reise nach Frank-
furth wo wir einige Monate weilten, erweiterte mir in
[m]einem 9 ten Jahre den Horizont. Hier, am Römer, wirkten
auch zuerst geschichtliche Eindrücke auf mich. An der schlimmen
Mauer wohnten Bekannte von uns. Zwei Knaben aus
dieser Familie, Jackob u Adam, ein Paar Jahre älter als
ich, wurden mir Spielgefährten. Sie schlugen geheimnißvoll
beim Taubenschlag eine kleine allerliebste Bühne auf
u hier wollten wir, mit einigen andern Kindern der
Nachbarschaft – Schillers Räuber
Amalia, jene beiden Brüder den Franz u Karl Moor
machen. Als ich aber einmal gegen den Jackob freundlicher
war als gegen den Adam, der die hübschen Coulissen gemahlt
hatte, wurde dieser so wüthend, daß er sie alle zerriß u mit den Füssen
zertrat u so endete für diesmal unsere dramatische Laufbahn.
Übrigens habe ich schon im 5 ten Jahr in einem Kinderballet die
Psÿche getanzt, u ich weiß nichts, ausser dem Träumen in der
Natur, was mich mehr beglückt hätte, als diese Kunstübungen,
wie auch damals u noch lange nachher ein Puppentheater mein
liebstes Spiel war. Die Nürnberger Christkindlesmärkte, die
ich ein Paar mal besuchen durfte, gehören auch mit in meine
u herrlichsten Gebilde schuf. Auf einmal kamen aber
gewisse Stunden wo ich so exaltirt war, daß ich überall
Gestalten und Ungeheuer sah, in den Vorhängfalten, an
der Decke des Zimmers, starrende Augen, Hände, die sich
nach mir ausstreckten. Der Paroxismus kam immer morgens,
die überige Zeit war ich ruhig u verständig. Es mochte
aber doch nicht unbedenklich sein, denn von allen Gegenden
kamen Ärzte an und die Meinen sah ich oft weinen.
Dieser Zustand ging aber vorüber. Eine Reise nach Frank-
furth wo wir einige Monate weilten, erweiterte mir in
[m]einem 9 ten Jahre den Horizont. Hier, am Römer, wirkten
auch zuerst geschichtliche Eindrücke auf mich. An der schlimmen
Mauer wohnten Bekannte von uns. Zwei Knaben aus
dieser Familie, Jackob u Adam, ein Paar Jahre älter als
ich, wurden mir Spielgefährten. Sie schlugen geheimnißvoll
beim Taubenschlag eine kleine allerliebste Bühne auf
u hier wollten wir, mit einigen andern Kindern der
Nachbarschaft – Schillers Räuber
! aufführen, ich sollte die
Amalia, jene beiden Brüder den Franz u Karl Moor
machen. Als ich aber einmal gegen den Jackob freundlicher
war als gegen den Adam, der die hübschen Coulissen gemahlt
hatte, wurde dieser so wüthend, daß er sie alle zerriß u mit den Füssen
zertrat u so endete für diesmal unsere dramatische Laufbahn.
Übrigens habe ich schon im 5 ten Jahr in einem Kinderballet die
Psÿche getanzt, u ich weiß nichts, ausser dem Träumen in der
Natur, was mich mehr beglückt hätte, als diese Kunstübungen,
wie auch damals u noch lange nachher ein Puppentheater mein
liebstes Spiel war. Die Nürnberger Christkindlesmärkte, die
ich ein Paar mal besuchen durfte, gehören auch mit in meine
Seite „3r“
2.
beginnt ein Gouvernantenleben; jezt sollte ich endlich in
München erzogen werden. Nun kamen die Wissenschaften,
in denen ich, besonders in der Geschichte u Mÿthologie, schnelle Fort-
schritte machte. Englisch war mir so schnell eigen, als hätt’ ich es
immer gewußt; das Französische wollte damals gar nicht recht
gehen; das Italienische war mir wieder ganz heimathlich. [×××]
[×××] Das Einmaleins hab ich nie gelernt u während unser
Hofmeister, ein naher Freund Rückerts u selbst Dichter, mir
Rechenexempel aufgab, las ich Tieks Phantasus
, den ich unter den
Sophakissen versteckte. Ich hätte schon darum nie etwas bei
diesem Hofmeister lernen können, weil zu viel poetisches Futter
in seiner Stube umhergestreut lag. Gewaltig zog mich die Astronomie
an u ich werde die Winternacht nie vergessen, wo uns ein
berühmter Sterngelehrter zum erstenmal den Jupiter in einem
Frauenhofer Tubus
zeigte. Meine grosse Lust war mir Mährchen er-
zählen zu lassen u selbst zu endlosen Fäden auszuspinnen.
Glücklich machte es mich unter der Säulenhalle der Glÿptothek
zu spielen u zu schwärmen; die Bildergallerie war mir eine
andere Heimath, mein Herz schlug der Raphaelischen Madonna
entgegen, allen Naturzauber um meiner Wiege fand ich aber
wieder wenn ich in der Dämmerung wie verzückt nach der
rosig glühenden Alpenkette starrte, auf welche ein Theil unserer
Fenster sahen. Meine liebste Lecktüre in jener Zeit war Ossian
,
den ich ganz auswendig wußte. Eben so sagte ich mir –
singen konnte ich nie – einige Lieder von Helmina v. Chézÿ
oft vor u begleitete sie mit Accorden auf dem Piano oder der Harfe.
Diese Lÿrik wirkte wie die Naturlaute, wie die Stimmen
meines Thals auf mich, das ich so früh verlassen mußte.
Seite „3v“
Schon im zwölften Jahr schrieb ich mancherlei Sänge. Ein
kleines Gedicht „Die Nonne“, was ich im 13ten Jahre schrieb,
wurde von einem Compositeur hübsch in Musik gesezt.
Ich darf nicht vergessen zu bemerken, daß alle Begeisterung
für das Gute u Schöne, in mir von klein an durch das
edle Bild meines Vaters, des schönsten und edelsten Mannes
seiner Zeit, der noch heute oft „der lezte Ritter“ genannt
wird, beflügelt wurde u einen würdigen Mittelpunkt fand.
Einige kleine Wanderungen in das baÿrische Hochland machten
mich seelig. Eine Reise in die Tanusbäder bot angenehme
Abwechslung. Kaum confirmirt wurde ich, ein ganzes Kind
noch, vermählt
damit, daß ich mit wahrer Liebhaberei Kochen u Stricken lernte
u so erpicht darauf war, daß ich kaum zum spatzierengehen zu
bringen war. In Ludwigsburg kamen darauf ein Paar Jahre
wirklicher äusserer Jugend. Es waren dort Elemente von
Hofleben, ein zahlreicher, schimmernder Generalstab u.s.w., kurz
ein glänzendes geselliges Leben u einige Zufälligkeiten trafen
zusammen mich zum enfant gaté dieser kleinen Welt zu machen.
Ein kleiner Kreis edler Freundinnen, und geistig gebildeter
Männer wußte aber neben den brausenden Freuden,
auch die stilleren, nachhaltigen zu wahren. Wir lasen in an
gemüthlichen Abend Jean Pauls Romane u mit vertheilten Rollen
unsere besten Dramatiker. Auch nach Marbach u zu Schubarts
Gefängniß wurde gepilgert.
dem sich wirklich bedeutende Talente vereinten, trug mir so
viel Lorbeern ein, daß mir leicht ein kleiner Schwindel hätte
ergreifen können u ich selbst nicht in Abrede stellen konnte,
daß das Drama u selbst die Komödie, mein eigentlichster
Beruf gewesen wäre. Aus all dem wurden wir plötzlich
kleines Gedicht „Die Nonne“, was ich im 13ten Jahre schrieb,
wurde von einem Compositeur hübsch in Musik gesezt.
Ich darf nicht vergessen zu bemerken, daß alle Begeisterung
für das Gute u Schöne, in mir von klein an durch das
edle Bild meines Vaters, des schönsten und edelsten Mannes
seiner Zeit, der noch heute oft „der lezte Ritter“ genannt
wird, beflügelt wurde u einen würdigen Mittelpunkt fand.
Einige kleine Wanderungen in das baÿrische Hochland machten
mich seelig. Eine Reise in die Tanusbäder bot angenehme
Abwechslung. Kaum confirmirt wurde ich, ein ganzes Kind
noch, vermählt
. Ich kam nach Ulm u hier verging Jahr u Tag
damit, daß ich mit wahrer Liebhaberei Kochen u Stricken lernte
u so erpicht darauf war, daß ich kaum zum spatzierengehen zu
bringen war. In Ludwigsburg kamen darauf ein Paar Jahre
wirklicher äusserer Jugend. Es waren dort Elemente von
Hofleben, ein zahlreicher, schimmernder Generalstab u.s.w., kurz
ein glänzendes geselliges Leben u einige Zufälligkeiten trafen
zusammen mich zum enfant gaté dieser kleinen Welt zu machen.
Ein kleiner Kreis edler Freundinnen, und geistig gebildeter
Männer wußte aber neben den brausenden Freuden,
auch die stilleren, nachhaltigen zu wahren. Wir lasen in an
gemüthlichen Abend Jean Pauls Romane u mit vertheilten Rollen
unsere besten Dramatiker. Auch nach Marbach u zu Schubarts
Gefängniß wurde gepilgert.
Ein allerliebstes Theater, an
dem sich wirklich bedeutende Talente vereinten, trug mir so
viel Lorbeern ein, daß mir leicht ein kleiner Schwindel hätte
ergreifen können u ich selbst nicht in Abrede stellen konnte,
daß das Drama u selbst die Komödie, mein eigentlichster
Beruf gewesen wäre. Aus all dem wurden wir plötzlich
Seite „4r“
nach Ulm hinausgerissen. Dort wurde mein Schönheitssinn
gemartert. Der Münster war das Einzige woran ich mich
aufrichtete. Meine häuslichen Verhältnisse gönnten mir
nicht nur alle freie Zeit zu geistiger Ausbildung, sondern machten
sie mir sogar zur Pflicht, da ich viel allein war u im fremden
Land ohnehin von Familienverbindung abgeschnitten. Ich las
nun alle unsere u auch viele fremde Klassiker, einige
philosophische Werke, doch sehr sparsam. Die französische Litteratur,
Memoiren wie Romane, kamen auch an die Reihe. Sand u
Bÿron entzückten mich; Lenau wurde ein Liebling. Ich
fing nun an – ohne irgend Rath oder Hülfe – kleine Arbeiten
an Journale zu schicken, die mich freundlich aufnahmen.
Das Morgenblatt brachte meine Erstlinge.
wir nach Stuttgard. Ein Zufall führte mich nach Weinsberg.
Kerner war der erste Dichter, den ich persönlich kennen
lernte. Von da an fing ein neuer Abschnitt in meinem
Leben an. Ich hatte nun eine geistige Heimath u nun ent-
wickelte sich mir hier ein wunderbares Leben von ganz
eigenthümlichen Zauber u tiefer Herzenspoesie.
ein herrlicher Verein der edelsten Geister, die dort eine
Freundschaftsgemeinde bildeten. Ich nenne nur Lenau und
den Grafen Alexander von Württemberg, Gustav Schwab
u. s. w.
keiten aufzählen, die vorübergingen, nicht ohne tiefe
Spuren zurückzulassen. Es giebt wohl keine berühmte Per-
sönlichkeit der Gegenwart, die wir im Laufe mehrerer Jahre
nicht hier oder zu Weinsberg gegrüßt haben. – Von Ulm
aus hatten mich kleine Reisen von Neuem u tiefer mit der
neuen u alten Kunst in München befreundet, eine Saison in
gemartert. Der Münster war das Einzige woran ich mich
aufrichtete. Meine häuslichen Verhältnisse gönnten mir
nicht nur alle freie Zeit zu geistiger Ausbildung, sondern machten
sie mir sogar zur Pflicht, da ich viel allein war u im fremden
Land ohnehin von Familienverbindung abgeschnitten. Ich las
nun alle unsere u auch viele fremde Klassiker, einige
philosophische Werke, doch sehr sparsam. Die französische Litteratur,
Memoiren wie Romane, kamen auch an die Reihe. Sand u
Bÿron entzückten mich; Lenau wurde ein Liebling. Ich
fing nun an – ohne irgend Rath oder Hülfe – kleine Arbeiten
an Journale zu schicken, die mich freundlich aufnahmen.
Das Morgenblatt brachte meine Erstlinge.
Nun kamen
wir nach Stuttgard. Ein Zufall führte mich nach Weinsberg.
Kerner war der erste Dichter, den ich persönlich kennen
lernte. Von da an fing ein neuer Abschnitt in meinem
Leben an. Ich hatte nun eine geistige Heimath u nun ent-
wickelte sich mir hier ein wunderbares Leben von ganz
eigenthümlichen Zauber u tiefer Herzenspoesie.
Es war dort
ein herrlicher Verein der edelsten Geister, die dort eine
Freundschaftsgemeinde bildeten. Ich nenne nur Lenau und
den Grafen Alexander von Württemberg, Gustav Schwab
u. s. w.
Wie könnte ich alle die interessanten Persönlich-
keiten aufzählen, die vorübergingen, nicht ohne tiefe
Spuren zurückzulassen. Es giebt wohl keine berühmte Per-
sönlichkeit der Gegenwart, die wir im Laufe mehrerer Jahre
nicht hier oder zu Weinsberg gegrüßt haben. – Von Ulm
aus hatten mich kleine Reisen von Neuem u tiefer mit der
neuen u alten Kunst in München befreundet, eine Saison in
Seite „4v“
Kreuth mich den geliebten Alpen wieder zugeführt
u mir bunte Menschenkreise geöffnet. Im heimathlichen
Altmühlthal lernte ich meinen Schutzgeist kennen, eine
Schwester, die ich als Kind verlassen hatte u nun als
ein geniusartiges Wesen, als die Verkörperung der
Poesie auf Erden wieder fand u die mehrere Jahre lang
mein Leben verschönte u den tiefsten Zauber darauf übte
bis auch sie kürzlich als ein Ideal heimging in den Himmel, dem
sie immer gehört hat: Agnes, Alexander von W., u Lenau!
Alle drei verloren wir in Einem halben Jahre.
ehrwürdiger erleuchteter Freund in Ulm lehrte mich zuerst wieder
den Kinderweg zum gläubigen Christenthum finden. Später kam
ich von hier mit der rührenden Brudergemeinde Kornthal in
Beziehungen. Diese so wie Kerners tiefe Mÿstik waren
mir alles innig verwandte Elemente; nur wurde jezt mehr
Bewußtsein, was früher Instinkt gewesen. – Ein Aufenthalt
bei Salzburg u die Villeggiaturen in Weinsberg ver-
anlaßten die ersten Reisescenen
durch die ganze Schweitz, ein Aufenthalt am Genfersee, eine
Pilgerung nach Chammony, die ich, in meiner sehnsüchtigen
Wanderlust u Naturliebe, ziemlich muthvoll allein unter-
nahm. Hier fand ich das Ideal u überhaupt in der
hohen Gebirgswelt die größte Befriedigung u alles
Glück meines Lebens. – München befreundete mich immer
mehr mit der Kunst. Ich lernte dort Thorvaldsen, Kaulbach
Schwanthaler u. s. w. persönlich kennen, wie Bandel u Andere
hier. Besonders herrlich war ein Sommer in München, wo
auch Kerner uns folgte u wir im Verein mit ihm, mit C.
Brentano
s. w. unvergessliche Tage verlebten, – Eine neue Welt öffnete sich
mir darauf in dem lebendigen raschbeschwingten Baden, wo ich Itzstein,
Herwegh u. s. w. viel sah, das Menschengewoge in Baden-B. u die
Schwarzwaldtannen.
u mir bunte Menschenkreise geöffnet. Im heimathlichen
Altmühlthal lernte ich meinen Schutzgeist kennen, eine
Schwester, die ich als Kind verlassen hatte u nun als
ein geniusartiges Wesen, als die Verkörperung der
Poesie auf Erden wieder fand u die mehrere Jahre lang
mein Leben verschönte u den tiefsten Zauber darauf übte
bis auch sie kürzlich als ein Ideal heimging in den Himmel, dem
sie immer gehört hat: Agnes, Alexander von W., u Lenau!
Alle drei verloren wir in Einem halben Jahre.
Ein
ehrwürdiger erleuchteter Freund in Ulm lehrte mich zuerst wieder
den Kinderweg zum gläubigen Christenthum finden. Später kam
ich von hier mit der rührenden Brudergemeinde Kornthal in
Beziehungen. Diese so wie Kerners tiefe Mÿstik waren
mir alles innig verwandte Elemente; nur wurde jezt mehr
Bewußtsein, was früher Instinkt gewesen. – Ein Aufenthalt
bei Salzburg u die Villeggiaturen in Weinsberg ver-
anlaßten die ersten Reisescenen
. Ihnen folgte eine Reise
durch die ganze Schweitz, ein Aufenthalt am Genfersee, eine
Pilgerung nach Chammony, die ich, in meiner sehnsüchtigen
Wanderlust u Naturliebe, ziemlich muthvoll allein unter-
nahm. Hier fand ich das Ideal u überhaupt in der
hohen Gebirgswelt die größte Befriedigung u alles
Glück meines Lebens. – München befreundete mich immer
mehr mit der Kunst. Ich lernte dort Thorvaldsen, Kaulbach
Schwanthaler u. s. w. persönlich kennen, wie Bandel u Andere
hier. Besonders herrlich war ein Sommer in München, wo
auch Kerner uns folgte u wir im Verein mit ihm, mit C.
Brentano
, Schubert, Helmina von Chézÿ, Graf Pocci, Görres u.
s. w. unvergessliche Tage verlebten, – Eine neue Welt öffnete sich
mir darauf in dem lebendigen raschbeschwingten Baden, wo ich Itzstein,
Herwegh u. s. w. viel sah, das Menschengewoge in Baden-B. u die
Schwarzwaldtannen.