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Brief von Elise von Hohenhausen an Helmina von Chézy

Minden, 5. Juni 1850
Biblioteka Jagiellońska Kraków | Elise von Hohenhausen an Helmina von chézy_SV 88_1850-06-05 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Elise von Hohenhausen
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
5. Juni 1850
Absendeort
Minden
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 140 mm; Höhe: 220 mm
Foliierung
Foliierung durch die >Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; Auszeichnung nach TEI P5 und Kommentierung durch Katarzyna Szarszewska; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Elise von Hohenhausen
an Fr. von Chézy.
Preußisch Minden d 5ten Juni
1850

Meine beste Frau von Chezÿ, nach Ihrem letzten
Briefe mußte ich glauben, Sie hätten bald darauf
dies Jammerthal verlassen und sich wieder mit Ihrem
Lieben jenseits vereinigt, aber ich hörte nichts weiter
von Ihnen und die Zeitungen hätten mir sicherlich das
Absterben einer der ältesten deutschen Dichterin ge-
meldet – Ich hoffe also Sie leben, sind wieder gesund und
erfreuen sich der herrlichen Natur in Baden Baden, die
und Gott bleiben uns treu wenn alles uns verläßt, und
in ihnen können wir immer noch glücklich sein wenn wir
es ernstlich wollen.
Ich war den Monat März einmal wieder in Berlin
und wollte probieren ob es sich dort leben lasse, aber ich
kam schon nach einer Woche krank hieher zurück. So freund-
lich und liebreich auch meine Freunde gegen mich waren
so ertrug ich doch zweierlei nicht: das Clima und
die Entfernungen. Die häusliche Einsamkeit und die Entfer-
nung von meiner Tochter drückten mich auch schwer, aber wenn
ich recht wohl war, hätte sich das ertragen lassen. Eine
schöne junge Frau begleitete mich, die Wittwe des bei
Elberfeld
gefallenen Hauptmanns von Uttenhoven

Wir waren zu sehr verschieden an Alter
und Neigun-
gen, als das wir hätten zueinander passen können
Ich

Seite „1v“

Ich fand es sehr theuer in Berlin für Reisende
für Einheimische wohlfeiler wie an andern Orten.
Ein schönes Quartier für eine einzelne Dame
zwei große und ein kleines Zimmer zu 80 rth jährlich
freilich etwas vom Mittelpunkt entfernt. – Das tägliche
Leben kostet kaum 6 Groschen; freilich ist es sehr schlicht
Wir mußten für chambre garnie
monatlich 20rth
geben und für 10rth wurde uns noch Rechnung ge-
macht. Die Droschken, deren man leicht alle Tage
sechs brauchen kann, machen auch den Aufenthalt sehr
theuer. Gehen kann man übrigens in Berlin wo
immer und wie man will – Die Straßen sind so sicher
und so hell wie sie sein können, überall begeg-
net man Constablern,
die Schutzmänner von Jung
und Alt. Keine Spur einer Residenz ist mehr zu
sehen, keine eleganten Damen, keine Uniformen, keine
Equipagen, nichts sieht man in den Straßen, wie Fuhr-
manns Karren, Droschken, schlechtgekleidete Frauenzim-
mer und Bärte – Ein Fremder kann aus den Straßen
gar nicht wissen in welcher Art Stadt er sich befindet
Frau von Waldow läßt Sie bestens grüßen, ihre einzig
ihr übriggebliebene Tochter Louise heirathet den
Schriftsteller A. v. Sternberg. Diese Heirath gab viel
zu reden. Er ist ein schöner und intreßanter Mann
sie soll 20.000 rth besitzen – Das ist alles was ich

Seite „2r“

weiß.
Graf Blankensee war freundlich und liebreich, seine
Frau, die Prinzessin von Schönaich Carolath scheint
mir ein Ideal von Treflichkeit zu sein. fromm,
demüthig, liebenswürdig, sehr gebildet und sehr
fromm; sie gehört zu der Gemeinde der Ir-
vingisten, die das ursprüngliche Christenthum wieder
herstellen wollen.
Das Aeußere der Gräfin ist auch sehr
edel, obgleich sie schon in die funfzig. Ich kann unsern
alten Freund nur glücklich preisen, daß er eine solche
Frau gewonnen hat und halte es für unmöglich daß man
mit ihr unglücklich sein kann.
Varnhagen lebt sehr einsam in einer eleganten
Wohnung der Mauerstraße.
Er besucht allen Abend
den Salon der Frl Solmar, die in der Bank sehr
schön wohnt und eingerichtet ist;
es findet sich dort
Abends zusammen was Berlin noch an Literatur
besitzt –
Im Treubund
bin ich auch gewesen. Ein Vetter von mir
Director von Ledebur gehört zu seinen Führern; es
wird durch diese Instutition ein ächter Patriotismus
auch unter den Bürgern geweckt, weil Leute aller
Stände den Zutritt haben – Die Unthat des Sefeloge
hat gewiß auch Ihre Indignation geweckt.
Professor Hensel habe ich auch gesehen, er kann den Verlust
seiner Frau noch nicht überwinden und will deshalb
eine Reise in den Orient machen. Gräfin Hahn

Seite „2v“

Hahn war auch in Berlin, sah aber niemanden
und ging zur katholischen Religion über. Sie soll
noch untröstlich sein über Pelchrams
Tod; ich glaube
das gern
Scherenberg dichtet fort als Diogenes in der
Tonne – Das Stück: Der Genius und die Gesellschaft

ist gänzlich durchgefallen – die Verfaßerin, eine ehe-
malige Schauspielerin Elise Schmidt besticht aber
durch Talent. Es heißt von ihr, sei auch das un-
vollendete Drama Judas Ischarioth,
aber ich kann
es kaum glauben, denn der Genius wender diesen ge-
schaffen, erscheint mir kolossal wie der des Waterloo

von Scherenberg. Rötscher hat in seinen Jahresbüchern
für dramatische Kunst
es sehr gelobt. Friedrich
Hebbel
wird bei aller Genialität mit seiner Maria
Magdalena,
Herodes und Mariamne
wohl niemals
populär werden, so wenig wie Gustav Freitag
mit Waldemar
und Valentine
Geibels Gedichte
haben
die 20ste Auflage erlebt, das nenne ich Popularität
und sie haben doch keine Tendenz, es sind reine schöne
jugendliche Lebensempfindungen. Eine Enkelin des
berühmten Jakobi zu Pempelfort hat Abdel Kader
in 100 Sonnetten besungen; können Sie ihr keinen
Verleger verschaffen, ich habe mich vergebens darum
bemüht. Das Literatur Magazin der Literatur
des Auslandes
nahm Proben auf, das Gedicht
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