Brief von Therese aus dem Winckel an Helmina von Chézy
Dresden, 25. März 1853
Seite „1r“
[Karl August Varnhagen]Therese von Winckel
an Fr. v. Chézy.
an Fr. v. Chézy.
Dresden d. 25. März 1853.
Meine theuere geliebte Helmina!
Welche Ueberraschung war
es mir, nach so unendlich langer Zeit, wieder etwas von
Ihnen zu hören! Zuerst meinen herzlichen Dank dass
Sie meiner noch so freundlich gedenken, und meine innige
Theilnahme an dem schweren furchtbaren Unglück welches
Sie traf, Ihr Augenlicht zu verlieren! Wer stets mit
so viel Sinn und Licht und Liebe auf das Schöne und
Gute sah, da ist dies Unglück doppelt hart! Nur weil
ich suchte Ihnen einige Nachricht zu schaffen über die
Personen nach denen Sie fragen, verzögerte sich meine
Antwort so sehr. Wie schön ist es dass Sie doch in
einer lieben Nichte, eine treue Freundin und Gehülfin
haben, und so Ihre Biographie
können; ja wohl, wird diese bei Ihrem reichen, vielbe-
wegten Leben eben so interessant als lehrreich werden.
Doch ich eile nun erst zu meinem Bericht: ich erfuhr
dass Kraukling jetzt Inspektor des Historischen Museums
ist, da aber niemand meiner Freunde ihn kennt, so
schrieb ich an ihn Ihren Gruss und Ihren Wunsch, und
erbot mich Ihnen seine Antwort zu senden.
es mir, nach so unendlich langer Zeit, wieder etwas von
Ihnen zu hören! Zuerst meinen herzlichen Dank dass
Sie meiner noch so freundlich gedenken, und meine innige
Theilnahme an dem schweren furchtbaren Unglück welches
Sie traf, Ihr Augenlicht zu verlieren! Wer stets mit
so viel Sinn und Licht und Liebe auf das Schöne und
Gute sah, da ist dies Unglück doppelt hart! Nur weil
ich suchte Ihnen einige Nachricht zu schaffen über die
Personen nach denen Sie fragen, verzögerte sich meine
Antwort so sehr. Wie schön ist es dass Sie doch in
einer lieben Nichte, eine treue Freundin und Gehülfin
haben, und so Ihre Biographie
fortsetzen und vollenden
können; ja wohl, wird diese bei Ihrem reichen, vielbe-
wegten Leben eben so interessant als lehrreich werden.
Doch ich eile nun erst zu meinem Bericht: ich erfuhr
dass Kraukling jetzt Inspektor des Historischen Museums
ist, da aber niemand meiner Freunde ihn kennt, so
schrieb ich an ihn Ihren Gruss und Ihren Wunsch, und
erbot mich Ihnen seine Antwort zu senden.
Wenn Gerhard von Reutern Maler und einarmig ist
so soll er sich seit längerer Zeit in Baden-Baden
aufhalten, soll dort seine älteste Tochter an den
berühmten russischen Dichter Schukoffsky vermählt
so soll er sich seit längerer Zeit in Baden-Baden
aufhalten, soll dort seine älteste Tochter an den
berühmten russischen Dichter Schukoffsky vermählt
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haben, dieser starb und sie trat zur griechischen Religion
über; die jüngste heirathete vor 2. Jahren einen liefländi-
schen Edelmann, Hrn: v. Wulff, diese sollen jetzt in Frank-
furt am Main leben. Frau von Buttlar soll in Paris
seyn. Der guten Commerzienräthin Kaskel geht es gut;
Sie wissen es gewiss dass ihr Enkel, Emil Naumann bei
dem Direktorium des Domchors in Berlin angestellt
ist, dass ihn der König nach Rom reisen liess. Die
zweite Tochter Betty heirathete vor 7. Jahren nach Paris
einen Litteraten Haack; sie war letzten Sommer mit
ihrem Mann und Söhnchen hier zum Besuch. Die 3te
Philippine ist seit ein paar Jahren mit einem geschickten
Künstler, dem Maler Gonne, verheirathet und recht glücklich.
d. 4te Therese ist noch unverheirathet bei der Mutter, die 5te
Sophie ist seit mehrern Jahren mit dem Grafen von Bau-
dissin vermählt; der älteste Sohn Carl, schwedischer Consul
hat seit des Vaters Tode das Geschäft unter dessen Firma
übernommen; er ist thätig und geachtet, längst Wittwer
sucht er durch die sorgfältigste Erziehung seiner recht hoff-
nungsvollen Kinder Felix und Marie, manche Jugend-
sünde wieder gut zu machen. Die beiden Brüder büssen
durch ein ganz geknicktes, sieches freudenloses Daseyn
welches sie fortschleppen, die zahllosen Ausschweifungen
ihrer Jugend –. Wie traurig ist es dass Sie Ihren
geschickten hoffnungsvollen Sohn Max, so früh verloren!
Ohne beide zu kennen, hatte ich doch stets den Glauben
dass Sie an ihm weit mehr Freude erleben würden als an
dem andern! Verzeihen Sie, wenn dies Vorurtheil war,
über; die jüngste heirathete vor 2. Jahren einen liefländi-
schen Edelmann, Hrn: v. Wulff, diese sollen jetzt in Frank-
furt am Main leben. Frau von Buttlar soll in Paris
seyn. Der guten Commerzienräthin Kaskel geht es gut;
Sie wissen es gewiss dass ihr Enkel, Emil Naumann bei
dem Direktorium des Domchors in Berlin angestellt
ist, dass ihn der König nach Rom reisen liess. Die
zweite Tochter Betty heirathete vor 7. Jahren nach Paris
einen Litteraten Haack; sie war letzten Sommer mit
ihrem Mann und Söhnchen hier zum Besuch. Die 3te
Philippine ist seit ein paar Jahren mit einem geschickten
Künstler, dem Maler Gonne, verheirathet und recht glücklich.
d. 4te Therese ist noch unverheirathet bei der Mutter, die 5te
Sophie ist seit mehrern Jahren mit dem Grafen von Bau-
dissin vermählt; der älteste Sohn Carl, schwedischer Consul
hat seit des Vaters Tode das Geschäft unter dessen Firma
übernommen; er ist thätig und geachtet, längst Wittwer
sucht er durch die sorgfältigste Erziehung seiner recht hoff-
nungsvollen Kinder Felix und Marie, manche Jugend-
sünde wieder gut zu machen. Die beiden Brüder büssen
durch ein ganz geknicktes, sieches freudenloses Daseyn
welches sie fortschleppen, die zahllosen Ausschweifungen
ihrer Jugend –. Wie traurig ist es dass Sie Ihren
geschickten hoffnungsvollen Sohn Max, so früh verloren!
Ohne beide zu kennen, hatte ich doch stets den Glauben
dass Sie an ihm weit mehr Freude erleben würden als an
dem andern! Verzeihen Sie, wenn dies Vorurtheil war,
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aber wenn ich irgend etwas von WilhelmpersName> las, so fand ich
auch gar keine Spur von Aehnlichkeit, weder mit seiner
zartfühlenden Mutter, noch mit seinem edlen Vater! –
auch gar keine Spur von Aehnlichkeit, weder mit seiner
zartfühlenden Mutter, noch mit seinem edlen Vater! –
Soll ich Ihnen nun noch von mir selbst etwas
sagen, so kann es nur inniger Dank gegen Gott seyn
für die kräftige Gesundheit und das heitere, thätige,
immer glücklicher werdende Daseyn welches er mir
schenkt. Ich stimme Ihnen bei, dass sich mit jedem
Schritte tiefer in das Leben hinein, (:oder hinauf, möchte
ich sagen:) unsere Lebensansichten ändern, aber nur
um stets klarer, unbefangner, freier von Egoismus
zu werden, um immer mehr aus dem was Sie das
Gewürge des Lebens nennen, ganz herauszutreten.
Wäre es denn sonst der Mühe des Lebens werth?
Das beseligende stete Studium der geliebten Künste
und der fortwährende Umgang und Unterricht der
Jugend, haben mir selbst jugendlich frohen Sinn
erhalten; die welche noch vor wenig Jahren meine
Schülerinnen waren, reiften mir heran zu lieben
Freundinnen. Zu den Alten passe ich freilich gar
nicht, die sind mir viel zu träge, zu stumpf, zu wenig
enthusiastisch und thätig! – Freilich kann ich
nie aufhören es tief und schmerzlich zu bedauern,
dass, da Gott mir so ausdauernde Jugendkraft auf seltne
Weise schenkt, mir doch der irdische Beruf nicht
gewährt würde, für den ich mich so ganz geschaffen
fühlte, nach dem ich so ernstlich losarbeitete und mich
sagen, so kann es nur inniger Dank gegen Gott seyn
für die kräftige Gesundheit und das heitere, thätige,
immer glücklicher werdende Daseyn welches er mir
schenkt. Ich stimme Ihnen bei, dass sich mit jedem
Schritte tiefer in das Leben hinein, (:oder hinauf, möchte
ich sagen:) unsere Lebensansichten ändern, aber nur
um stets klarer, unbefangner, freier von Egoismus
zu werden, um immer mehr aus dem was Sie das
Gewürge des Lebens nennen, ganz herauszutreten.
Wäre es denn sonst der Mühe des Lebens werth?
Das beseligende stete Studium der geliebten Künste
und der fortwährende Umgang und Unterricht der
Jugend, haben mir selbst jugendlich frohen Sinn
erhalten; die welche noch vor wenig Jahren meine
Schülerinnen waren, reiften mir heran zu lieben
Freundinnen. Zu den Alten passe ich freilich gar
nicht, die sind mir viel zu träge, zu stumpf, zu wenig
enthusiastisch und thätig! – Freilich kann ich
nie aufhören es tief und schmerzlich zu bedauern,
dass, da Gott mir so ausdauernde Jugendkraft auf seltne
Weise schenkt, mir doch der irdische Beruf nicht
gewährt würde, für den ich mich so ganz geschaffen
fühlte, nach dem ich so ernstlich losarbeitete und mich
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so namenlos sehnte! nämlich unter dem Schutz irgend
einer Regierung eine grossartige Sammlung von treuen
Kopien aller der schönsten Meisterwerke die in den ver-
schiednen Gallerien verstreuet sind, zu liefern; ich hätte keine
Reisen, keine Anstrengungen gescheut! und wie bescheiden
hätten meine Forderungen seyn sollen! da ich alles Lebensglück
in diesem Berufe selbst gefunden hätte, so brauchte ich nur
die Unterstützung zu den Reisekosten und den Schutz in der
Fremde! Es hätte wirklich etwas von seltnen Interesse werden
sollen und können. – Doch, Gott wollte nicht – mit
inniger Liebe beschäftige ich mich noch mit der Kunst so
viel meine Zeit es erlaubt, aber sehr eifrig auch mit der
Musik; wie sehr ist mein geliebtes Instrument fort-
geschritten! hatte man doch noch vor 10 bis 12. Jahren
gar keine Idee von dem was jetzt Harfenspiel ist,
seitdem unser genialer Parish-Alvars es so unend-
lich veredelte und erhob. Noch eine mir sehr
liebe Kunst, die des Vorlesens, besonders der drama-
tischen, übe ich fleissig, weil sie grossen Beifall
findet und allgemeine Theilnahme.
einer Regierung eine grossartige Sammlung von treuen
Kopien aller der schönsten Meisterwerke die in den ver-
schiednen Gallerien verstreuet sind, zu liefern; ich hätte keine
Reisen, keine Anstrengungen gescheut! und wie bescheiden
hätten meine Forderungen seyn sollen! da ich alles Lebensglück
in diesem Berufe selbst gefunden hätte, so brauchte ich nur
die Unterstützung zu den Reisekosten und den Schutz in der
Fremde! Es hätte wirklich etwas von seltnen Interesse werden
sollen und können. – Doch, Gott wollte nicht – mit
inniger Liebe beschäftige ich mich noch mit der Kunst so
viel meine Zeit es erlaubt, aber sehr eifrig auch mit der
Musik; wie sehr ist mein geliebtes Instrument fort-
geschritten! hatte man doch noch vor 10 bis 12. Jahren
gar keine Idee von dem was jetzt Harfenspiel ist,
seitdem unser genialer Parish-Alvars es so unend-
lich veredelte und erhob. Noch eine mir sehr
liebe Kunst, die des Vorlesens, besonders der drama-
tischen, übe ich fleissig, weil sie grossen Beifall
findet und allgemeine Theilnahme.
Unter meinen lieben Schülerinnen sind seit beinahe
3. Jahren auch unsere beiden sehr liebenswürdigen
Prinzessinnen Sidonia und Anna, Töchter unsers Prin-
zen Johann, denen ich italiänisch lehre, im Winter
hier, und im Sommer schickt mir der Prinz 2 mal die
Woche seinen Wagen um nach Pillnitz zu kommen.
Sie sehen, theuere Helmina, schon aus dieser leichten Skizze
wie sehr meine Zeit eingetheilt ist. Hörten Sie denn in
Genève irgend etwas von einer Familie Dejoux?
sehr gebildeten Mann: Adolph Butini? –
Leben Sie wohl, ich3. Jahren auch unsere beiden sehr liebenswürdigen
Prinzessinnen Sidonia und Anna, Töchter unsers Prin-
zen Johann, denen ich italiänisch lehre, im Winter
hier, und im Sommer schickt mir der Prinz 2 mal die
Woche seinen Wagen um nach Pillnitz zu kommen.
Sie sehen, theuere Helmina, schon aus dieser leichten Skizze
wie sehr meine Zeit eingetheilt ist. Hörten Sie denn in
Genève irgend etwas von einer Familie Dejoux?
oder einem
sehr gebildeten Mann: Adolph Butini? –
warte nun nicht länger auf Kraukling; von ganzer Seele grüsst *
* Sie Ihre Therese a. d. Winckel.