Brief von Therese aus dem Winckel an Helmina von Chézy
Dresden, 12. Dezember 1841
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[Karl August Varnhagen]Therese von Winckel an Fr. v. Chézy.
holdes Andenken und Ihr liebes
Rosenbriefchen, welches ich von
den trefflichen Künstlern
erhielt.
Ich bin ganz entzückt von beider genia-
len Spiel und besonders von Cavallo's
herrlichen Talent zum Phantasiren;
seit Hummel besass dies keiner
der Virtuosen in so hohen, reinen,
gediegnen Styl! Leider hinderte die
tiefe Trauer
treten, sie blieben nur wenige Tage, ich
sah und hörte sie nur in einem befreundeten
Künstlerkreise. Sie waren Willens nun
Ihre Reise nach Paris zu wenden; ich glaube
dies wird sehr vortheilhaft für sie seyn, denn
von da aus erhalten sie gewiss den Ruf der ihnen
len Spiel und besonders von Cavallo's
herrlichen Talent zum Phantasiren;
seit Hummel besass dies keiner
der Virtuosen in so hohen, reinen,
gediegnen Styl! Leider hinderte die
tiefe Trauer
beide hier öffentlich aufzu-
treten, sie blieben nur wenige Tage, ich
sah und hörte sie nur in einem befreundeten
Künstlerkreise. Sie waren Willens nun
Ihre Reise nach Paris zu wenden; ich glaube
dies wird sehr vortheilhaft für sie seyn, denn
von da aus erhalten sie gewiss den Ruf der ihnen
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dann überall nützt. Möge C. nur so gut,
so einfach und kindlich bleiben, wie er jetzt
ist! – Petersburg wäre diesen Winter nicht
rathsam, da Liszt eben hingeht, und neben
diesem wundervollen Komet kann doch kein
stilleres Sternbild bestehen! – Wie freue ich
mich, so oft ich etwas von Ihnen höre oder lese,
meine Helmina! ist doch über jede Ihrer Zeilen stets
der süsse Zauberreiz des Zartgefühls und der holdesten
Weiblichkeit ergossen; es ist rührend wenn man sieht
wie tief und reich die Welt: und Menschenkenntniss
ist, die Sie zu erwerben wussten ohne sie mit dem Herzen
zu zahlen! aber wie reich war auch stets dies
edle Herz! – Ja, meine Freundin, noch
können Sie mich in meinem so sehr geliebten
Hüttchen finden, aber nicht mehr im italiänischen
Dörfchen, sondern auf dem Theaterplatz Nro 3.
ich habe jahrelang furchtbare Angst um dies
liebe Haus ausgestanden, denn die Zerstörungs-
lustigen drohten sehr ernstlich – doch ich darf
so einfach und kindlich bleiben, wie er jetzt
ist! – Petersburg wäre diesen Winter nicht
rathsam, da Liszt eben hingeht, und neben
diesem wundervollen Komet kann doch kein
stilleres Sternbild bestehen! – Wie freue ich
mich, so oft ich etwas von Ihnen höre oder lese,
meine Helmina! ist doch über jede Ihrer Zeilen stets
der süsse Zauberreiz des Zartgefühls und der holdesten
Weiblichkeit ergossen; es ist rührend wenn man sieht
wie tief und reich die Welt: und Menschenkenntniss
ist, die Sie zu erwerben wussten ohne sie mit dem Herzen
zu zahlen! aber wie reich war auch stets dies
edle Herz! – Ja, meine Freundin, noch
können Sie mich in meinem so sehr geliebten
Hüttchen finden, aber nicht mehr im italiänischen
Dörfchen, sondern auf dem Theaterplatz Nro 3.
ich habe jahrelang furchtbare Angst um dies
liebe Haus ausgestanden, denn die Zerstörungs-
lustigen drohten sehr ernstlich – doch ich darf
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hoffen dass meine und Prof: Vogels rastlosen und
inständigen Bitten, uns nicht allein unser Eigen-
thum sondern das unserer Nachbarn mit gerettet
haben! jetzt sind, Gottlob, alle zahllosen Projekte
zurückgewiesen. Wie freue ich mich dass Ihr
Max nach Düsseldorf gieng; viele der Werke
die dort erblühten, entzücken mich über alle
Beschreibung. Manche davon kopiren zu
dürfen, würde mich namenlos beglücken – aber
es ist sehr sehr schwer sie zu erhalten. Gleichzeitige
Copien von Meisterwerken behalten doch sowohl
für die Folgezeit, als wie für Länder die das Original
nicht besitzen, einen Werth; und Sie wissen, geliebte
Helmina, mir ward nun einmal kein männlicher
Schöpfergeist, sondern nur die weibliche Gabe ver-
liehen mich in frommer Demuth recht treu anzu-
schmiegen! Jetzt wo des Schönen so viel geschaffen
wird, sucht und belohnt man jenes freilich gar
nicht, besonders hier! längst hätte ich
gern einmal etwas nach München geschickt,
inständigen Bitten, uns nicht allein unser Eigen-
thum sondern das unserer Nachbarn mit gerettet
haben! jetzt sind, Gottlob, alle zahllosen Projekte
zurückgewiesen. Wie freue ich mich dass Ihr
Max nach Düsseldorf gieng; viele der Werke
die dort erblühten, entzücken mich über alle
Beschreibung. Manche davon kopiren zu
dürfen, würde mich namenlos beglücken – aber
es ist sehr sehr schwer sie zu erhalten. Gleichzeitige
Copien von Meisterwerken behalten doch sowohl
für die Folgezeit, als wie für Länder die das Original
nicht besitzen, einen Werth; und Sie wissen, geliebte
Helmina, mir ward nun einmal kein männlicher
Schöpfergeist, sondern nur die weibliche Gabe ver-
liehen mich in frommer Demuth recht treu anzu-
schmiegen! Jetzt wo des Schönen so viel geschaffen
wird, sucht und belohnt man jenes freilich gar
nicht, besonders hier! längst hätte ich
gern einmal etwas nach München geschickt,
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doch ich fürchte dies hiesse: Eulen nach Athen tragen.
Indess kann ich es nicht lassen fleissig zu arbeiten,
dies ist mein höchstes einziges Lebensglück. So
hatte ich letzten Sommer Gelegenheit ein schönes Bild
zu wiederholen welches der Hauptgewinn unsers Kunst-
vereines war, von Hauschild in Italien gemahlt, die Kirche
Santa Maria della Toscanella
mit ihrer reichen, eigenthümlichen Architektur, ein voller
Lichtstrahl fällt auf die Kanzel von weissem Marmor, an
welcher die Worte: „Kommt zu mir alle die ihr mühselig und
beladen seyd pp“ ausgehauen stehen, begeistert scheint der
Priester darüber zu predigen, und ausdrucksvolle Gruppen
aller Art hören ihm betend zu; zerknirscht ist ein
Verbrecher reuig am Fuss der Kanzel niedergesunken.
So habe ich auch kürzlich den phantasievollen
Umriss von Retzsch: Der Schachspieler,
Oelgemälde ausgeführt; würde so etwas wohl Liebhaber
dort bei Ihnen finden? gäb es irgend einen wohlwollenden
Kunsthändler an den man sich damit wenden könnte?
Leben Sie wohl, theuere Freundin, verzeihen Sie dassIndess kann ich es nicht lassen fleissig zu arbeiten,
dies ist mein höchstes einziges Lebensglück. So
hatte ich letzten Sommer Gelegenheit ein schönes Bild
zu wiederholen welches der Hauptgewinn unsers Kunst-
vereines war, von Hauschild in Italien gemahlt, die Kirche
Santa Maria della Toscanella
im Innern darstellend
mit ihrer reichen, eigenthümlichen Architektur, ein voller
Lichtstrahl fällt auf die Kanzel von weissem Marmor, an
welcher die Worte: „Kommt zu mir alle die ihr mühselig und
beladen seyd pp“ ausgehauen stehen, begeistert scheint der
Priester darüber zu predigen, und ausdrucksvolle Gruppen
aller Art hören ihm betend zu; zerknirscht ist ein
Verbrecher reuig am Fuss der Kanzel niedergesunken.
So habe ich auch kürzlich den phantasievollen
Umriss von Retzsch: Der Schachspieler,
vergrössert als
Oelgemälde ausgeführt; würde so etwas wohl Liebhaber
dort bei Ihnen finden? gäb es irgend einen wohlwollenden
Kunsthändler an den man sich damit wenden könnte?
ich nach langem Schweigen in so endloses Plaudern
gerieth! ein frohes Weihnachten und segensreiches
neues Jahr wünscht Ihnen herzlichIhre
treue Theorose. Dresden
d. 12. Dec:
1841