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Brief von Therese aus dem Winckel an Helmina von Chézy

Dresden, 9. Juli 1839
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 279 Winckel Therese aus dem, 09.07.1839 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Therese aus dem Winckel
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
9. Juli 1839
Absendeort
Dresden
Empfangsort
München
Umfang
4 Blätter
Abmessungen
Breite: 134 mm; Höhe: 215 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Therese von Winckel.
Dresden d 9. Julius
1839
Geliebte theuere Helmina!

So erfahre ich doch endlich einmal
wieder etwas von Ihnen, und weiss Sie
an einen sichern Ort, wo mein Gruss
herzlicher Liebe Sie aufsuchen und finden
kann! Dank, meine edle Helmina,
für Ihr treues Andenken, Ihre lieben
Worte – es rührte mich tief bei Ihnen
unvergessen zu seyn – ich bin daran
nicht gewohnt in der Welt! Wie freue
ich mich über den Segen den Sie an Ihrem
trefflichen Max erleben, Sie wissen er war
als Kind schon mein ganzer Liebling;
heil ihm, dass er in dem Lande ist wo
Kunst so geschätzt und belohnt und auf-
gemuntert wird! Von ganzer Seele
wünsche ich dass seine Gesundheit sich
wieder ganz befestige und er Ihnen bald
die holde Tochter schenke von der Sie

Verzeihung dem schrecklichen Kleks! Der noch dazu
so frech ist einem ausgerupften Psycheflügel zu gleichen!

Seite „1v“

mir schreiben. Wo lebt denn Ihr
Wilhelm? hat er denn gar keinen
festen Beruf erwählt und gefunden?
Diese einzige gesunde Wurzel die der
Mensch in die Erde schlagen muss, wenn
der Lebensbaum blütenreich und kräftig
sich entfalten soll! – Wie freuet es
mich dass Sie, meine Helmina, noch
immer so vielen Hohen und Interessanten
so nahe stehen – dies ist aber auch das
billige Vorrecht was die Lieblingskinder
Gottes, die er so reich an Geist und Herz
ausstattete, geniessen. So ist es nicht
mit mir – für mich ist die ganze Zeit
auf der Erde, nur die Epoche die das Saamen-
korn in der Erde zubringt – still, dunkel,
einsam, Stürme und Frost über sich ergehend
lassend um sonnenlos zu reifen und
innerlich kräftiger zu werden, wenn
endlich der Frühling kommen wird der
es hervorruft aus der Erde, von der

Seite „2r“

Erde. Dann jubeln Sie mit mir, dann
tagt mein Leben! – Sie scheinen
zu glauben als stünde ich in irgend einem
Verhältniss zu unserm von mir sehr
geliebten Hof, dies ist leider gar nicht
der Fall; es würde mich sehr glücklich
machen Lehrerin der Harfe oder der
italiänischen Sprache bei unsern kleinen
Prinzessinnen
zu werden – aber dazu
ist nicht die mindeste Aussicht, da ich
unserer trefflichen Engelgleichen Königin
sowohl als der Prinzess Johann ganz fremd
bin. Mich vordrängen kann ich nicht
dies liegt ganz ausser meinen Wesen;
und mein früheres, mehr als 10jähriges
sehr schwieriges Verhältniss zu Prinzess
Louise
, hat mich eher dem übrigen Hofe
entfremdet als genähert! einzig mein
Gewissen beglückt mich hier, denn ich
weiss mit welcher Selbstaufopferung und
Anstrengung ich dieses so unglücklich
hieher verpflanzte Kind des Südens

Seite „2v“

bewacht und gehütet habe! ich weiss
wie viele Éclats und Kränkungen ich
dem ehrwürdigen verklärten Fürsten
erspart habe! leider aber bekam ich
erst Einfluss nachdem gewissenlos
Näherstehende den ihren sehr gemiss-
braucht hatten – nachdem alles verworren
war, konnte ich nichts als verhüten dass
die zarten Fäden nicht schmerzlich
zerrissen wurden, und mit sanfter Festigkeit
entwirren – dies gelang mir endlich mit
Gotts Hülfe, ich musste dafür
viel dulden und oft in ganz falschen Licht
erscheinen. – es gehört auch zu meinem
sehr harten Schicksal dass ich nur ein-
zig ihr nahe stand, mit der auch nicht
die fernste Seelenverwandtschaft mich
verband! Nun ist alles spurlos vorüber,
wie es in einer solchen Comédia à tiroir
geht wie mein äusseres Leben ist.
Nur meine geliebten Künste, dies

Seite „3r“

holde Spielzeug welches Gott dem armen
Kinde gab, um ihm über die harte Zeit
in der Erziehungsanstalt der Erde wegzu-
helfen, sind und bleiben mir treu.
Ich darf es sagen dass das was ich früher
in der Musik leistete ganz verschwindet
gegen das was ich jetzt kann, da alle meine
Kräfte sonderbarer weise eher zu- als ab-
nehmen! In der Mahlerei arbeitete
ich sehr viel für einen bei Manchester
etablirten Italiäner
der eine eigene Gallerie
sich dazu bauen liess, die nun aber leider
voll ist! Jetzt, wo ich ganz begeistert
bin für die herrlichen Werke der neuen
deutschen Schule, geht seit Jahren
mein sehnliches Streben dahin, einzelne
derselben wiederholen zu dürfen –
Sie wissen dass ich diesem ächt weiblichen
Fach mit Treue und Liebe ergeben bleibe.
Aber wie schwer es ist solche Kunst-
werke zu erhalten! zehn Bitten

Seite „3v“

werden da abgeschlagen ehe eine
gewährt wird! über dem fallen Kupfer-
stecher und Lithographen wie Raub-
vögel darüber her! Was gäbe ich
darum Sohn's himmlisches Bild
„Romeo und Julie“
kopieren zu dürfen
dies hat jetzt der Herzog von Braunschweig
dem abgekauft der es bei der Verloosung
gewann; wie sehr wünschte ich „Die
Söhne Eduards“
nach Hildebrandts be-
rühmten Bilde zu mahlen! Hätte
ich vorigen Sommer gewusst dass Sie
in München waren, so hätte ich Sie
dringend gebeten mir zu einem köstlichen
Bild zu helfen um das ich Monatelang
warb und zahllose Briefe schrieb. Dies
war die reizende Albanerin
von Dürk
halbe Figur Lebensgrösse, die einem Stieg-
litz ein Johannisträubchen reicht. Wissen
Sie vielleicht an wen Hr. v. Bolgiano

Seite „4r“

dies Bild verkauft hat? ich bot
50. rh. um es 3. Monate geliehen zu
bekommen, und war nahe daran es
zu erhalten, als es plötzlich verkauft
war. Könnten Sie, beste Helmina,
mir einmal zu irgend so etwas verhelfen
so würde ich Ihnen sehr dankbar
seyn, Sie wissen ich arbeite schnell
und bin äusserst sorgsam damit.
Viel Sorge und Kummer lastet
auf mir; bei der Neuerungssucht
ist mein so reizend gelegnes Haus

stets bedroht weggerissen zu werden!
dies macht mir schrecklich Angst
denn es wäre in jeder Hinsicht
furchtbar hart für mich.
Von den armen Bruderskindern
meiner Lotte,
die ich mit so
gränzenlosen Opfern erzog, raubte
mir der Tod gerade die beiden besten

Seite „4v“

die einzigen die mir Freude machten
und mich für alle schweren Opfer
belohnten! voriges Jahr folgte meine
gute tieffühlende fleissige Ottilie im
19ten Jahre ihrem im 16ten gestorbnen
äusserst hoffnungsvollen lieben Bruder.

Dagegen bleiben mir zwei
zu ernähren
und versorgen die wahre Crétins sind
an Geist und Köper – – –!
Doch ich missbrauche Ihre Geduld
und Theilnahme, meine edle
Freundin! Schenken Sie uns
Ihre Wahrnehmungen von Jenseits,
dies wäre herrlich!
Möge es
Ihnen gut und ungetrübt gehen
wie Ihr treffliches Herz es so sehr
verdient! tausend Grüsse Ihrem
braven Max, innig umarmt Sie
Ihre treuergebene Therese