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Brief von Amalie Struve an Helmina von Chézy

Whitehouse [bei York], 25. Juni 1850
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 240 Struve Amalie, 25.06.1850 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalie Struve
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
25. Juni 1850
Absendeort
White House bei York
Empfangsort
Baden-Baden
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 84 mm; Höhe: 131 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Amalia Struve

Whitehouse den 25 Juni
1850.

Liebe theuere Freundinn!
Deine Zeilen vom 16 April habe ich
erhalten
und bitte Dich mir zu

verzeihen, daß ich erst heute Dir
dieselben beantworte. Am 28
Mai
verließen mein Gatte und ich
London und unsere armen dort
wohnenden Flüchtlinge, deren trauriges
Schicksal uns tief zu Herzen geht;
Ein Freund, der einzige von den vielen
englischen Freunden, der sich bewährte,

bot uns in seinem Landhause
bei York eine Wohnung an und
stellte uns in dieser Stadt
Stunden in Aussicht.
So sind wir denn seit ohngefähr
fünf Wochen hier. In London
haben wir für unsere Brüder
gethan was wir konnten, ich
kann wohl sagen, über unsere
Kräfte. – Wir haben wohl
vielen Undank geärntet, manche
bittere Erfahrung machen müssen,
doch dies wird uns nicht abhalten
mitzutheilen so lange wir haben
u. der Menschheit Vertrauen
zu schenken.
Du willst also das schöne Baden-
Baden
verlaßen, bist vielleicht schon ferne von da.
Wenn Du mir „le mérite des femmes
von Legouvé
senden könntest, würdest Du mich sehr verbinden! (aber durch Gelegenpost)

Seite „1v“

Mögest Du im fremden Lande Ruhe und treue
Herzen finden, die Dich lieben wie Du es
verdienest, meine liebe Freundin!
Es thut mir leid daß Du noch in
letzter Zeit so traurige Erfahrungen
mit Menschen gemacht, welchen Du
Dein Vertrauen geschenkt und
die so schändlich es misbraucht.
Tröste Dich mit uns!
Aber schließe Dich deßhalb nicht
mehr ab von den Menschen, sei
deßhalb nicht weniger gut
und offen, liebe die Menschheit
darum nicht weniger und entziehe
ihr Dein Vertrauen und Deine
Liebe nicht. Und wie geht es
mit Deiner Gesundheit, womit
beschäftigst Du Dich, wo weilest Du?
Wir Beide leben stille und
zurückgezogen. Leider müssen wir
zuweilen eine oder die andere englische
Gesellschaft besuchen, da wir
Stunden zu geben wünschen und
nur auf diese Weise sie sich
finden lassen.
Ein Lied, das ich im Gefängniß
s. Z. in Musik setzte
,
fand
großen Beifall neulich in einer
Soireé. So ungerne ich vor Zeugen
singe, kann ich doch es nicht vermeiden.

Seite „2r“

Whitehouse (z. deutsch, Weißes Haus
worin wir wohnen ist ¼ Stunde von der
Stadt York entfernt und sehr lieblich
gelegen. Wir athmen eine reine
Luft und ein schöner Himmel,
wie man in England ihn nur
haben kann, wölbt sich über uns.
Von London sind wir über die
See hierher gereist. Es war
eine Seereise von ohngefähr 30
Stunden, doch wir blieben Alle
wohl auf dem Schiffe und
langten ohne Unfall hier an.
Jetzt sind wir 220 engl. Meilen
von der Weltstadt entfernt,
und hoffen diese sobald nicht
wiederzusehen.
Meinen Roman „Westminster
wirst Du erhalten haben, sowie
auch „Heloise Desfleurs“.
Sage
mir Dein Urtheil über diese
beiden geschichtlichen Romane,
deren Grundlage zwei Trauerspiele
(ungedruckte) meines Gatten
sind.
Hast Du Dich wegen unseres
Frauenalmanachs
umgethan?

Ich war so sehr mit den Romanen
beschäftigt gewesen, auf welche
der Drucker harrte, daß
ich nichts Anderes arbeiten
konnte.
(Gustav grüßt Dich herzlich.) Meine Adresse ist: „A. L. Fothergill jun. York.
England
.“

Seite „2v“

Meine Gesundheit wonach Du so
theilnehmend fragst, ist recht gut.
Ich leide am Kopfe und der
Schmerz um das Vaterland,
um die Lieben Alle welche
dort schmachten, um mein
geliebtes Badenervolk
namentlich, ist so tief ein-
gegraben in meine Seele
daß ich nicht wohl sein kann.
Immer ärger wüthen die
Machthaber jetzt im Vater-
lande, die Fesseln welche
sie dem Volke anlegen,
werden immer schwerer
und fester. Jammer und
Noth wohin wir blicken!
Dennoch hege ich die Hoffnung
unser Volk werde nicht unter-
liegen, u. sollte auch dieser
Druck noch Jahre dauern, u. noch
schrecklicher denn bisher
werden.
Die Morgenröthe der
Freiheit, wir werden sie doch
noch begrüßen! Die
Morgenröthe der Freiheit
die da siegen wird und
andauern und Glück und
Friede bringen! –
Lebe wohl, liebe Freundin,
schreibe mir bald.

und behalte lieb Deine treue
Amalie Struve

Seite „3r“

[Karl August Varnhagen]Amalia Struve.
via France.
Madame.
Madame .
rue d’Austerlitz im Mazzeraurischem Hause
Strasbourg.
France. Bade
pour remettre
à Madame
Helmine de Chézy.

Seite „3v“

Geehrte Frau!
Ich ersuche Sie beifolgende Zeilen
an Frau Chézy gelangen lassen
zu wollen. Letztere hat
mich gebeten an Sie die
Briefe zu senden.
Achtungsvoll.
A.