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Brief von Helmina von Chézy, Dorothea und Friedrich Schlegel an Achim von Arnim

Paris, 4. April 1804
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 32-33 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy Dorothea von Schlegel Friedrich Schlegel
Empfänger/-in
Achim von Arnim
Datierung
4. April 1804
Absendeort
Paris
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 185 mm; Höhe: 230 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Unbekannte Briefe von und an Achim von Arnim aus der Sammlung Varnhagen und anderen Beständen. Hrsg. und kommentiert von Hermann F. Weiss. Berlin 1986, S. 151–154; weiterer Druck: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Begründet von Ernst Behler, fortgeführt von Andreas Arndt, herausgegeben von Ulrich Breuer, Bd. 26.1 (3. Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel), S. 177–180.

Seite „32r“

32

[Karl August Varnhagen]Helmina (von Chézy)
Dorothea Schlegel,
Friedrich Schlegel,
an L.A. von Arnim.
Paris d. 4. Aprill 1804

Ich habe niemand über meinen Vater vergessen lieber Arnim,
ich habe nicht sowohl an Sie gedacht als Ihnen geschrieben,
der Brief war hübsch, liegt aber auf dem Postamt
in Paris u wartet darauf reklamirt zu werden, wie mein
Vater der auch hübsch ist, u sich mit großer Zärtlichkeit
auf meine Anfoderung gemeldet hat. Ich denke nach
Hamburg zu gehen, u hoffe in Paris zu bleiben,
ich glaube Gott u mein Stern werden es nach
meinen Willen fügen. Wenn es mode seyn wird daß
die Väter den Kindern gehorchen wird der meinige
nach Paris kommen. Was soll man in Hamburg?
Die Rue Clichy ist besser, als die ganze gute Reichs-
stadt, denn wir sind jetzt darinnen, u in uns ganz
Deutschland, Kölln
, Hanover
u Aegypten, (das ich in Denons

Werk
besitze) Ich hätte Ihnen lange schon wieder
geschrieben, wenn ich nicht meine bisherige Melancholie
mit einer recht derben u wahren üblen Laune ver-
tauscht hätte, die mir wahres fièvre tierce ist, u die ich für
[Karl August Varnhagen]Bettina.

Seite „32v“

für eine zurückgebliebene Miszellen-Masse halte, jene hab
dies berühmte Journal,
hab ich seit 4 Monat auf-
gegeben. Ein Elsasser
redigirt es, u baut es an wie
recht gutes Kartoffelland, welches wie Sie wissen das
Land ist worauf sonst nichts gedeyhen mag. Ich selbst
spuke nur noch darin, zwar nicht wie ein Geist,
aber doch wohl wie ein Irlicht, das mannichmal
recht bunt flimmert. Im Übrigen übersetz ich viel
u mache mehr Stanzen u Sonette als ich am jüng-
sten Tage einmal weder werde verantworten können.
Den Ariel
hab ich nicht gesehen, vielleicht ist er bey der
letzten großen Begebenheit als Mitverschworner
angesehn
u konfiscirt worden. Ich hoffe Sie kommen bald nach
Paris u trösten mich darüber. Reichardts Werk über
Paris
wird hier tüchtig heruntergemacht, u alle Pariser
schimpfen darauf. Die zarte Récamier hat beynahe ge-
weint, u Madame Regnault bebte u zitterte vor Furcht ihre
Halsbandsgeschichte darin zu finden, sie hätte beynah Deutsch
gelernt, um es zu wissen, u war in tausend Ängsten
da ihr Name vor so vielen Kapiteln vorgedruckt steht,
elle en a été quitte pour la peur.
Adieu mein lieber Arnim, schreiben Sie mir so
bad bald Sie können, damit Ihr Brief mich antrifft, u
Leben Sie wohl, ohne uns darüber zu vergessen.

Seite „33r“

33

[Karl August Varnhagen]Dorothea Schlegel.
Ich grüße Sie von ganzen Herzen lieber Freund! wir sind wie Sie sehen noch in Paris
sind aber im Begriff eine Reise zu machen, und das an den Rhein; die Sommermona-
te wollen wir in Cöln zubringen; wenn man zwey Jahre ununterbrochen in Paris
zugebracht hat, so braucht man eine Stärkung, wir können diese doch wohl nur am
Rheine finden. Besuchen Sie uns dort lieber Freund, so wie Sie uns voriges Jahr
gütig und menschenfreundlich in Paris am äußersten Ende von Paris besuchten. So
wie damals Ihre Erscheinung in unsrer Einsamkeit uns wohl that, so erschien uns
auch Ihr Brief, als wir schon gar nicht mehr hoffen durften etwas von Ihnen zu
hören. Kommen Sie nach Cöln, wir werden dort unter Freunden leben, und hoffen
fröhlich zu seyn. Vom Ariel haben wir ganz und gar nichts gehört oder erfahren,
der Buchhändler Wilman besorgt uns schlecht, das dritte Stück der Europa
haben
wir sogar erst ganz vor kurzem von ihm erhalten, nachdem es in ganz Deutschland
schon zerlesen war; und wie ganz unverschämt schlecht er diese druckt, und mit welchen
Druckfehlern, das sey Gott geklagt! besonders ist Ihr hübscher Aufsatz
recht verun-
staltet dadurch; ich möchte Sie bitten diese Druckfehler selber aufzuschreiben und
sie uns, oder an Wilman zuzuschicken, damit sie nächstens angezeigt werden. In
Deutschland sind allerhand recht hübsche lächerliche Veränderungen und Neuigkeiten unter
Bekannten und Unbekannten vorgefallen; Sie werden ja auch wohl dergleichen erfahren?
wo nicht, und wenn Sie recht lachen wollen so kommen Sie selbst nach Cöln. Habe ich
noch einen Bruder in England? und denkt dieser manchmal daran daß er eine
Schwester in Frankreich hat? – Leben Sie wohl lieber Arnimm, und denken Sie
ferner an uns mit Gedanken und Schreiben. Mein Philipp grüßt Sie recht sehr
wie auch seine Mutter. Dorothea Schlegel
[Karl August Varnhagen]Friedr. Schlegel.
Wir hätten schon lange an Sie geschrieben, wenn wir gewußt hätten, daß Sie
noch in London seÿen; nach Ihrem ersten glaubte ich Sie eher in
Deutschland. Unsre besten Wünsche sind mit Ihnen, und so hoffe
ich, es geht Ihnen gut. – Haben Sie keine Anmuthung, das
beste Londoner Theater den Deutschen oder doch uns eben so vor-
zuführen als wie das Pariser? – Wenn ich sage eben so,
so ist das nur im Ungefähr gemeint, denn ich denke
mir schon daß Sie für einen so ganz andren Stoff auch
eine etwas andre Form wählen möchten. Freilich ist Ihr

Seite „33v“

Aufsatz in der Eur. so voller Druckfehler, daß Sie ihn kaum
selbst [] selbst wied.
Ich habe noch einige Bücher von Ihnen – eine schlechte Über-
setzung des Aeschylus u einige Italiänische Bruchstücke
 – in Ermangelung
eines sichern Frachtschiffes – werde ich diese Reste
von Ihnen der auf dem Pariser See schwankenden
Helmina anvertrauen. Denn von London nach Paris
ist der Weg doch wohl näher als von nach Deutschland
zurück. – Ihr Friedrich S.

Da sind nun drey Briefe in einem, wie die Dreyfaltigkeit, denn Drey-
einigkeit ist es doch nicht. Ich könnte es mir nicht vergeben daß
ich Ihnen nicht öfter geschrieben habe, wenn nicht eben davon die Rede
wäre daß es jetzt Mode wäre hübsche Briefe zu schreiben. Keine
Feder würd ich ansetzen, wenn Sie auch so etwas verlangten, soviel
Rechte Sie auch an ihn einen hübschen Brief haben. Wenn es
Ihnen Freude macht, daß u Ihnen genügt daß ich Ihnen
sage wie wir alle Sie lieb haben u uns Ihrer erinnern
so will ich es Ihnen noch öfter schreiben, bis wir uns
wiedersehen. Ihre Briefe will ich treulich bewahren
aller schuldhaften Gleichnisse ungeachtet. Addio!
Ihr Brief, den Sie reklamiren sollten, ist kein andrer als den ich Ihnen als
Antwort schrieb, wir können ihn aber nicht reklamiren, da ich ihn nicht datirt
habe, es ist also ein verlorener Sohn, oder ein verirtes Schaf, wir wollen es
vergessen, uns jedoch einander nicht. –