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Brief von Helmina von Chézy an Carl Christian Müller

Heidelberg, 3. Dezember 1847
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 327-328 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Carl Christian Müller
Datierung
3. Dezember 1847
Absendeort
Heidelberg
Empfangsort
Berlin
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 215 mm; Höhe: 270 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „327r“

327

Hoch u wolgeborner Herr!
Hochverehrter Herr Geheime Cabinettsrath des Konigs!

Statt eines freudigen, sinnreichen Wunsches zu den schönen Feiern, denen wir
in der Aussicht nahen „Friedens auf Erden“ beruhigt entgegenblikken,
muß ich von meinen Leiden sagen, die ich in düsterer Ahnung Jahr für Jahr
vorausbefürchtet hatte. Nachdem mir das Ministerium 1841 schon von meinem
Wittwengehalt,
(damahls 1,500 Fr.) ohne weitere Erklärung 300 Fr. gestrichen hatte,
u ich nun mehr (statt eines Briefes, wie vorher geschah, eingeladen dieselben, in der
Eigenschaft einer Wittwe eines „Mitglieds der Königl. Akademie“ zu beziehen) empfieng
ich seit Minister Guizots Abgang ein gedruktes Mandat mit Rubriken, welches
Indemnité Littéraire betitelt, u woselbst die Rubrik: Ansprüche, u Pièces
d’appui
, mit dem Worte: Néant ausgefüllt war. Ich las mir aus diesem
Mandat, und leider! nicht ohne Grund, heraus, daß man in Paris ge-
flissentlich über meinen seligen Gatten schwiege, um meine gerechten Ansprüche
auf die Untersützung der Regierung durch dies Uebergehen zu beseitigen,
u das, was in Guizots Zustellung Pension hieß, u mir lebenslänglich zu-
gesichert war, nun zu einer, nach Willkühr zurückzuziehenden Gunstbezeugung
umzugestalten. Meine stillen Besorgnisse wurden 1842 auf dem
Bureau des französischen Gesandten durch ein Wort erhöht, das mich erschrekte,
ein Mitglied der Gesandschaft äusserte: „Ce n’est pas une pension, ce que Vous,

Seite „327v“

recevés!“ – Hélas, rief ich, blaß werdend, wie ich fühlte, c’est donc une
aumône? Der Gesandschaftsekretair zuckte die Achseln u schwieg.
Dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, auch da, als ich in einem französischen
Blatt von Anfang Oktober d.J. las daß Minister Graf Salvandy den Pension-
„fonds für bedürftige Gelehrte, Künstler u.a. d. Wittwen u Waisen solcher, – 
erschöpft habe, sich vor einer leeren Casse befinde, u die Zahlungen einstelle,“ – daß
Wahrheit hierin sei – aber das Ausbleiben des Mandats ist schlagender
Beweis – ich nahe dem 65t Lebensjahre, bin durch Opfer für meinen
sel. Sohn Max u durch bedeutenden Diebstahl erschöpft, der Winter
ist da, u mir fehlt’s an Allem – des edeln Alexander v. Humboldt
feurige Verwendung für mich, die er auf einen Brief von mir liebreich
zugestanden, wird wol das Französische Ministerium bewegen, mir
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – doch es sollte eigentlich schon
Nachricht da sein – u mich macht es bestürzt, daß die letzten Post-
züge von heut hier eingetroffen, allein die Französische Post heute ganz
ausgeblieben. Salvandy hatte 1830 gesagt: Nous dansons sur
un Volcan
!„ wer sagt uns wo die Franzosen 1847 tanzen? Ein
schlimmer Tanzplatz wäre Ludewig Philipps
Gruft – der blutige
Reigen würde dort die endlose neue Carmagnole für das Land eröffnen.

Seite „328r“

328

Verzeihung, Verehrtester! Angst ist sinnreich, sich selbst zu quälen, für mich ist
lange schon jedes Außergewöhnliche aus Frankreich ein Schreckenszeichen; seit meines
Sohnes Max Tode, u dem schmählichen Abfall meines Erstgebornen , der so
hoffnungvoll, so hochbegabt schien, leb’ ich nicht eigentlich mehr, sondern ich vegetire,
ohne Freude, fast ohne Gedanken, aber bitter ist Noth im Alter, von ihr bedrängt
klopf’ ich an die Herzenspforte meines angebornen Königs u Herrn, u lege meine
Bitte in Ihre hülfreiche Hand. Leicht unterscheidet der geübte Blick des menschenfreund-
lichen Menschenkenners das Flehen der wahren unverdienten Bedrängniß vom mutwilligen
Belästigen erheuchelter Leiden. Mir ist von jeher kein Opfer für die gute Sache zu hoch, keine
Entbehrung zu hart gewesen, u keine Mühe zu schwer. Mein Fleiß war eisern, die Anzahl meiner
Werke ist bedeutend, u wird zum 8t Februar 1851, wenn ich’s erlebe, sich noch ansehnlich
vermehrt finden, denn das Gediegenste wird bis zu diesem, dem Jubeljahrestage der ersten
Schrift,
die von mir im Druck erschien, durchgefeilt u vollendet herauskommen, für jetzt
bin ich seit einer Reihe von Jahren durch häusliche Beschäftigungen, Krankenpflege,
u Familienkummer schmerzlich abgehalten worden; der Verlust, das martervolle
Krankenlager meines Max haben mich entsetzlich zurückgeworfen – Mit dem
Cÿklus dieser neuen Werke hoffe ich Dank der Nachwelt zu erwerben, wie denn allezeit
mein Streben standhaft Einem Ziele zugewendet, u eben darum weil es der
Wahrheit getreu, streng u würdig blieb, nicht dem rohen Haufen, nur den Besseren gefiel.

Seite „328v“

Die ich in ehrerbietiger Zuversicht verharre
Hochgeehrter Herr Geheime Cabinettsrath!
Ewr Hoch u Wohlgeboren

ganz Ergebenste
W.C. verwittwete von Chezÿ
geb. v. Klencke
N.S. Von den in die Arbeit seit 20 Jahren genommenen
Werken nenn’ ich hier als die Bezeichnendsten (die Orientalischen nicht berührend.)
1) Die Karschin, ihre Zeit, ihre Lieder, ihr Briefwechsel, gewidmet
Sr Majestät Friedrich Wilhelm IV. 2. Bände.

2) Hofgunst u Dichterglück. Sittengemälde aus Ludwigs XIV Tagen. 3. Bände

3) Erinnerungen aus meinem Leben, u Briefe von großen Zeitgenossen. 5 Bände

4) Höhen, Klippen u Untiefen des weibl. Lebens in einer Reihe von Lebensgeschichten. I Band

5) Paris

6) Bilderreihe von Märtyrern der Reformation. I Band.

Heidelberg d. 3. Dezember 1847.